20040512 \  Gastbeiträge \  OpenSource CM- und verwandte Systeme: eine ernstzunehmende Konkurrenz für kommerzielle Hersteller?
OpenSource CM- und verwandte Systeme: eine ernstzunehmende Konkurrenz für kommerzielle Hersteller?
Gastbeitrag von Björn Schotte, geschäftsführender Gesellschafter der Mayflower GmbH, die mit der Marke ThinkPHP seit 2001 die erste Adresse im deutschsprachigen Raum für PHP-Lösungen ist (mschotte@mayflower.de).
 
Über die Definition von OpenSource mag man sich streiten: auf http://www.opensource.org findet sich die offizielle, von der OSI heraus gegebene Definition von OpenSource. Umgangssprachlich lässt sich das auch als „free wie in free beer“ ausdrücken. Eine andere Definition, die wir als Hersteller zum Beispiel auch vertreten, ist „free wie in free speech“.
Geht man von der sehr engen und strengen Definition der OSI aus, so fragt man sich: gibt es denn genügend CM- und verwandte Systeme aus diesem Bereich, die kommerziellen Herstellern ebenbürtig sind? Hier kann man verschiedene Kriterien in unterschiedlichen Gewichtungen aufstellen. Nicht alle wollen wir hier betrachten, das würde den Rahmen dieses Artikels sprengen.
Im OpenSource Bereich dominieren sehr stark die PHP-basierten Systeme. PHP, von vielen als kleine Gästebuchsprache abgetan, hat in den letzten zwei Jahren einen enormen Entwicklungsschub vollbracht, der dafür gesorgt hat, dass die Konkurrenz von PHP nicht mehr Perl, sondern Java, C# und andere Sprachen sind. Ganze Unternehmen (einer unserer Kunden, eine bekannte Autovermietung) entlassen ihre Java-Entwickler und beauftragen PHP-Dienstleister – andere wiederum lösen ihre etablierten Broadvision und Webfair Umgebungen durch PHP-Systeme ab.
Wo also diese Technologie enterprise-tauglich geworden ist (schreiben Sie mir eine E-Mail, und ich erzähle Ihnen mehr von unseren Enterprise Projekten im PHP-Umfeld, mit teilweise über 500 LT Gesamtumfang), fragt man sich zurecht, ob die darauf aufsetzenden OpenSource Systeme es ebenfalls sind.
Nicht immer, muß man zugeben, aber immer öfter. Einer der Vorteile der Quelloffenheit, wie man sie auch von z.B. dem Linux-System, Oberflächensystemen wie KDE etc. her kennt, ist eine große Community, die dadurch entstehen kann(!). Kommerzielle Hersteller müssen erst mit viel Aufwand (Zeit, Geld, Manpower) eine Community schaffen und diese am Leben erhalten. Ein Beispiel hierfür ist sicherlich MySQL: von vielen immer noch nicht ernst genommen, schaffen sie Oracle & Co. das Fürchten. Wir kennen die Entwickler persönlich und glauben an ihr Erfolgsmodell, Datenbanken zu einem „Commodity-Produkt“ zu entwickeln. Der vor einiger Zeit geschlossene Deal mit SAP, um die altehrwürdige SAPDB (die auf einem recht alten Adabas Kern basiert) aus dem Hafen von SAP zu entlassen und in die Erfahrung von MySQL einzugliedern, zeigt dass große Hersteller offensichtlich auch Schwierigkeiten haben, eine funktionierende (!) Community zu etablieren. MySQL hat seit Anbeginn Erfahrung in diesem Bereich, schließlich ist MySQL echte GPL Software.
Zieht man wieder den Blick zurück zu den OS CM-Systemen, so gibt es einige, die über eine funktionierende Community verfügen. Eines dieser Systeme ist zum Beispiel Typo3, das ich als reines CMS für nicht-performanceträchtige Websites sehr klasse finde (alle Systeme, die Logik in Templates platzieren, kranken daran, gleichgültig ob kommerziell oder OpenSource). Innerhalb der letzten 1,5 Jahre hat Typo3 einen sehr großen Drive bekommen: immer mehr Agenturen entschließen sich dazu, Typo3 als Untergrund-Lösung für Kundenwebsites einzusetzen (z.B. Pixelpark, wobei der Wechsel bei Pixelpark zu Typo3 sicherlich andere Gründe hatte). So gibt es nicht nur eine vitale Community rund um den Hauptentwickler, sondern auch eine kommerzielle Website typo3.com, auf der man Solution Partner, Case Studies und Referenz-Websites findet.
