ECM Enterprise Content Management wird gern als eierlegende Wollmilchsau gesehen. Die High-End-Produkte sind dementsprechend teuer. Die Software ist auf die Nutzung in Unternehmen ausgelegt. Man geht davon aus, dass technisches Personal die Lösungen betreibt und dass man die Anwender in der Nutzer der häufig sehr komplexen Software schulen kann. Diese Strategie beschränkt den Einsatz von Software auf definierte Märkte und Zielgruppen bei Unternehmen, Organisationen und Verwaltungen. Ist dies der Wahrheit letzter Schluss? Wir wollen auf das Thema einmal aus zwei anderen, sehr verschiedenen Blickwinkeln blicken:
Der private User
„Wer braucht Content Management“ ist die Frage – nur Unternehmen? Eine kleine Marktuntersuchung im Mitarbeiter-, Freundes- und Bekanntenkreis bringt bereits erstaunliches zu Tage. 88,2% der Befragten hatten einen PC zu Hause. 100% davon mit Internetzugang. Der PC hatte minimal 30 GigaByte, maximal 800 GigaByte Speicher, über 62,9% hatten 80 GigaByte oder mehr. Im vergangenen jahrtausend wären hiermit Racks im Rechzentrum gefüllt und im Unternehmen hätte man überlegt, ob man eine Jukebox anschaffen muss. Fast alle nutzen den PC zur Speicherung von digitalen Fotos (94,1%), viele für digitale Musik (70,6%), Informationen aus dem Internet (70,6%) und Electronic Banking (70,6%), eine Mehrheit auch für ihre digitalen Urlaubsvideos und Filme (58,8%) mit erheblichen Datenmengen (mit externen Medien bis in den Terabyte-Bereich). Eine professionelle Datensicherung hatten die Wenigsten (29,4%), alle fertigten aber von den wichtigen Sachen Sicherheitskopien als CD oder DVD. Fast alle Befragten haben auch ein Stick (512 MB bis 2 GigaByte). 41,6% aller Befragten hatten auch einen digitalen Videorekorder für ihren Fernseher (mit Kapazitäten zwischen 80 Gigabyte und 140 GigaByte; immer voll, da man mit dem Editieren, Werbung rauslöschen und auf DVD kopieren nicht nachkommt). Alle Befragten haben Sammlungen von Sicherungs-, Daten- und Film-CDs. Das Maximum lag bei über 1000 CDs/DVDs – ohne die Musiksammlung. Media-Asset-Management-, Dokumentenmanagement- oder einfach nur Verwaltungssoftware – eigentlich Fehlanzeige: hier ein wenig Google, da ein wenig Microsoft, 8,3% der Befragten setzten selbst konfigurierte Dokumentenmanagement-Open-Source-Freeware ein. Ach ja – 16,6% hatten auch ein ELO Archiv mit ihrer elektronischen Signatur zusammen erhalten, setzten aber die Software nicht ein. Der private Markt wird von den Anbietern von ECM-Software bisher nicht beachtet, obwohl er zunehmend riesige Informationsmengen generiert, die auch im Vergleich mit Unternehmen standhalten (man muss halt nur Digital-Video-Nachbearbeitungs-Fan sein). Valide Marktuntersuchungen unter dem Gesichtswinkel „Bedarf an Content-Management-Lösungen im privaten Bereich“ gibt es kaum welche und die 17 Befragten dieser Stichprobe kommen aus einem Technik-infizierten Umfeld, wo Organizer, digitale Photoapparate, Mobiltelefone, PC, Notebooks und Internet zum täglichen Gebrauch gehören. Also in keiner Weise repräsentativ – oder?
Produkte für einen anderen Markt?
Betrachtet man unter dem Blickwinkel der privaten Nutzer den Markt so findet sich die eine oder andere Freeware, die bei Multimedia-PCs mitgeliefert wird. Das Internet wird es richten. Wer heute lokal für seine Musiktitel die Yahoo Jukebox benutzt oder für seine Bilder Google Picasa, den treibt es vielleicht morgen zu Flickr und YouTube. In dem Masse wie Multimedia-PCs Fernseher, Musikanlage, Rekorder und DVD-Spieler ersetzen wird es auch hier einen Bedarf an Software geben (man wird diese aber nicht ECM nennen - zu kompliziert und unverständlich). Wie sieht es denn bei kleinen Unternehmen aus? Ein wenig Projektmanagement, ein wenig Buchhaltung, ein wenig Customer Relationship Management, ein wenig Web, ein wenig Textverarbeitung, Folien und Spreadsheet, vielleicht noch ein Wiki und einen MindManager, einen Terminkalender und ein Adressbuch, ein bisschen Dokumentenmanagement, ein paar Formulare, vielleicht noch ein wenig WebCast und Skype … was braucht es mehr?! Auf diesen Markt der Kleinunternehmen zielen die großen Anbieter von Lösungen im Internet, die Googles dieser Welt, aber auch die Community- und B2B-Plattformen. Der Schlüssel zum Erfolg wird eine geeignete Kombination an Office-, Adress- und Verwaltungsfunktionalität mit etwas Projektmanagement und etwas Dokumentenmanagement sein – mit AJAX wird der Sprung von den herkömmlichen Technologien auch nicht so weit werden. Die Anbieter von Standard-ECM-Lösungen schielen schon mit einem Auge auf diesen Markt – aber noch scheint er „unter ihrer Würde“ zu sein. Wenn sich jedoch SaaS auch in diesem Bereich immer weiter ausbreitet, dann wird es für den einen oder anderen Anbieter durchaus mulmig werden. Preise lassen sich nicht beliebig senken und eine funktionsfähige, sichere Lösung im Internet als Service lässt sich nicht aus dem Ärmel schütteln. (Kff)