Artikel von Dr. Ulrich Kampffmeyer, Geschäftsführer der PROJECT CONSULT Unternehmensberatung GmbH (Ulrich.Kampffmeyer@PROJECT-CONSULT.com)
Records Management ist ein in Deutschland noch wenig geläufiger Begriff. Wir sprechen stattdessen hier häufig von virtuellen Akten, elektronischer Archivierung, Dokumentenmanagement, Vorgangsbearbeitung oder Schriftgutverwaltung. Zumindest wurde der Begriff „Records Management“ in der deutschen Übersetzung ISO-Norm 15489 mit „Schriftgutverwaltung“ übersetzt. MoReq ist der europäische Standard für Records Management Systeme. Im deutschen Sprachgebrauch ist ein „Dokument“ ziemlich genau dass, was eine „Record“ im angloamerikanischen Sprachraum ausmacht: eine aufbewahrungspflichtige oder aufbewahrungswürdige Aufzeichnung. Unter einem Record wird ein beliebiger Content-Typ verstanden, der sich auf die Geschäftstätigkeit oder die Transaktion eines Unternehmens bezieht. Die physische Form oder andere Merkmale spielen dabei keine Rolle. Beispiele sind E-Mails, Verträge, Geschäftsvereinbarungen, Rechnungen, Kontoübersichten, Berichte aber auch Webseiten-Inhalte, Video- und Audiodateien. Ein Record definiert sich durch seinen Inhalt und Rechtscharakter. Bei einer Record im Sinne von Records Management geht es also keineswegs um Schallplatten oder Datenbankzeileneinträge.
Definition „Record“ (ISO 15489, Teil 1)
Information, die erzeugt, empfangen und bewahrt wird, um als Nachweis einer Organisation oder Person bei rechtlichen Verpflichtungen oder zum Nachvollzug einer geschäftlichen Handlung zu dienen.
(Information created, received, and maintained as evidence and information by an organisation or person, in pursuance of legal obligations or in the transaction of business.)
Definition „Records Management“ (ISO 15489, Teil 1)
Records Management ist die als Führungsaufgabe
wahrzunehmende, effiziente und systematische Kontrolle und Durchführung der Erstellung, Entgegennahme, Aufbewahrung, Nutzung und Aussonderung von Schriftgut einschließlich der Vorgänge zur Erfassung und Aufbewahrung von Nachweisen und Informationen über Geschäftsabläufe und Transaktionen in Form von Akten.
(Field of management responsible for the efficient and systematic control of the creation, receipt, maintenance, use and disposition of records, including processes for capturing and maintaining evidence of and information about business activities and transactions in the form of records.)
Records Management oder ERM Electronic Records Management bezieht sich auf die Strukturierungs-, Verwaltungs- und Organisationskomponente zur Handhabung von Aufzeichnungen. ERM ist nicht mit elektronischer Archivierung deutscher Prägung gleichzusetzen, obwohl viele Ansätze sich hier wiederfinden. ERM ist auch eine wichtige Komponente von ECM Enterprise Content Management, die besonders zur Erfüllung von Information Management Compliance zur Erfüllung rechtlicher und regulativer Anforderungen an die Dokumentation von Unternehmensprozessen und Dokumenten notwendig ist.
Zu Records Management gehören folgende typische Eigenschaften:
• Abbildung von Aktenplänen und anderen strukturierten Verzeichnissen zur geordneten Ablage von Informationen
• Thesaurus- oder kontrollierte Wortschatz-gestützte eindeutige Indizierung von Informationen
• Verwaltung von Aufbewahrungsfristen (Retention Schedules) und Vernichtungsfristen (Deletion Schedules)
• Schutz von Informationen entsprechend ihren Eigenschaften, z.T. bis auf einzelnen Inhaltskomponenten in Dokumenten
• Nutzung international, branchenspezifisch oder zumindest unternehmensweit standardisierter Meta-Daten zur eindeutigen Identifizierung und Beschreibung der gespeicherten Informationen
Was ist MoReq?
