Bankfusionen als neue Herausforderung für Dokumenten-Management
Artikel von Olaf C. Heinrich, freier Berater bei PROJECT CONSULT in Hamburg
Für die Banken in der Schweiz und in den USA war 1998 das große Jahr der Fusionen. Nun machen seit Anfang diesen Jahres auch die deutschen Finanzdienstleister mobil, wie beispielsweise die Dresdner Bank mit ParisBas/BNP oder auch die deutsche Bank mit Bankers Trust. Hierzulande ist der Markt der Finanzdienstleistung in letzten Jahrzehnten ohnehin kräftig zusammengeschrumpft: nach Angaben der Deutschen Bundesbank wurden im Jahr 1957 noch über 13 000 Kreditinstitute in Deutschland verzeichnet. Bis zum Jahr 1997 sank die Zahl um mehr als zwei Drittel auf rund 3500. Doch Zusammenschlüsse von Grossbanken geben der Konsolidierung des Marktes auch hierzulande eine neue Dimension. Auf der Jagd nach Kunden haben die europäischen Banken in den letzten Jahren versucht, sich mit ihrem Angebot so weit wie möglich von der Konkurrenz abzuheben. Dies hatte die Einführung von neuen Produkten und Serviceleistungen zur Folge. Beispielsweise bei der Bankautomation entwickeln einige Großbanken in Europa bis zu neunzig Prozent der eingesetzten Software selbst. Dieser Trend zur Diversifikation wird auch noch weiterhin anhalten, glaubt man einer Studie der Unternehmensberatung Frost & Sullivan. Demnach werden sich die Produkt- und Servicepaletten auch in Zukunft in dem Maße erweitern, wie sich die eingesetzte Technologie entwickeln wird.
Gründe für den Fusionsdruck
Die Gründe für den Fusionsdruck liegen im Wesentlichen im Wachstum (Economies of Scale). Hierbei lassen sich die klassischen betriebswirtschaftlichen Ziele wie Nutzung von Synergien, Steigerung von Marktanteilen, Diversifikation, Erhöhung von Einflussmöglichkeiten nennen. Aber auch Rahmenbedingungen wie Globalisierung der Märkte, preisbewußteres Kundenverhalten und neue Möglichkeiten in Technik und Vertrieb spielen für die Banken eine große Rolle. Auch die wachsende Konkurrenz der Direktbanken, Kreditkartengesellschaften und anderer Seiteneinsteigern begründen den Fusionsdruck der Banken. Außerdem bietet die Einführung neuer Techniken wie beispielsweise Internet-Banking erhebliche Sparpotentiale für die Banken: nach Angaben von Detesystem, einer Tochtergesellschaft der Deutschen Telekom AG, kostet eine Überweisung von einem Girokonto in der Filiale für die Bank an Verwaltungskosten zwischen 1,50 und 2 DM, im Internet nur rund 10 Pfennig.
DMS-Systemanforderungen
Sind die Fusionen oder Übernahmen vollzogen, strukturieren die Banken ihre Geschäfte in der Regel neu. Hierbei interessieren sich die Banken besonders für die neuen Softwarelösungen, die zur Senkung der Betriebskosten führen und einen Mehrwert für neue Serviceleistungen darstellen. Doch die technische Integration zweier fusionierter Banken impliziert auch immer eine Reihe offener Fragen. Angefangen bei der Integration von Rechenzentren, Entwicklungssystemen, Produktionsumgebungen über Buchungs- und Stammdatensysteme bis zu Anwendungs- und Berichtsystemen müssen die einzelnen Schritte abgestimmt und durchgeführt werden. Die bestehenden Systeme in den Banken sind in der Regel veraltet und selten in der Lage, die anstehenden Aufgaben zu bewältigen. Da viele Systeme von den bankeigenen DV-Spezialisten selbst programmiert worden sind, bereitet die Zusammenführung der Informationstechnologie bei Fusionen erhebliche Schwierigkeiten. Die Systemanforderungen eines unternehmensweiten Dokumentenmangementsystems sind im Allgemeinen Offenheit und Skalierbarkeit von Servern, Speichermedien sowie Eingabe- und Ausgabegeräten außerdem Erweiterbarkeit von Funktionen, Benutzern oder Arbeitsgruppen aufgrund neuer Prozesse oder Applikationen. Auch die Verteilbarkeit von Information ist eine wichtige Teilanforderung.
DMS-Integration und Konsequenzen
Zwei Integrationsmöglichkeiten lassen sich - neben einer rein strategischen Kooperation - aufzählen, die bei einer Fusion in Frage kommen:
Migration:
Über eine Migration können Banksysteme in ein einzelnes System zusammenlaufen. Das ist in der Regel jedoch sehr kostspielig und zeitlich häufig nicht möglich. Da sich die Kosten proportional zur archivierenden Datenmenge verhält, ist das Migrationsverfahren ab einem bestimmten Datenvolumen nicht mehr effizient. Auch die Einbindung von Kommunikationstechniken wie OLE oder Programmiersprachen wie Java bzw. Active X spielen bei der Migration eine entscheidene Rolle. Idealerweise sollte ein Integrator schon bei der Implementierung ein Migrationskonzept erstellen. Damit wird meist die Schnittstelle geschaffen, die für eine spätere Migration notwendig ist. In der Praxis wird dies jedoch meistens nicht berücksichtigt.