Als Nachteil bei OpenSource basierten Systemen wird oft angeführt, dass kein kommerzieller Hersteller dahinter steht, der sich um Support, Wartung und Investitionssicherheit kümmert. Bei vielen Systemen stimmt dies zwar, allerdings – im vorliegenden Fall wiederum bei Typo3 – gibt es auch hier genügend Firmen, die Ihnen diese Services bieten können.
Viele Vorteile, aber gibt es denn keine Nachteile gegenüber kommerziellen Systemen? Es ist sicherlich richtig, dass ein kommerzieller Hersteller oftmals mehr Entwickler hat, die Vollzeit am System entwickeln können. Schaut man sich jedoch viele kommerzielle Systeme an, die 2004 immer nur noch content managen können („Gruppenterminkalender? Ja, das bieten wir Ihnen als Customizing für Tagessatz X,-- an“), so fragt man sich, wo die Realitätswahrnehmung der Hersteller in all den Jahren geblieben ist. Viele OpenSource Systeme konnten hier schneller reagieren und entsprechend ausgereiftere Systeme zur Verfügung stellen. Auch fehlt die Bereitschaft vieler Kunden, horrende Lizenzgebühren für interessant anmutende Lizenzmodelle (z.B. Abrechnung nach Anzahl der Rollen) zu zahlen, um dann noch mal einen großen Batzen Geld für das Customizing auszugeben.
Hier hat OpenSource auch einen Vorteil: kein Geld abschröpfen durch solche Lizenzmodelle, sondern kostenlose Lizenzen oder zumindest Lizenzen, die sich z.B. nach der Anzahl der Server berechnen.
Einige der OS CM-Systeme sind in der Tat nicht professionell genug – ein Argument, das kommerzielle Hersteller gerne immer wieder anführen. Jedoch, wenn man mal bei einigen kommerziellen Systemen unter die Haube schaut oder sich Funktionalitäten auf Messen vorführen lässt, so fragt man sich manchmal auch, wo hier die Professionalität gegeben ist.
Viele Hersteller müssen aufpassen – die Anforderungen der Kunden wechseln oft vom reinen Content Management hin zu mehr Interaktivität, Collaboration Features und Ähnlichem, auf das die Hersteller reagieren müssen. Manchmal schneller als die OS-basierten Systeme, manchmal jedoch auch nicht.
Einen Nachteil haben OS-basierte Systeme meiner Ansicht nach jedoch auch: bei vielen Projekten, die aufgrund von Zusatzentwicklung sowieso ein höheres Budget haben, fallen die Lizenzkosten für das System an sich oftmals nicht so sehr ins Gewicht und sind bei einer genaueren Betrachtung oftmals auch vernachlässigbar. Das immer wieder angeführte Argument der kostenlosen Systeme ist also gerade in diesen Fällen kein Argument mehr.
Der Druck, der durch OS-basierte Systeme wie Typo3 durchaus erzeugt wird, hat auch einen Vorteil: die Hersteller sind dazu gezwungen, sich nicht auszuruhen, sondern im Wettlauf mit OS-basierten Systemen ihre Systeme auf Vordermann zu bringen und den heutigen Marktanforderungen mit kürzeren Releasezyklen anzupassen.
Welches Resumée lässt sich nun daraus ziehen? Ich denke, beide Welten haben ihre Daseinsberechtigung. Viele OS-basierte Systeme wurden von „Hobbyprogrammierern“ entwickelt (in der Freizeit, für sehr kleine Kundenprojekte), wohingegen bei den kommerziellen Herstellern die Softwareentwickler Vollzeit an den Projekten arbeiten.
Einige der kostenlosen Systeme wie z.B. Typo3 mauserten sich in der Vergangenheit als ebenbürtige Konkurrenz zu den kommerziellen Herstellern, das sich gerade im Bereich der öffentlichen Hand oder bei kleineren Kunden als ernstzunehmende Alternative gegenüber lizenzteure Systemen heraus stellt.
Man darf gespannt sein, wo die Entwicklung hinführen wird.
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