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DLM-Forum der Europäischen Kommission in Brüssel
Brüssel. - Das zweite DLM-Forum (DLM=Documents lisable machinellement) fand vom 18.10.-19.10.1999 im Congress-Zentrum Charlemagne in Brüssel statt. Die erste DLM-Forum-Veranstaltung war im Jahr 1996 durchgeführt worden. Über 450 Spezialisten aus dem Umfeld Archivierung, Forschung, Verwaltung und Records Management aus ganz Europa trafen sich, um die Thesen des 1. Forums zu diskutieren und fortzuschreiben. Im zweiten DLM-Forum wurden die Erfolge der 1996 definierten Aufgaben deutlich. Nach einer Plenum-Veranstaltung teilten sich die Teilnehmer auf in drei parallele Sitzungsstränge, die die Hauptthemen des Kongresses repräsentieren: „Entstehung,  Speicherung und Zugang zu elektronischen Informationen: wirtschaftliche und funktionale Aspekte“; „Das Gedächtnis der Informationsgesellschaft: politische und rechtliche Aspekte“ und „Verbreitung elektronischer Informationen unter den Bürgern Europas: gesellschaftliche Aspekte“.  Die Vorträge des DLM-Forums werden als Proceedings in Kürze veröffentlicht werden.
Highlights und Kernaussagen in der Eröffnungs-Plenarsitzung
In seinem Eröffnungsvortrag wies Carlo Trojan, Generalsekretär der Europäischen Kommission, auf die „neue Transparenz und Offenheit“ der Europäischen Kommission hin. Diese Offenheit beinhaltet auch den Zugriff der europäischen Bürger auf die elektronischen Archive. Durch die digital entstehenden Informationen entsteht auch die Anforderung, diese langfristig zu erhalten und zugänglich zu machen. Trojan betonte, daß das Forum interdisziplinär ausgelegt ist und auch die Anbieter von elektronischen Archivsystemen und Informations-Provider einschließen muß.
Diese Botschaft wurde von Parajón Collada, zuständig im Directorate General For The Information Society, aufgegriffen. Die langfristige Speicherung digitaler Dokumente und ein demokratisierter Zugriff durch die europäischen Bürger erfordert auch entsprechende Systemlösungen. Da diese nicht in ausreichendem Maße oder mit geforderten Funktionalität zur Verfügung stehen, stellt das diesjährige DLM-Forum auch einen Aufruf an die Anbieter dar, geeignete Lösungen in Zusammenarbeit den Archivaren bereitzustellen.
Markku Markkula, Mitglied des finnischen Parlamentes und des parlamentarischen Zukunftsausschusses, stellte für die derzeitige finnische Präsidentschaft des Rates der Europäischen Union die Kommunikations- und Knowledge-Management-Lösung der finnischen Regierung als mustergültiges Beispiel für zukünftige Lösungen vor. Dr. Ulrich Kampffmeyer, Mitglied des Vorstands und des Executive Committee der AIIM Europe berichtete über den Wandel der Dokumenten-Management-Industrie. Er stellte dabei als besondere Problemstellung heraus, daß einerseits von der Industrie gefordert wird immer die neuesten Technologien bereitzustellen, andererseits aber die Verfügbarkeit der Informationen über Jahrzehnte gefordert ist. Dieser Spagat sei nur sehr schwierig zu vollziehen. Kampffmeyer wies ferner auf notwendige Standardisierungs- und rechtliche Harmonisierungsmaßnahmen hin.
Probleme, Herausforderungen und Lösungsansätze
Aus den folgenden parallelen Sitzung und den Zusammenfassungen der Berichterstatter kristallisierten sich dann die wesentlichen Ergebnisse und Aufgabenstellungen heraus. Viele der Ziele, die im 1. DLM-Forum definiert wurden, sind heute zumindest teilweise erreicht. Es gibt einen DLM-Leitfaden, der als Grundlage  für einen möglichen europäischen Code of Best Practice dienen kann. Eine Reihe von Projektvorschlägen wurden verwirklicht, z.B. das Leonardo-Projekt, das Europäische visuelle Archiv (EVA) oder das bei der Europäischen Kommission selbst eingesetzte ADONIS-System. Auch das von Vertretern des Bundesarchives und der Universität Koblenz vorgestellte DOMEA-Projekt zur elektronischen Bereitstellung von Akten für die Bundesregierung in Bonn und Berlin zählte zu den bereits erfolgreich implementierten Lösungen.
