20090528 \  Artikel \  ECM & die Wirtschaftskrise
ECM & die Wirtschaftskrise
von Dr. Ulrich Kampffmeyer, Geschäftsführer der PROJECT CONSULT Unternehmensberatung GmbH 
E-Mail:
Ulrich.Kampffmeyer@PROJECT-CONSULT.com
 
Man kann es kaum noch ertragen, die immer gleichen Argumente um in der Wirtschaftskrise Optimismus zu verbreiten: „Die Krise als Chance nutzen“. Natürlich setzen auch die Anbieter von ECM Enterprise-Content-Management-Lösungen auf diesen Slogan. Allerorten findet man die Aussage, dass durch den Einsatz von ECM die Unternehmen schneller, effizienter und kostensparender arbeiten können. Dies ist Anlass genug, um einmal einen kritischen Blick hinter die Kulissen zu werfen.
ECM ist wirtschaftlich
Natürlich ist der Einsatz von ECM-Lösungen wirtschaftlich. In hunderten von „Case“- und „Success-Stories“ lässt sich dies nachvollziehen. Betrachtet man aktuelle Untersuchungen zu den möglichen Effizienzpotentialen, dann wird von den Autoren immer wieder herausgestellt, dass wir immer noch dem Zeitalter des Medienbruchs  verhaftet  sind.  Obwohl  seit  Jahren  elektronische Archiv- und Dokumentenmanagementsysteme vermarktet werden,  sind Prozesse immer noch papiergebunden, findet die elektronische Kollaboration nur in Ausnahmen statt, ist Wissensmanagement immer noch hehre Vision.  Dabei zeigen die Success Stories sehr deutlich Einsparungspotentiale auf: Verringerung von Liege- und Transportzeiten, Aktualität und Vollständigkeit aller Unterlagen zu einem Fall, ortsunabhängige, parallele Nutzbarkeit von Dokumenten, Beschleunigung des Posteinganges, bessere Nachvollziehbarkeit von Prozessen und kontrollierte Bearbeitungsvorgänge. Nimmt man die marktgängige Annahme zu Hilfe, die davon ausgeht, dass immer noch über 80% der Personalkosten durch Arbeit mit Dokumenten, dem Ablegen, Suchen, Wiederfinden, Nutzen und Verteilen, gebunden sind und dies in einer Welt mit Medienbrüchen, dann besitzt ECM hier ein ungeheures Potential. Während in den industriellen Prozessen die Automatisierung fast überall weitgehend umgesetzt wurde, muten die Büros immer noch als Hort vergangener Schriftgutkultur an. In großen Organisationen lassen sich so sehr schnell Potentiale von mehreren hundert Millionen Euro Einsparung im Jahr errechnen. Dass dies nicht unrealistisch ist, zeigen Beispiele aus der Posteingangs- und Rechnungserfassung, wo durch automatische Klassifikation Prozesse nicht nur drastisch beschleunigt werden, sondern auch die Unzulänglichkeiten der langsamen und fehlerträchtigen manuellen Erfassung von Informationen überwunden werden. Investitionen rechnen sich hier schon manchmal nach wenigen Wochen. Genauso augenfällig sind die Potentiale in den Bearbeitungsprozessen. Allein durch die elektronische Zuordnung und Weiterleitung, das parallele Bearbeiten von Dokumenten in direktem Zusammenwirken mit den Fachanwendungen, elektronische Wiedervorlagen und Fristenverwaltung, dass Zusammenführen von Dokumenten mit Prozessen und Daten aus anderen Anwendungen sowie die Abschaffung der manuellen Ablage und Suche nach Dokumenten lassen sich bis zu 50% der bisherigen Arbeitszeit für die Erledigung eines Falles ansetzen. Auch beim Thema der Informationserschließung ist ECM unerlässlich. Moderne Suchverfahren wie Enterprise Search, die Nutzung von Teamsites zur Zusammenarbeit von eigenen Mitarbeitern mit Kunden und Lieferanten, der Einsatz von Informationspools, die betroffene Anwender selbst über Änderungen an Prozessen und Dokumenten informieren, und viele andere Technologien, die unter dem Modewort Enterprise 2.0 kursieren, machen das Arbeiten leichter, schneller und konzentrierter. Einsparpotentiale wie Raum und Regalmeter können dagegen nahezu vernachlässigt werden.  Dies alles ist unbestritten und mit Zahlen belegbar.