Einsatz von “Middleware”:
Eine Alternative zur Migration stellt den Einsatz einer sogenannten Middleware dar. Diese erlaubt eine Zusammenarbeit beider Systeme unter einem einzigen Desktop. Der Benutzer merkt nicht, aus welchem der beiden Systeme er gerade die angeforderten Informationen bezieht. Beim Einsatz eines Konverters können die Banken zwischen drei verschiedenen Möglichkeiten wählen:
Jede Bank arbeitet mit dem für sich ursprünglichen System weiter. Die Middleware verbindet beide Systeme. Fällt die Entscheidung zugunsten eines der beiden im Einsatz befindlichen Systeme aus, so verbindet die Middleware das alte System mit dem neuen. Die Neudaten werden im Neuen System gespeichert. Ein drittes System kommt zum Einsatz, das ab einem bestimmten Zeitpunkt von beiden Banken gemeinsam genutzt wird. Die Middleware verbindet alle drei Systeme. Die Neudaten fließen ins neue System ein.
Filialsysteme
Das Filialsystem der Banken muß bei der Integration gesondert betrachtet werden, da hier mehrere komplexitätssteigernde Faktoren zusammentreffen. Zum einen sind die Kunden und Mitarbeiter direkt von der Umstellung betroffen. Zum anderen sind die Dokumentensysteme von Filiale zu Filiale unterschiedlich organisiert, von der reinen Papierablage bis hin zu unterschiedlichen Soft- und Hardwaresystemen. Deshalb muß das DMS-System von Filiale zu Filiale einzeln installiert werden. In diesem Zusammenhang ergibt sich ein zusätzliches Problem, wenn bestimmte Software-Funktionalitäten für alle Filialen gleichzeitig installiert werden müssen. Bei der Integration von Filialsystemen ist daher eine eigene Logistik mit Elementen der Hard-/Software-Lösungen zu organisieren und zu testen. Dazu zählt beispielsweise die Einrichtung eines zentralen Helpdesks und die Organisation von Schulungs- und Trainingsprogrammen.
Organisatorische und personelle Aspekte
Die bankeigene DV-Organisation stellt mitunter die größte Hürde bei der Integration dar. Sie ist häufig so organisiert, daß die getroffenen System-Entscheidungen zwar für die momentanen Erfordernisse ausreichen, jedoch nicht die Anforderungen erfüllt, die in einem Jahrzehnt immanente, absehbare Wichtigkeit erlangen. Dieses fehlende strategische Denken hat sich in der Vergangenheit schon als verhängnisvoll erwiesen. Fusionen implizieren häufig auch die personelle Umstrukturierung der beteiligten Unternehmen. Dazu kommen organisatorische und logistische Aspekte. Daher ist auch die Anwendung von neuen Managementformen wie Change Management von großer Wichtigkeit für eine erfolgreiche Systemintegration fusionierter Banken.
Ausblick
Eine erfolgreiche DMS-Einführung bei fusionierten Banken kann demnach nur geschehen, wenn ein klares Verständnis der Ausgangslage vorhanden ist und Ziele eindeutig definiert sind. Zum ersten Punkt läßt sich sagen, dass Abläufe gut dokumentiert sein müssen. Ist dies nicht der Fall, so muß zunächst eine Bestandsaufnahme erfolgen. Um die Unsicherheit beim Kunden so schnell wie möglich beseitigen zu können, muß die Umsetzung ohne Zeitverlust vollzogen werden können. Change Management ist im Zusammenhang einer umgestalteten Unternehmensorganisation und –zielsetzung von großer Wichtigkeit. Die DV-Organisation muß darüber hinaus auch auf ihre planerische Flexibilität geprüft und gegebenenfalls umgestaltet werden. Die Einführung von Dokumentenmanagement-Systemen ist ein Baustein, der neue Möglichkeiten und Chancen für Finanzdienstleister eröffnet. Dokumenten-Management erlaubt den Banken eine verstärkte Kundenorientierung, bei denen Kunden beispielsweise ihre Kundenakte direkt über das Internet einsehen könnten. Der Zugriff sollte hier nicht nur über home banking geschehen, sondern sämtliche Unterlagen sollten für den Kunden einsehbar und recherchierbar sein. Vertragsabschlüsse und Aktien sollten über das Internet lieferbar sein. Wenn die traditionellen Banken sich diesem Trend nicht anschließen, werden andere das Geschäft an ihrer Stelle machen – wie es sich durch die neue Konkurrenz schon abzeichnet. Auch für die Banken sind elektronisch eintreffende Aufträge einfacher und kostengünstiger zu verarbeiten: schätzungsweise 90 Prozent der Prozesse können elektronisch abgewickelt werden.