In einer Zusammenfassung vom DLM-Monitoring-Committee wurden die drei zentralen Ergebnisse wie folgt zusammengefaßt:
„Conclusions of the 2nd DLM-Forum“
Der europäische Bürger und elektronische Informationen
1. Entwicklung eines Referenzmodells für den Umgang mit elektronischen Dokumenten und Aufzeichnungen in öffentlichen Verwaltungen
Der bei der Entwicklung eines Referenzmodells für den Umgang mit elektronischen Dokumenten und
Aufzeichnungen erreichte Fortschritt stellt ein wichtiges Ergebnis des DLM-Forums ’99 dar. Das Referenzmodell wird das gesamte Kontinuum elektronischer Dokumente und Aufzeichnungen berücksichtigen, d.h. ihre Entstehung, ihr aktives Leben und ihre langfristige Aufbewahrung und Zugänglichkeit. Das Referenzmodell muß die wichtigsten Kriterien für elektronische Dokumente und Aufzeichnungen erfüllen, die von öffentlichen Verwaltungen und Archiven formuliert wurden. Diese Kriterien umfassen u.a. die Bereiche der Transparenz und Zugänglichkeit elektronischer Informationen, die Möglichkeiten kurz- und langfristiger Aufbewahrung authentischer Aufzeichnungen sowie offene Standards und Spezifikationen als auch interdisziplinäre Leitlinien für beste Praxis. Das Referenzmodell muß in enger Partnerschaft mit Industrie (Systeme- und Diensteanbieter) und Forschung weiterentwickelt werden. Während die informationsverarbeitenden Berufe die Verantwortung haben, ihre Bedürfnisse zu formulieren, muß die Industrie Lösungen anbieten. Aus diesem Grund sollte die Europäische Kommission zusammen mit den Mitgliedstaaten, eine besondere „DLM-Botschaft“ auf den neuesten Stand bringen und an die Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) Industrie richten. Diese Botschaft sollte Präsentationen und Kommentare, die während des DLM-Forums ’99 vorgestellt wurden, genauso wie beste Lösungsansätze in den öffentlichen Verwaltungen und im privaten Bereich berücksichtigen, um die Industrie überall in Europa zu ermutigen, den Bereich des Umgangs mit elektronischen Dokumenten und Aufzeichnungen sowie digitale Archivierung als einen neuen profitablen Markt zu erschließen.
2. Ein modulares europäisches Aus- und Fortbildungsprogramm für Verwaltungsfachleute und Archivare im Bereich des Umgangs mit elektronischen Dokumenten und Aufzeichnungen
Das Forum gab einen starken Schub für die Realisierung eines ersten Moduls für ein grundlegendes europäisches
Aus- und Fortbildungsprogramm im Bereich des Umgangs mit elektronischen Dokumenten und Aufzeichnungen. Auf der Grundlage der Erfahrungen verschiedener Archivschulen und anderer entsprechend spezialisierter Körperschaften in den Mitgliedstaaten, die während des Forums vorgestellt und diskutiert wurden, wurde ein erstes Modul des Aus- und Fortbildungsprogramms erarbeitet. Das E-TERM (European Training Programme in Elektronik Records Management) genannte Fortbildungsmodul wird, nach weiterer Ausarbeitung zusammen mit unterstützenden Unterrichtsmaterialien in der zweiten Hälfte des Jahres 2000 an interessierte Kreise in den Mitgliedstaaten verteilt werden. Eines der Ziele ist die kontinuierliche Verbesserung von Qualifikationen in Europa in diesem Bereich und die Vereinfachung der Einstellung entsprechender Fachkräfte. Die Industrie wird durch ihre Beiträge zur Entwicklung der Materialien für dieses und weitere Aus- und
Fortbildungsprogramme geschäftliche Vorteile gewinnen und vom Know-How, das dabei entwickelt wird, profitieren.
3. Der verstärkte DLM-Action Plan, 1999-2004: Zugang für den europäischen Bürger und finanzielle Förderung vordringlicher Aktivitäten
Die Europäische Kommission wird ersucht, zusammen mit dem interdisziplinären DLM-Monitoring Committee, den DLM-Action Plan für den Zeitraum 1999-2004 zu verstärken und damit fortzufahren, sich um die zu setzenden Prioritäten und ihre zeitgerechte Umsetzung zu kümmern. Dies betrifft im besonderen Instrumente, die den Zugang zu Inhalten für den europäischen Bürger verbessern, die Umsetzung des „Grünbuchs über den Zugang zu Informationen des öffentlichen Sektors“, wie auch die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen. Die Ko-Finanzierung der vordringlichen Aktivitäten, auf der Grundlage der Berichte nationaler Sachverständiger „Archive in der Europäischen Union“ (das sogenannte ‚Black Book‘) sowie „Aktivitäten und Ressourcen für den Fortschritt der Archive in Europa 1999-2004“ (der sogenannte ‚Kew-Report‘), sollte von den EU Mitgliedstaaten sowie durch weitere Integration dieser Aktivitäten in Gemeinschaftsprogramme im besonderen für lebenslanges Lernen und die Entwicklung der Informationsgesellschaft sichergestellt werden. Das DLM-Monitoring Committee sollte einen Fortschrittsbericht erarbeiten und in der ersten Hälfte des Jahres 2000 vorstellen. Weiterhin ist die Europäische Kommission aufgefordert, die Vorträge des DLM-Forums ’99 zügig zu
veröffentlichen und zu verteilen.
