Wirft man einen Blick auf ältere Darstellungen des Konzeptes für ECM Enterprise Content Mangement, z.B. aus ursprünglichen Artikeln der AIIM und PROJECT CONSULT aus den Anfangstagen dieses Jahrtausends, so findet sich dort ECM als ein großes Gebilde, das erheblichen Raum in der IT-Architektur der Unternehmen einnimmt. ECM positioniert sich als Schicht, die alle Informationen des Unternehmens kontrolliert. Bürokommunikationslösungen, ERP und operative Systeme verwalten die schwach- und unstrukturierten Informationen über das ECM. Mit eigenen Clienten und Anwendungen ist es direkt dem Anwender präsent. Der gesamte Lebenszyklus der Informationsobjekte wird von der Erfassung bis zur Vernichtung durch das ECM kontrolliert.
Blickt man heute auf Architekturbilder hat sich die Situation drastisch verändert. Der Raum, den ECM einnimmt ist trotz des Ausbaus der Funktionalität deutlich kleiner geworden. Große ERP-Lösungen verwalten ihre Informationsobjekte selbst. Sie benötigen nur noch Zuliefer- und gegebenenfalls externe Archivsysteme. Im Bereich der Bürokommunikation etabliert sich Microsofts Sharepoint. Portale und webbasierte Anwendungen verdrängen ECM in den Untergrund. ECM wird zunehmend zwischen den großen Blöcken der Anwendungs- und Standardsoftware eingequetscht. Die Abgrenzung, welche Software man für welche Funktionalität benutzt wird angesichts der immer größer werdenden Redundanz nicht leichter. In dem Maße, wie diese Systeme immer mehr ECM-Funktionalität selbst anbieten, schwinden die USPs von ECM. Viele Anbieter positionieren daher auch ihre ECM-Lösungen als Zusatzprodukte für ERP-, Portal-, Office- oder Groupware-Produkte – abgegrenzte Subsysteme, funktionale Bausteine, Dienste in der Middleware moderner SOA-Architekturen, Applets für Portale, Enabling von Anwendungen.
Dies entspricht eigentlich sogar dem Anspruch von ECM, mit dem die neue Marktdefinition um 2001 angetreten war. Dienste, Middleware, einheitliches Repository, Integration in die Unternehmenssoftwarelandschaft. Damit verliert ECM ein eigenständiges Gesicht und verschwindet zunehmend in der Infrastruktur. Nur wenige Anwendungskomponenten wie Capture, Imaging-Viewer, virtuelle Akten, dokumentenlastige Anwendungen, Prozessanwendungen, Postkörbe, Records Management etc. haben noch eine eigenständige Visibilität an der Benutzeroberfläche. Längst machen Storage-, Datenbank-, ERP- und andere Anbieter bei den anderen Komponenten des ECM-Portfolios den reinen ECM-Softwareanbietern erhebliche Konkurrenz.
ECM hatte den Anspruch die Welt der strukturierten Daten mit der Welt der schwach- und unstrukturierten Informationen zu verknüpfen, die Brücke über den „CINCI-Canyon“ (CI = coded information, NCI = noncoded information) zu schlagen. Dies gelingt immer besser durch standardisierte Schnittstellen und Dienstekonzepte. Die Unterschiede der Handhabung und Nutzung strukturierter, schwachstrukturierter und unstrukturierter Information verschwimmen immer mehr. ECM geht so im allgemeinen Informationsmanagement auf. Noch haben nicht alle traditionellen Anbieter auf die neuen Herausforderungen des integrierten Informationsmanagements reagiert, noch immer werden eigenständige Lösungen und Suiten propagiert. Man muss sich jedoch damit langsam abfinden, dass Dokumente und andere sogenannte unstrukturierte Informationsobjekte für moderne Informationssysteme nichts anderes als ein anderer Datentyp sind, der vielleicht ein paar Sonderfunktionen für die Handhabung und Darstellung benötigt. In dem Moment aber, wo sich die oben skizzierte Vision von ECM erfüllt wird ECM selbst obsolet. (Kff)