Das Archivprojekt der LVA Rheinprovinz
Von Stefan Meinhold, Senior-Berater bei der PROJECT CONSULT Unternehmensberatung GmbH, E-Mail: Stefan.Meinhold@PROJECT-CONSULT.com. Eines der europaweit größten Archivierungsprojekte zur Umstellung der Aktenführung von Papier auf elektronische Medien wurde in den vergangenen zwei Jahren bei der LVA Rheinprovinz durchgeführt. Dieses Projekt ist nicht nur wegen der Größenordnung sondern auch wegen technischen und rechtlichen Umsetzung bemerkenswert.
Die LVA Rheinprovinz ist mit ca. 7 Mio. Versicherten einer der größten Rentenversicherungsträger und bearbeitet mit ca. 4.400 Mitarbeitern unter anderem pro Jahr neben ca. 80.000 Renten und 32.000 Rehabilitationen mehr als 700.000 Auskünfte an Versicherte und Behörden.
Den Anstoß zur Durchführung dieses Projektes gaben Ende 2002 neben den immer knapper werdenden Archivkapazitäten zahlreiche Entwicklungen im Umfeld wie z.B. BundOnline 2005 bzw. Deutschland online. Daneben wurden auch in den Gremien der Rentenversicherungsträger, wie dem Akit (Arbeitskreis für Informationstechnologie der gesetzlichen Rentenversicherung), aktiv Projekte zur Schaffung einheitlicher Standards für Archivierung und Workflow gearbeitet. Im Akit sind alle LVAs, die Bundesknappschaft und die Seekassen vertreten. Die Thematik und Problematik waren daher grundsätzlich präsent, jedoch benötigten einige besondere Themenstellungen eine separate Berücksichtigung.
Die elektronischen Akten sollten nicht als totes Archiv zur Verfügung stehen, sondern aktiv in der Sachbearbeitung verwendet werden können. Die papierlose Bearbeitung in den dezentralen Servicezentren konnte nur durch eine unverzügliche Verfügbarkeit der Akten auf den Bildschirmen ermöglicht werden. Diese Anforderung stellte besondere Anforderungen an die Auslegung der Systemarchitektur, die im Rahmen der Ausschreibungsvorbereitung zwischen der LVA und PROJECT CONSULT vorgenommen wurde. Die besonderen Anforderungen an die Verfügbarkeit des Systems bei rein elektronischer Bearbeitung waren entsprechend hoch. Ein Ausfall des Systems würde starke Einschränkungen in der Sachbearbeitung zur Folge haben. Daher musste eine Architektur gesucht werden, die neben einer hohen Ausfallsicherheit gleichzeitig eine maximale Performance sicherstellen konnte. Herkömmliche optische Speichermedien für die Langzeitarchivierung schieden aufgrund der Zugriffszeiten aus. Es wurde ein Konzept entwickelt, mit dem sichergestellt werden konnte, dass alle Daten und Dokumente online auf magnetischen Datenträgern zur Verfügung stehen. Lediglich aus Desaster Recovery Aspekten wurde eine zusätzliche Spiegelung der Dokumente zu Auslagerungszwecken auf langsameren Langzeitmedien berücksichtigt. Aufgrund des notwendigen Ausschreibungsverfahrens wurde von den Spezialisten die Architektur so definiert, dass mehrere Anbieter die Anforderungen erfüllten und der Wettbewerb aufrecht erhalten werden konnte ohne auf eine garantierte Anzeigezeit von < 2 sec zu verzichten.
Eine weitere Besonderheit dieses Projektes besteht in der Beurteilung der Rechtsqualität der Dokumente. Die Überführung der Papierdokumente in elektronische Dokumente durfte zu keiner Verschlechterung der Rechtsqualität führen. Daher wurde die Integration der elektronischen Signatur schon in einem frühen Projektstadium berücksichtigt. Aufgrund der bereits vorhandenen Erfahrungen aus dem eService-Portal- Projekt, in dem die Versicherten in Zukunft nach Autorisierung durch eine Smartcard online Einsicht in das Rentenkonto nehmen können, war schnell klar, dass nur eine qualifizierte elektronische Signatur in Frage kam. Diese ermöglicht die Vernichtung der Papierdokumente bei gleichzeitiger Beibehaltung der Rechtsqualität. Dabei war allen Beteiligten klar, dass das Verfahren umfangreicher Protokollierungen bedurfte und durch eine umfassende und zertifizierte Verfahrensdokumentation zu beschreiben sei.
Neben den technischen Voraussetzungen waren aber auch die fachlichen Anforderungen nicht zu unterschätzen. Der Bestand von ca. 1,3 Mio. Versichertenakten mit damals auf ca. 150 Mio. geschätzten Seiten sollte innerhalb eines Zeitraumes von 12 Monaten durch einen externen Dienstleister gescannt und elektronisch signiert werden. Alleine die logistischen Prozesse hierzu waren bereits höchst anspruchsvoll.