Die Anforderungen sind schwierig zu erfüllen...
Eine Reihe von technischen, organisatorischen und rechtlichen Gründen behindern derzeit die Verbreitung von elektronischen Archivsystemen.
Geeignete Softwarelösungen sind hauptsächlich von kleineren und mittleren Anbietern zu erhalten. Das Interesse großer Softwareanbieter an Systemen, die langfristig Information zur Verfügung stellen müssen, ist gering, weil diese einer Weiterentwicklung im Wege stehen.
Diese Tatsache führt automatisch zur Frage, in welchen Formaten und auf welchen Speichermedien archiviert werden soll. Hier fehlen noch sichere Standards und die rasante Technologie-Fortentwicklung erfordert Migrationen. Angesichts der Mengen von gespeicherten und ständig neu entstehenden Informationen ist dies ein wachsendes Problem. Hier sind Standards unbedingt erforderlich, um unabhängig von bestehenden Technologien und einzelnen Anbietern zu werden.
Technologien, die noch vor wenigen Jahren als besonders geeignet für die elektronische Archivierung erschienen – wie z. B. 14“- und 12“ digitale optische Speicher - sind bereits fast vom Markt verschwunden. Die Unsicherheit im Markt durch Mergers&Acquisitions sowie schnelle und inkompatible Releasewechsel verzögert Entscheidungen – oder führt bei Fehlentscheidungen nach kurzer Zeit zu nutzlosen Lösungen.
In der Vergangenheit war die Wandlung von analogen Formaten in digitale Formate – insbesondere bei großen Mengen oder Farbdarstellungen  eine Herausforderung. Inzwischen stellen elektronisch erzeugte Dokumente in unterschiedlichsten Formen und Formaten ein größeres Problem dar. Eine mögliche Lösung wurde vom amerikanischen National Archive präsentiert: Das „Einpacken“ von Dateien in ein sich selbst beschreibendes Objekt, daß Regeln zur Anzeige und die beschreibenden Merkmale beinhaltet.
Das Internet bietet heute einen universell nutzbaren Zugang zu Informationen und Dokumenten mittels eigener Formate wie z. B. HTML-Seiten oder GIF`s. Diese Formate werden dem Anspruch einer konsistenten und sicheren Archivierung jedoch nicht gerecht und es treten Probleme des Zugriffsschutzes auf.
Aus rechtlicher Sicht gilt es eine Reihe weiterer Hürden zu überwinden. Bisher gibt es keine einheitlichen  Regelungen zur digitalen Archivierung in Europa. Die Nutzung von Bildinformationen ist durch das Urheberrecht stark beschränkt. Geeignete Schutz- und Abrechnungsmodalitäten fehlen im Bereich des Copyrights und der Urheberrechtsgesetze. Hinzukommen die Anforderungen des Schutzes personenbezogener Daten. Auf Grund dieser Tatsachen  kann derzeit noch kein Archiv für den Bürger zur freien Nutzung durch geöffnet werden – auch wenn dies das erklärte Ziel der Europäischen Gemeinschaft ist.
Ein weiteres Problem stellt die Mittelausstattung der Archive dar. Informationen müssen aufbereitet, transformiert, migriert, indiziert und auf schnellen Rechnersystemen mit Netzwerken mit hoher Bandbreite bereitgestellt werden. Ein möglicher Weg sind Allianzen mit Content-Providern, Verlagen und anderen kommerziellen Informationsanbietern. Hierfür müssen erst die formalen Voraussetzungen geschaffen werden.
Die personelle Ausstattung der Archive und die Qualifikation derer Mitarbeiter stellt ebenfalls eine Hürde dar. Heute stehen der Archivar und der Records Manager noch am Ende der Informationsentstehungskette. Sie können oftmals Form und Formate der zu speichernden Information nicht mitbestimmen. Archivare und Records Manager müssen sich zu Informationsmanagern entwickeln, um bereits bei der Entstehung und Nutzung der Informationen mitbestimmen zu können. Hierfür sind Weiterbildungs-, Trainings- und Qualifizierungsmaßnahmen erforderlich.
