20080214 \  Gastbeiträge \  Schweizer Messer im Wissensmanagement
Schweizer Messer im Wissensmanagement
Der Einsatz von Wikis in Unternehmen – ein Blick in die Praxis
Erster Teil des Artikels von Uwe Hentschel, Journalist und Herausgeber des DOKmagazin, der Fachzeitschrift für Technologien, Strategien und Services rund um das digitale Dokument in Unternehmen und Organisationen. E-Mail: uwe.hentschel@goodsourcepublishing.de
Wer auf sich hält, lässt seine Mitarbeiter die richtige Information zur richtigen Zeit selbst recherchieren. Und gibt das Team-Werkzeug der Stunde mit an die Hand: Wikis. Hier ist weniger mehr: Einfach zu bedienen und ohne die klassischen Funktionen eines CMS, entwickeln sich Wikis in den Unternehmen zum Dreh- und Angelpunkt der Kommunikation im Intranet und Extranet.
Social Software, Tagging, Blogs, Wikis – mehr Innovation, mehr Kommunikation, mehr Wissen. Die US-amerikanischen Vor- und Hersager vom Marktforscher Gartner sehen in ihrem Hype-Cycle 2007 die sogenannten Web-2.0-Technologien als eines der Top-IT-Themen der nächsten Jahre. Damit ist es jetzt offiziell: Web 2.0 ist wichtig. Und bedient, irgendwo zwischen Buzzword und Verlegenheitsvokabel angesiedelt, zugleich alte und neue Hoffnungen: Die, die in der Vergangenheit nicht eingelöst wurden und die neuen, die sich auf eine digitale Zukunft richten, in der die Menschen voraussetzungslos und vorurteilsfrei kommunizieren. Also so, wie das Internet ursprünglich gedacht war.
Erfunden hat das Web 2.0 natürlich ein US-Amerikaner und die Geburtsstunde des Begriffes ist vergleichsweise einfach zurückzuverfolgen; auf die erste Web 2.0 Conference im Oktober 2004, veranstaltet vom O´Reilly-Verlag. Auf dieser Konferenz ging es um eine Reihe von Thesen, die 2005 von Tim O'Reilly, dem Inhaber des Verlags, in einem Grundlagenartikel zusammengefasst wurden. Dort waren Content-Management-Systeme noch als Web 1.0 aufgeführt, Wikis hingegen schon Web 2.0.
Interessierte Zuschauer
Im Grunde wurde über Web 2.0 schon alles gesagt. Zeit zu schauen, was die Unternehmen im Alltag damit anstellen. Beispielsweise mit Wikis. In der Technischen Dokumentation. Wikis haben im Hype Cycle von Gartner den Scheitelpunkt des Hypes bereits überschritten und stehen mit einem Realisationsfenster in 2-5 Jahren relativ nah am Jetzt. Wie nah? Thomas Koch von Kongress Media hat unter dem Leitgedanken „Enterprise 2.0“ eine Veranstaltungslinie etabliert, die die Entwicklung im Markt reflektiert: „In Deutschland sind die Unternehmen in einer frühen Orientierungsphase, es gibt nur wenige, die einen Anfang machen. Das Interesse der Unternehmensstrategen geht weit über das Buzzword hinaus, die Umsetzung erfolg jedoch in kleinen Schritten. Die große Mehrheit macht noch nichts – aber schauen tun sie alle.“
Der Buzz geht, das Wiki bleibt
Im Moment entdecken die Unternehmen den Einsatz von Wikis für ihre Intranets und Extranets. Die Fraktion der strikt an Hierarchien ausgerichteten Unternehmen bremst, die anderen handeln. Je konsequenter das Vorgehen ist, desto umwälzender sind die Resultate. So hatte beispielsweise der Vorstand der SYNAXON AG Ende 2006 das gesamte Intranet für seine 130 Mitarbeiter mehr oder weniger eingestampft und komplett auf Wikis umgestellt. Jetzt wachen Wiki-Guards über Themen und Inhalte, Mitarbeiter stimmen interne Abläufe komplett in Wikis ab und erledigen dort die Qualitätssicherung gleich mit. Von den Regeln und Konventionen, die die Arbeitsabläufe des Unternehmens ausmachen und die frei verfügbar in den Wikis stehen, wurden in diesem Zeitraum rund die Hälfte geändert und jede dieser Änderungen hat sich, so der Konsens von Mitarbeitern und Unternehmensleitung, als sinnvoll herausgestellt. Eine Erfolgsgeschichte der Offenheit, die zunehmend externe Partner wie Kunden oder Lieferanten mit einbezieht und vom Intranet ins Extranet wandert.
Freiheit oder Kontrolle – beides ein Problem?
