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Anwenderanforderungen treiben den Markt für Dokumenten-Technologien
Artikel von Dr. Ulrich Kampffmeyer, Geschäftsführer und Chefberater der PROJECT CONSULT Unternehmensberatung und Mitglied des Board of Directors der AIIM International.  
Teil 2 des Beitrages aus dem PROJECT CONSULT Newsletter 20030306Newsletter 20030306.
„Virtuelle Akten“
Im Rahmen der Zusammenführung von Informationen spielt die virtuelle Akte als Sicht auf zusammengehörige Objekte und Daten eine wichtige Rolle. Um den Übergang aus der Welt des Papiers in die elektronische Sachbearbeitung zu erleichtern, orientiert man sich zumindest in der Visualisierung an hergebrachten Strukturen. Content wird hier vom reinen Informationsinhalt zum „Smart Content“, der sich selbst in verschiedene Umgebungen dynamisch einpasst. Software muss heute so variabel sein, unabhängig von den Informationen selbst, beliebige, auch personalisierte Sichten auf die Informationen zu generieren und diese Zusammenhänge der Präsentation und Nutzung auch zu protokollieren. Bei der Konzeption virtueller Akten kommt dem Records Management und der Definition von Metadaten und Ordnungsstrukturen besondere Bedeutung zu. Virtuelle Akten sind eigentlich für alle Verwaltungsbereiche eines Unternehmens und einer Behörde ein wichtiges Thema. Im Bereich der öffentlichen Verwaltung haben der Domea-Standard eine besondere Bedeutung. Aber auch für Kunden-, Sach-, Kredit-, Versicherungs-, Produkt- oder Projektakten, die nach unterschiedlichen Gesichtspunkten und für verschiedene Berechtigungsgruppen in Sichten zusammengestellt werden müssen, ist die virtuelle Akte das probate Mittel.
Prozessunterstützung
Information ist nur dann effizient nutzbar, wenn sie direkt in die Arbeitsprozesse eingesteuert wird. Die Devise ist dabei nicht mehr „Suchen“ oder „Finden“ sondern im Sachzusammenhang einfach „Vorfinden“. Dabei geht es nicht nur um vorstrukturierte Prozesse, sondern auch um die dynamische Collaboration. Die ursprüngliche Idee des vordefinierten Workflows ist ins Wanken geraten. Die Aufwände des Designs und Implementierung standen häufig im Widerspruch zum erreichten Nutzen. Durch die Kombination variabler Workflow-Technologien im Rahmen von Collaborations-Werkzeugen, BPM Business Process Management und EAI Enterprise Application Integration kann dies erreicht werden. Beispiele sind elektronische Vorgangsbearbeitungssysteme, bei denen nicht nur die Abarbeitung gesteuert wird, sondern auch die zugehörigen Daten in verschiedensten Anwendungen ergänzt, geändert und konsolidiert werden. Komplette Prozesssteuerungs- oder Workflowsysteme waren in der Vergangenheit die Domäne von größeren Anwenderunternehmen wie Behörden, Versicherungen oder Banken. In anderen Branchen wurden meistens nur Teilprozesse wie die Eingangsbearbeitung abgedeckt. Die Menge der echten Workflowprodukte ist durch Übernahmen stark geschrumpft und das mittlere und untere Marktsegment wird zunehmend durch DMS-, Collaboration-, Portal- und Groupwareprodukte bedient, die Prozesse auch unstrukturiert und adhoc unterstützen können. Da bei Banken und Versicherungen zur Zeit wenig investiert wird, verlagern sich die Brennpunkte des Workflow in die öffentliche Verwaltung, den Handel und zu Dienstleistern.
Eine besondere Ausprägung erhält die Prozessunterstützung in Supply-Chain-Management- und E-Business-Prozessen, die vollständig elektronisch und größtenteils auf Basis von Daten abgewickelt werden. Hier spielen Teilelieferanten-Hersteller-Distributoren-Netzwerke eine wichtigere Rolle. Die Prozesse werden meistens vom stärksten Partner in der Kette vorgegeben und müssen von den am Prozess beteiligten Unternehmen übernommen werden. Besonders deutlich ist dies in der Investitionsgüter-Industrie und im Handel festzustellen.
Wiedernutzung und Erschließung von Inhalten
Die Wiedernutzung von Information in unterschiedlichen Zusammenhängen, sei in der virtuellen Akte oder Prozessautomatisierung, im Intranet oder im Internet, in einer Wissensbasis oder E-Learning-System, gewinnt an Bedeutung. Es gilt das „Rad“ möglichst nicht „neu zu erfinden“, sondern auf kontrollierte, bereits gesicherte Inhalte in unterschiedlichsten Situationen zurückgreifen zu können. Hier bieten besonders XML und Content-Management ausgezeichnete Voraussetzungen. Andere Beispiele sind hier Textbaustein- und Formular-Systeme, sowie intelligente Anwendungen, die auf Grund der Eigenschaften des Content diesen unterschiedlich aufbereitet in verschiedene Kommunikations- und Präsentationskanäle steuern. Die Wiedernutzung betrifft aber auch die Optimierung des Managements der Lösung, z.B. durch die Nutzung von Benutzer- und Berechtigungsinformationen aus einem Directory Service eines anderen zentralen Systems.
Neben die Navigation á la Dateisystem und die Suche in strukturierten Datenbanken treten immer mehr Anforderungen nach Volltexterschließung, intelligenten Suchmaschinen und Wissensmanagementlösungen. Die „weiche“ Zusatz-, Kontext- oder Hintergrundinformation ergänzt die harten Daten. Über herkömmliche Datawarehouses hinaus sind die Informationen in Content-, Dokumenten- und Records-Management-Systemen zu erschließen. Einheitliche, kontrollierte Metadaten sind die Voraussetzung für die geordnete Erschließung, Volltext und Kontext für die Beantwortung heute noch nicht bekannter Fragestellungen. So treten beispielhaft neben die aktive Suche auch Agenten die selbsttätig die benötigte Information im Hintergrund beschaffen, bewerten und aufbereiten.