MoReq ist die wichtigste Spezifikation für elektronisches Dokumenten- und Records-Management in Europa. Die Abkürzung MoReq steht für „Model Requirements for the Management of Electronic Records“. Der europäische Standard spezfiziert die Anforderungen für Schriftgutverwaltung, Dokumenten- und Records-Management sowie die elektronische Archivierung. Die aktuelle Version MoReq2 wurde am 13.02.2008 veröffentlicht und wird im Laufe des Jahres 2008 durch ein Zertifizierungsverfahren für Softwareprodukte komplettiert. Der Standard ist der Maßstab für alle Anwender, die elektronische und papiergebundene Informationen systematisch verwalten und langfristig aufbewahren müssen.
Die Vorteile von MoReq liegen darin, dass Anbieter ihre Produkte zukünftig nur noch auf einen europäischen Standard ausrichten müssen, und nicht mehr für jedes Land einen eigenen Standard in der Implementierung zu berücksichtigen haben. Anwender erhalten durch die einheitlichen Standards Records-Management-Anwendungen, die als standardisierte, austauschbare und kompatible Produkte der Anbieter zur Verfügung stehen werden. Aus der Perspektive der Archive ist vor allem die Kompatibilität und langfristige Stabilität von Interesse. Zudem ist zu erwarten, dass vor dem Hintergrund, dass die Produkte nur noch an einen Standard angepasst werden brauchen, zukünftig günstigere Standardprodukte der Softwarehersteller verwendet werden können.
MoReq liefert im Gegensatz zu anderen Standards (wie z.B. ISO 15489 ) eine sehr detaillierte Anforderungsliste sowohl für funktionale Anforderungen an ein elektronisches und papierbasiertes Records-Management-System, als auch für die dazugehörigen elektronischen Vorgangsbearbeitungs- und Dokumenten-Manage-ment-Systeme.
MoReq schließt auch Richtlinien zur Betrachtung von operationalen Systemen und Managementsystemen ein und erstellt nicht nur Anforderungen für eine Aufbewahrung von elektronischen Aufzeichnungen, sondern auch für die Anforderungen anderer elektronischer dokumentenbezogener Funktionen wie Workflow, E Mail und Elektronische Signaturen. Die Anforderungschecklisten sind modular aufgebaut und stellen eine Art Schablone für die jeweiligen Anwendungsbereiche dar. In diesen Anforderungslisten werden alle Anforderungen beschrieben und jede einzelne Funktion detailliert definiert. Darüber hinaus wird für jede Funktion spezifiziert, ob sie “Pflicht” oder “Wünschenswert” ist. Neben der Beschreibung der Anforderungen enthält MoReq einen Metadatenkatalog der Metadatenelemente, die zur Umsetzung der Anforderungen erforderlich sind.
Wesentliche Inhalte von MoReq2, veröffentlicht im Februar 2008, der Erweiterungen sind die Schaffung einer flexibleren Struktur, die Erweiterung des Basismoduls, die Schaffung neuer optionaler Module, die Entwicklung eines MoReq Compliance Tests für Softwareprodukte, die Ergänzung um eine länderspezifische Einleitung (Chapter “0″) und ein XML-Schema für Objektstruktur und Metadatenmodell. MoReq2 ist bereits ohne Anhänge 200 Seiten stark. Die neun Anhänge umfassen noch einmal 100 Seiten und die Testszenarien gehen weit über 1000 Seiten hinaus. Der MoReq2 Standard baut auf dem MoReq1 Standard auf und lehnt sich in Struktur und Format an diesen an. Dadurch wurde auch eine weitgehende Abwärtskompatibilität zur Ursprungsspezifikation erreicht. Bei der Erstellung von MoReq2 wurden Ergänzungen aus relevanten Quelldokumenten wie z.B. der ISO 15489, der ISO 23081 und der ISO 14721 sowie dem deutschen DOMEA Standard und der UK TNA 2002 Spezifikation berücksichtigt, sowie aktuelle Trends im Umfeld von ECM, ILM, Archivierung und Dokumentenmanagement. MoReq2 beschäftigt sich nicht nur mit dem Kernbereich des Records Management sondern deckt auch den gesamten Entstehungs-, Nutzungs-, Archivierungs- und Aussonderungsbereich ab.