Um den Sachbearbeitern einen einfachen Zugriff auf die elektronische Akte zu ermöglichen, wurde eine Kopplung zwischen bestandsführender Anwendung und der Akte verlangt, die durch einfachen Knopfdruck aus den Bestandsdaten eines Versicherten die Anzeige der zugehörigen elektronischen Akte ermöglichte.
Um die Dokumente auch im Rahmen des eService-Portals anzeigen zu können, wurde die Ablage im PDF-Format mit qualifizierter Signatur festgelegt.
Nach Durchführung und sorgfältiger Auswertung des offenen Ausschreibungsverfahrens wurde einem Konsortium unter Leitung von T- Systems der Auftrag zum Aufbau der entsprechenden Infrastruktur und für die Digitalisierung und Signatur der Altaktenbestände erteilt.
Die Infrastruktur basiert aus redundant ausgelegten SUN Servern mit über Brocade Switches angeschlossenen hochverfügbaren Speichersubsystemen von Hitachi unter SAM-FS mit einer Kapazität von 15 TeraByte. Diese Systeme sind für den schnellen Onlinezugriff aus der Sachbearbeitung vorgesehen. Daneben werden die Dokumente zur weiteren Absicherung gegen einen Katastrophenfall auf Storagetek WORMTapes abgelegt. Die Verwaltung der Dokumente wird auf Basis von IXOS- Software ( heute Opentext ) vorgenommen.
Für die Digitalisierung im späteren Eigenbetrieb wurde ein Scann- Center auf der Basis von Kodak- Hardware der 800er Serie in Verbindung mit einer Signaturlösung aus dem Hause Seccommerce eingesetzt.
Der Aufbau der Infrastruktur wurde anhand eines sportlichen Terminplanes innerhalb von 4 Monaten geleistet, so dass fast plangemäß der Betrieb Anfang 2004 aufgenommen werden konnte und die vom Dienstleister erzeugten Datenträger verarbeitet werden konnten.
Die Infrastruktur und die Verfahren wurden im Rahmen einer BSI- Zertifizierung durch Pass Consulting auditiert und somit die Ordnungsmäßigkeit und Revisionsicherheit bescheinigt.
Die Digitalisierung als Dienstleistung wurde von der Postdirekt in Leipzig als Konsortialteilnehmer vorgenommen. Dabei wurden die Dokumente mit IBML- Scannern der Firma foxray auf Basis einer identischen Signaturinfrastruktur verarbeitet, um die Einheitlichkeit der Informationsobjekte sicherzustellen. Die geplanten Verarbeitungsmengen wurden nach einer Einschwingphase Anfang 2004 langsam auf Normmengen gesteigert. Der Datentransfer erfolgte über Datenträger mittels eines eigenen Kurierdienstes, der auch die Dokumente von Düsseldorf in das Verarbeitungszentrum nach Leipzig transportierte.
Die Verarbeitungsqualität wurde stichprobenartig täglich in Bezug auf Dokumentenlesbarkeit, Signaturkonformität etc. kontrolliert.
Die externe Digitalisierung wurde zeitgerecht abgeschlossen und das interne Scann- Center hat Anfang 2005 den Betrieb aufgenommen.
Die Komplexität der realisierten Lösung liegt in der Summe der Maximalforderungen (Ausfallsicherheit, Performance, Rechtssicherheit, Datenvolumen, enger Zeitplan, umfangreiche Dokumentationspflichten, BSI- Zertifizierung etc.), die es galt, gleichzeitig abzubilden. Dabei musste von den Spezialisten immer wieder darauf geachtet werden, dass die Lösung trotz der hohen Anforderungen eng an Standards ausgelegt wurde und projektspezifische Anpassungen vermieden wurden.
Die erfolgreiche Umsetzung dieses Projektes zeigt einmal mehr, dass komplexe Anforderungen im ECM- Umfeld nur von Anbieterkonsortien zu leisten sind und auch von diesen einen hohen Einsatz fordern. Die Vielzahl der Ansprechpartner erschwert häufig dem Auftraggeber die zeit- und budgetgerechte Abwicklung seines Projektes und verlangt ein strenges Projektmanagement. Dabei muss im Rahmen des Projektes zusätzliches spezifisches ECM- Knowhow im Hause aufgebaut werden. Diese Problematik potenziert sich in dem Augenblick, in dem der künftige Auftraggeber zu einer Auftragsvergabe im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung verpflichtet ist. Alleine für die Definition der Ausschreibungsunterlagen und die Auswertungssystematik ist dieses Knowhow bereits vorher erforderlich.