Besonders bei der Einführung von Intranets und Datawarehouses wird dieses Thema von zahlreichen Anwenderunternehmen aufgegriffen, auch wenn sich die Projekte nicht immer gleich mit dem Titel Knowledge Management oder Business Intelligence schmücken.
Rechtssicherheit bei der Archivierung
Neue Anforderungen aus der Steuergesetzgebung, gemeinhin unter der Überschrift „GDPdU“ diskutiert, und der gleichzeitige Zusammenbruch namhafter Anbieter haben zu Verunsicherungen bei der elektronischen Archivierung geführt. Migrationssicherheit, Offenheit, Schnittstellen, Standards und Verlässlichkeit der Anbieter haben eine neue Bedeutung bekommen. Auch wenn hier Archivsysteme nur als nachgeordnete Dienste zu sehen sind, die Information empfangen und auf Anfrage wieder zur Verfügung stellen, sind diese Komponenten dennoch als Bestandteil einer ganzheitlichen Enterprise Content Management Strategie zu betrachten. Schließlich muss Gesamtlösung einschließlich der organisatorischen Voraussetzungen die Sicherheitsanforderungen erfüllen.
Diese Anforderungen treffen auch auf die Handhabung elektronisch signierter Dokumente zu. Die qualifizierte elektronische Signatur macht aus einer beliebigen Datei ein authentisches, rechtskräftiges Dokument, das von den Systemen mit besonderer Sorgfalt und kontrolliert behandelt werden muss – ob nun als eingehender Geschäftsbrief in einer E-Mail oder Nachweis einer Berechtigung im eigenen Haus. Als weiteres Beispiel kann hier auch die Transaktionsarchivierung von E-Business-Geschäften dienen, bei denen sich der Geschäftsprozess nicht mehr in Papier niederschlägt sondern nur noch als automatisiert verarbeitete elektronische Daten und Dokumente vorliegt, die einer geordneten Archivierung bedürfen.
Selbst beim Scannen spielt die elektronische Signatur inzwischen eine Rolle. Wollen Sozialversicherungs- und Rententräger zum Beispiel das Papier nach dem Scannen entsorgen, müssen die erfassten Dokumente elektronisch signiert sein. Beim Massenscannen und Altakten erfassen kann man dies natürlich wirtschaftlich nicht bei jedem Blatt oder Dokument tun. Daher wurden Verfahren entwickelt, die durch die Kombination von personengebundenen Signaturen und Zeitstempeln das Scannen von Akten im Stapelbetrieb ermöglichen.
Besondere Bedeutung hat in diesem Umfeld natürlich das Thema Migration, Wechsel von einem System auf ein anderes. Die Angst vor dem Untergang des eigenen Archivsystemlieferanten ist noch nicht ganz verflogen, aber es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Migrationen gemessen am Lebens- und Aufbewahrungszyklus von Information, der 10, 30 oder Hunderte von Jahren sein kann, keine einmalige Bedrohung ist, sondern eine ständige Herausforderung. Migrationen werden nicht mehr ad hoc durchgeführt als Wechsel von einem proprietären Anbieter auf einen anderen, sondern als kontinuierliche Strategie geplant und durchgeführt. Dabei kommt der verlustfreien Übertragung von Informationen in ihrem ursprünglichen Sachzusammenhang eine wichtige Bedeutung zu, um die rechtlichen Anforderungen an revisionssichere Archive erfüllen zu können. Das Archiv entwickelt sich hierbei immer mehr zum universellen Wissensspeicher der Unternehmen und Verwaltungen.
Neben diesen und anderen konkreten Szenarien sieht man sich jedoch häufig auch nur der unbestimmten Erwartung der Kunden gegenüber, dass Dokumententechnologien die Probleme a) anderer Software und b) der schnellen technologischen Entwicklung lösen sollen – frei nach dem Motto „wenn man schon seine anderen Anwendungen nicht vereinigt bekommt, dann soll doch wenigstens das Dokumentenmanagement dafür sorgen, dass alle Informationen unabhängig von der Quelle allen anderen Anwendungen nutzbar gemacht werden können“. Die Nutzung immer neuer Schlagworte und undifferenzierter Aussagen zur wirklichen Leistung, Funktionalität und geeignetem Einsatzfeld nähren diese unbestimmte Erwartung des Anwenders. Hier ist auch in den Botschaften der Anbieter eine größere Klarheit gefordert, die die Wichtigkeit des Themas wieder in die Chefetagen der Anwenderunternehmen trägt.
Ausschlaggebend sind zwei Aspekte:
   
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Elektronische Information ist ein essentieller Wert von Unternehmen, Behörden und Gesellschaft. Dieser Wert muss als tragende Säule der Wirtschaft, der Verwaltung und unserer Kultur erkannt und entsprechend gewürdigt werden.
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Unternehmen, Behörden und die Gesellschaft sind von der ständigen Verfügbarkeit elektronischer Information existentiell abhängig. Die Sicherung und Bewahrung von elektronischen Werten ist unter dem Gesichtspunkt dieser Abhängigkeit, aber auch als kulturelle und gesellschaftliche Aufgabe ernst zu nehmen.
Document-Related-Technologies-Lösungen müssen daher nicht nur an der vordersten Front der technologischen Entwicklung „mitspielen“, sie müssen die Gewähr bieten, dass der Wert der Information durch gesicherte langfristige Verfügbarkeit, Nutzbarkeit und Authentizität erhalten bleibt.
 
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