Fehlende Management-Awareness
Aber dennoch fällt es schwer, diese Argumente auf den Führungsebenen zu platzieren. Dort hat ECM längst noch nicht den Stellenwert wie ERP oder Fachanwendungen, die ECM Anbieter stehen hier häufig immer noch im Schatten von Microsoft, SAP, Oracle, IBM & Co. Mit ihren Standardanwendungen. Ein Grund für die mangelnde Aufmerksamkeit der Führungsebene ist sicherlich die Tatsache, dass dem Thema häufig immer noch das „staubige“, nicht produktive Dokumentenarchivierungs-Image anhängt  und besonders, dass nicht alle Potentiale von ECM sofort und direkt rechenbar sind. Man unterscheidet daher auch zwischen quantifizierbaren und qualitativen Faktoren. Quantifizierbar sind Einsparung von Raum, zum Teil von Zeit oder Betriebskosten. Hier stehen sich auch Kosteneinsparungen und Effizienzsteigerungen als unterschiedliche Ansätze gegenüber. Qualitative Faktoren müssen erst bewertbar gemacht werden. Hierfür sind Maßstäbe zu entwickeln und zu belegen, die von Unternehmen zu Unternehmen, von Branche zu Branche und Anwendungsszenario zu Anwendungsszenario sehr unterschiedlich ausfallen können:  
Wie ist die Vermeidung von Risiken im Compliance-Umfeld mit einer Zahl zu versehen?  
Wie rechne ich eine schnellere Reaktionsfähigkeit auf Kundenanfragen?  
Welchen Wert billige ich einer sicheren, ständig verfügbaren Vorhaltung von Dokumenten zu?  
Wie bewertet man eine größere Zufriedenheit und Effizienz der Mitarbeiter bei Entlastung von Routinetätigkeiten.  
Die Festlegung der Maßstäbe, die auch vom Management anerkannt sein müssen, kann die Potentiale ins Unendliche schießen lassen oder aber den wirtschaftlichen Nutzen eines ECM gegen „0“ wandern lassen.
ECM & ROI
Besonders schwierig wird es, wenn man den ROI von ECM-Investitionen in den Vordergrund rückt und die weichen Faktoren der Verbesserungen vernachlässigt. Für die ehrliche Berechnung eines ROI benötigt man verlässlich Ist-Daten u die Investition dagegen zu rechnen. Doch wer erhebt diese schon gern, wenn dadurch die Unzulänglichkeiten und Fehler der Vergangenheit zu Tage treten?  Wer kann schon die Kosten seiner bisherigen Prozesse und Ablagen in Euro und Cent ausdrücken, so dass sie gegen die Investition in eine neue Lösung, deren Einführung und deren Betrieb einschließlich Wartung und Folgekosten gerechnet werden kann? Hier liegt auch ein Problem vieler Success Stories, die mit dem breiten Daumen den ROI kalkulieren und häufig die Kosten für Einführung, Nutzung und Betrieb nachrangig behandeln. Ganz abgesehen davon, dass die organisatorischen Herausforderungen der Umstellung von Prozessen und Arbeitsweisen durch ECM, nicht immer zu einer vollständigen Ausschöpfung der errechneten Potentiale führen. Von Folgen für die Mitarbeiter beginnend bei der ständigen Bildschirmarbeit bis hin zur Freisetzung „dank“ neuer schnellerer Workflows einmal ganz abgesehen. ECM ist nicht nur positiv im Sinne von Kosten-/Nutzen- und Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen zu sehen, sondern man muss auch die Abhängigkeiten und die organisatorischen Auswirkungen berücksichtigen. Nur auf den ROI zu schielen, ist falsch. Man möchte schließlich nicht einfach das investierte Geld zurück, sondern nachhaltige Verbesserungen im Unternehmen erreichen.
Und damit wären wir wieder beim Ausgangspunkt, der aktuellen Wirtschaftskrise. Der Einsatz von ECM-Lösungen, welcher Ausprägung auch immer, ist unerlässlich. Nur so lässt sich die Wettbewerbsfähigkeit sicherstellen. Dies ist völlig unabhängig von der Wirtschaftskrise zu sehen – die Krise verstärkt nur den Druck auf die Unternehmen und liefert ein eingängiges Vertriebsargument. Dass die Handhabung der wachsenden Informationsmengen und die geforderte immer schnellere Reaktionsfähigkeit nur durch entsprechende Informations- und Kommunikationstechnologien zu erreichen ist, dürfte jedem klar sein. Es gilt nur noch den Entscheidern klar zu machen, dass hier ECM-Komponenten wie Dokumentenmanagement, Records Management, Workflow, Archivierung, Collaboration usw. essentielle Bestandteile einer modernen IT-Infrastruktur sind. Krise hin oder her – oder den Einsatz von ECM geht es mit der Wirtschaft sowieso nicht voran.     (Kff)
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