Was im Fall von SYNAXON funktioniert, muss nicht überall funktionieren. Peter Ebenhoch von der Tanner AG, einem Dienstleister in der Technischen Dokumentation, sieht für den Einsatz von Wikis limitierende Faktoren: „In der Technischen Dokumentation geht es um Compliance, es müssen juristische und technische Normen wie die Produkthaftung oder die EU-Maschinenrichtlinie sowie branchenbezogene Informationsmodelle wie DITA oder S1000D berücksichtigt werden. Das scheint sich mit den inputgetriebenen Wikis nicht zu vertragen, wenn klare Zielvorgaben ein klares Ergebnis verlangen.“ Seiner Ansicht nach passen Wikis eher zu „weichen“ Prozessen, in denen das Wiki eine Art Rückkanal ist: Für die Erfahrungen der Anwender eines Gerätes, für die Verbesserungsvorschläge zu einer Bedienungsanleitung, für den Servicetechniker, der sich in eine Wartungsanleitung einarbeitet. Oft seien die bei manchen Softwaredokumentationen online hinterlegten Kommentare aufschlussreicher als die Dokumentation selbst. „Ein Wiki “, sagt Peter Ebenhoch, „wird zwar immer besser, ist aber eigentlich nie fertig – eine technische Dokumentation muss hingegen irgendwann fertig sein.“
Von der Kommunikation …
Ob ein Unternehmen Wikis einsetzt, führt neben technischen und funktionalen Erwägungen schnell zur zentralen Frage: Wie hält man´s mit der Kommunikation? Der Unternehmenskultur? Bei SYNAXON beispielsweise diskutieren zur Zeit die Azubis, Abteilungsleiter und Disziplinarvorgesetzten darüber, wann und wie lange die Auszubildenden nach der Berufsschule noch zu arbeiten haben. Was für die einen Unternehmen der Königsweg ist, die freie Kommunikation und geführte Selbstorganisation der Mitarbeiter bis hinunter auf die Ebene der eigenen Prozesse, dürfte für andere der Albtraum schlechthin sein. Doch gerade dort liegen die Stärken eines Wikis: in der direkten, nicht-hierarchischen Kommunikation. Wikis machen in vielen Fällen die Kommunikation überhaupt erst möglich und stellen neben dem ebenfalls asynchronen, aber reizüberfluteten Medium E-Mail und den in granularen Zugriffsrechten erstarrten Content-Management-Systemen eine neue Variante dar, schnell, unmittelbar und vor allem kostengünstig zu kommunizieren.
… zur Zusammenarbeit
An dieser Stelle ist der Schritt zum dem, was die Unternehmen an Web 2.0 am meisten interessiert, nämlich der konkrete Nutzen, nicht mehr weit: Die Zusammenarbeit. Collaboration. Ob IBM mit Lotus Connections und Quickr oder Microsoft mit SharePoint und Office Groove, ob Filesharing mit eigenem Arbeitsraum im Netz, web-basierte Office-Anwendungen, Crowd Sourcing oder Social Tagging – überall sind Werkzeuge, Plattformen und Modelle entstanden, in deren Mittelpunkt ein kollektives Miteinander in verschiedensten Größenordnungen steht; an vorderster Stelle die Wikis mit ihrer einfachen Handhabung und ihren technischen Erweiterungsmöglichkeiten. Content-Management-Systeme sind, wie Tim O'Reilly zu Recht bemerkte, Web 1.0, Wikis hingegen Web 2.0, mit allen Attributen, wie dort mit Inhalten umgegangen wird. Für Peter Ebenhoch ist es folgerichtig, wo der Einsatz von Wikis diskutiert wird: „Zufällig haben wir gerade zwei Projekte in Unternehmen mit ähnlicher Ausgangslage: Ein langjähriger Mitarbeiter der Technischen Dokumentation wird das Unternehmen verlassen und mit ihm sein Wissen. Jetzt muss ein Platz her, um so viel wie möglich davon im Unternehmen zu halten und die Aufgaben in Zukunft auf mehrere Schultern zu verteilen. Ein Ort, an dem sich das Produktmanagement, die Konstruktion, der Service und die Technische Redaktion miteinander austauschen können. Das wird zwangsläufig zu einem freieren Umgang mit Inhalten führen.“ Informelles Wissen aufnehmen und sichtbar machen – damit bekommen Wikis einen bedeutenden Stellenwert in Unternehmen, weit über die Technische Dokumentation hinaus. In vielen Fällen löst ihr Einsatz nachgelagerte Fragen aus, die grundlegend das Wissensmanagement der Unternehmen berühren.
Anm. d. Redaktion: Der zweite Teil wird im nächsten Newsletter erscheinen. Dieser Artikel ist zuerst  in der Ausgabe 1 der Fachzeitschrift „technische kommunikation“ erschienen, der Fachzeitschrift für Technische Dokumentation und Informationsmanagement.
 
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