Angesichts der genannten Herausforderungen ist es nicht verwunderlich, daß digitale Archive im Vergleich mit den Lösungen in der freien Wirtschaft noch relativ selten sind. Nur wenige gestatten bisher den Zugriff durch Dritte wie die Presse, Verlage oder den Bürger direkt. Der zögerliche Einsatz digitaler Archivierungsverfahren führt auch dazu, daß es wenig geeignete und standardisierte Lösungen der Dokumenten-Management-Anbieter gibt. Zudem werden mangelndeVorgaben, ein zu geringes Finanzierungspotential für die Entwicklung von Standardprodukte sowie die Rechtsunsicherheiten und mangelnde Standards beklagt. Nur wenn Gesetzgeber, Archivare und Anbieter Hand-in-Hand die aufgeführten Probleme und Herausforderungen angehen, kann kurzfristig mit Lösungen gerechnet werden, die dem Anspruch des DLM-Forums entsprechen.
In diesem Sinne ist auch der Aufruf des DLM-Monitoring-Committee und des DLM-Forums zu verstehen: Die „Message to the Industry“ (die zugehörigen Erläuterungen befinden sich noch im Abstimmungsprozess und werden in einem der nächsten Newsletter behandelt).
„Message to the Industry“
The second European DLM-Forum “European Citizens and electronic information: the memory of the Information Society (Brussels, Belgium, 18-19 October 1999) issued the following message to industry:
1. Functional requirements for electronic documents and records management and the development of open standards and specifications for information management software are the subject of ongoing research and debate. Industry is asked to participate actively in this debate and to provide easily applicable and cost-effective records management and digital archival solutions.
2. Authentic and pertinent information has to be kept for short- and longterm periods and in accordance with quality standards and specifications. To this end industry should provide:
   
 ·
simple and secure methods of transferring information without loss of content or presentation between different versions of a software product or between similar software products from the same manufacturer
 ·
open interchange standards between different software products
 ·
standards and interdisciplinary guidelines for both short and longterm
preservation and accessibility 3. Closer collaboration and partnership between the Information and Communication
Technologies Industry (ICT) and the modern archivist of the Information Society should improve products and open new business opportunities.
4. Industry should be encouraged to state clearly and procurers should demand the compliance with best practices in record management. Record management software should be an integrated part of IT environment.
5. Industry should provide information management software that supports internationally recognised metadata standards
6. Industry is asked to contribute actively to multidisciplinary efforts in setting up and implementing a modular European training programme for public administrators,
modern archivists and other information specialists. Thus the continuous change of information and communication technologies (ICT), the multiple functioning of the Information society and new business opportunities should be adequately addressed: sharing of know-how as teachers and communicators; presenting ICT-solutions (existing and/or innovative projects) on electronic document management; participating in the establishment and updating of supporting training material; encouraging long distance learning.
7. Industry should facilitate exchange, preservation and reuse of content, created and administered by users.
8. ICT service providers should address the provision of content to the creative industries and the enhanced access for the European citizen.
In der das DLM-Forum abschließenden Rede des neu ernannten Europäischen Kommissars für Unternehmen und Informationsgesellschaft (Nachfolger des deutschen Kommissars Martin Bangemann), betonte Erkki Liikanen die Notwendigkeit der Öffnung der europäischen Archive einer breiten Öffentlichkeit. Sie müssen mit modernen Mitteln wie dem Internet den europäischen Bürgern zur Verfügung gestellt werden. Es müssen Mittel und Wege gefunden werden, digital entstehende Unterlagen ebenso wie von analog zu digital gewandelte Dokumente bereitzustellen und langfristig zu erhalten. Angesichts der rapiden Veränderung der digitalen Welt ist dies eine zugegebenermaßen schwierige Aufgabe. Die europäische Gemeinschaft unterstützt bereits mit einer Vielfalt von Programmen die Entwicklung der Wissensgesellschaft in Europa. Elektronische Archive spielen hierbei eine besonders wichtige Rolle. Die elektronischen Archive stellen das Gedächtnis der Informationsgesellschaft dar.
Liikanen: „Here lies the true challenge for industry. This broad potential area of service should awake the interest of industry and act as basis for a new partnership between public and private sectors. The new available applications and services meet the demands of customers, within a stronger marketplace. Solutions need to be found, which are user-friendly, easy to implement and based on international standards providing true interconnectivity and interoperability. There is a large market for solution-oriented applications and services both in the public and private sectors in Europe. ICT industry and other concerned parties should more intensively take advantage of these new opportunities.“
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