MoReq2 zielt sowohl auf die öffentliche Verwaltung wie die Privatwirtschaft. Der Standard adressiert elektronisches Records Management ebenso wie die Verwaltung von hybriden Dokumenten. Er geht mit den optionalen Modulen weit über das klassische Records Management und besonders über das Schriftgutmanagement deutscher Begriffsprägung hinaus. Gerade angesichts neuer Anforderungen an die Dokumentationspflichten die die 8. Direktive oder die Dienstleistungsrichtlinie ist MoReq2 die Antwort auf die gewachsen Compliance-Vorgaben. Besonders für europaweit aufgestellte oder agierende Organisationen und Unternehmen bietet der europäische Standard den Vorteil, dass für alle Länder nach einer Vorgabe vorgegangen werden kann. Unabhängig von Tests und Zertifizierung definiert der Standard den aktuellen State-of-the-Art des Records Management und erlaubt jedem Interessierten selbst die Requirements und die Test-Cases für eigene Projekte zu nutzen. MoReq schafft letztlich eine hohe Austauschfähigkeit, langfristige Sicherheit sowie einheitliche Rahmenbedingungen für die Entwicklung und den Einsatz von Systemen zum Dokumenten- und Records Management sowie zur elektronischen Archivierung im europäischen Raum.
Aktuelles zu MoReq2
MoReq2 Zertifizierung
Inzwischen wurde vom DLM-Forum Executive Committee über das zukünftige Zertifizierungsverfahren eine Entscheidung getroffen. Testcenter in Europa können sich bei einer Certification Authority, die im Auftrag des DLM-Forum handelt, akkreditieren lassen. Die akkredierten Testcenter wiederum führen die Prüfungen der Produkte entsprechend den MoReq2 Requirements auf Basis der Testszenarien durch. Als Certification Authority wurde die EA European co-operation for Accreditation ausgewählt (http://www.european-accreditation.org/). Obwohl die Testfälle noch nicht abschließend erarbeitet und gereviewt worden sind, wurden bereits eine Reihe von möglichen Testcenter in Europa benannt. Kritik an MoReq2
Während generell MoReq2 positiv bewertet wird, gibt es einige kritische Anmerkungen zum Umfang sowie zum Test- und Zertifizierungsverfahren. Der Aufwand für die Umsetzung von MoReq2 in RM-Produkten wird von einem Berater aus England, der sich an der Kommentierung von MoReq2 während der Entwicklung des Standards nicht beteiligt hatte, als sehr hoch eingeschätzt. Dabei wird jedoch häufig übersehen, dass sich MoReq2 modular aus zwei Bereichen zusammensetzt: Der Records-Management-Kern-funktiona-lität und den optionalen Modulen. Getestet und zertifiziert wird nur der Kernbereich der Basisfunktionalität. Hier ist davon auszugehen, dass jedes “vernünftige” Records-Management-Produkt, besonders diejenigen, die bereits nach DoD 5015.2 zertifiziert sind, diese Funktionalität erfüllen kann.
Auch ein Mitglied des Vorstands des VOI Verband Organisations- und Informationssysteme kritisiert MoReq2. Er sieht keinen Nutzen in MoReq2 und auch keine Nachfrage. MoReq2 wird als Marketing-Hype dargestellt, der nur den Zertifizierungsanbietern nützt. Hierzu gibt es entsprechende Antworten auf http://www.MoReq2.de. Aktivitäten des DLM Forum
Auf seiner letzten Sitzung hat das Executive Committee des DLM Forum ein großes Paket an Unterstützungsmaßnahmen für MoReq2 geschnürt. Das Protokolld er letzten Sitzung des Executive Committee wurde auf http://www.dlm-network.org veröffentlicht. Die Bekanntmachung des Standards soll damit vorangetrieben werden. Die Europäische Kommission wird das DLM Forum durch den Druck des Standards selbst aber auch durch weitergehende Maßnahmen wir die Erstellung einer Kurzbroschüre in allen Sprachen der Europäischen Union unterstützen. Die imbus AG wurde autorisiert, die ersten Produkttests und –zerti-fizierungen, die noch diesen Herbst beginnen, durchzuführen. Eine Reihe von Übersetzungen von MoReq2 in verschiedene europäische Sprache sind in Vorbereitung. (Kff)