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Erfahrene Propheten warten die Ereignisse ab
Gastbeitrag von Catrin Graf, Geschäftsführerin der ISIS Consulting GmbH, Melle ( cgraf@isis-consulting.de  )
„Bislang gibt es keine Such-Technologie, die allein alle organisatorischen Anforderungen abdeckt.“ (METAbits, 31.07.2001). Trivialitäten dieser Art kosten wenigstens kein Geld, sondern sind frei im Internet verfügbar. Im Gegensatz zu den großen Analysten-Studien, Reports und Research-Papers – die gibt es ab $3.500.
Will man auf dem Laufenden bleiben, summieren sich die Analysten-Kosten schnell. Und es bedeutet eine Unmenge an Papier, die durchgearbeitet und verdaut werden muß.
Muß?
Nein! Entsorgen Sie Ihre Papierstapel. Die meisten Studien, besonders Marktprognosen, sind das Papier nicht wert, auf denen sie geschrieben sind. Dafür gibt es Beweise und eine Reihe von Gründen. Historisch gesehen überwiegen die Irrtümer. Erinnern Sie sich noch an die Vorhersage Gartners in den späten 80er Jahren, dass OS/2 in den nächsten fünf Jahren das führende Betriebssystem im Desktop-Bereich werde? Es scheint wahrscheinlich, dass wir einmal genauso über die aktuelle Prognose Ovums - der Web Hosting Markt werde im Jahr 2006 auf $ 47 Milliarden Dollar angewachsen sein – lachen. Man muß den Mut derer bewundern, die sich mit langfristigen Prognosen noch immer in die Öffentlichkeit wagen. Andererseits liegt gerade in dieser langfristigen Perspektive der besondere Charme.
Wer fragt im Jahr 2006 danach, ob die Prognosen von vor 5 Jahren eingetroffen sind? Oder wer weiß zu diesem Zeitpunkt noch, welche Marktabgrenzung damals gängig war? Und letztlich: Wer kennt den Propheten von damals überhaupt noch?
Manchmal gewinnt man den Eindruck, dass jeder Markt spätestens 2005 eine Milliarde Dollar wert ist. Der Weg zu solchen Zahlen ist ganz einfach. Aber nicht wie Sie denken: dass Analysten das Freßverhalten ihrer Hühner beobachten oder ihre Kristallkugel befragen, ist ein böses Gerücht. Die IT-Branche funktioniert anders: Die modernen Auguren sprechen vor allem mit Softwareherstellern, die natürlich eigene Interessen verfolgen. Mit Blick auf ihren Börsenkurs zu Wachstumsprophezeiungen verdammt – auch Finanzanalysten benötigen Futter -  neigen sie zu Überoptimismus. Als Fakt von IT-Analysten legitimiert, werden die kumulierten Einschätzungen dem Informationsmarkt wieder bereit gestellt. Und damit nimmt das Unheil seinen Lauf. Der Tanz auf der Luftblase beginnt. Das Zusammenspiel von Softwareanbieter und Analysten ist auch hinsichtlich des Neutralitätsprinzips von Analysten eine unheilige Allianz: „Wer bezahlt, der bestimmt die Musik!“ Eine kleine Aufwandsentschädigung hilft, dass das eigene Produkt als „best-practice“ oder „evaluated“ von Analystenhand geadelt wird. Hinzu kommt, dass die großen Player der Analystenbranche ihren Sitz in den USA haben. Trotz Niederlassungen in Europa ist ihr Verständnis von der deutschen Wirtschaft und dem deutschen Softwaremarkt ausbaufähig.
Dennoch sind Analysten en vogue. Kein Artikel ohne Analystenzitat, keine Messe und kein Kongreß ohne Analysten als Keynote Speaker. Das ist bildungsbürgerlich und trägt zugleich Züge von Eskapismus. Die Welt von übermorgen zu analysieren beschäftigt so sehr, dass man die Probleme von heute nicht mehr lösen muß.
Was tun?
Ganz einfach: Kritisch bleiben! Nicht hinter den neuesten Trends hinterherlaufen! Und die Leute fragen, die eine profunde Markt-, Projekt- und Prozesskenntnis haben. Diese gewinnt man nicht in der Studierstube, sondern aus dem täglichen Kontakt mit den Kunden, an der Front. Studien machen nur Sinn, wenn sie praxisnah sind. Ihre Ergebnisse müssen verwertbar sein und dem Kunden, nicht dem Analysten nutzen. Die Finanzwelt sollte sich nicht länger von bunten Bildern blenden lassen. Unternehmen sollten den eigenen Bedarf genau analysieren und sich nicht von Hypes verwirren lassen. Softwareanbieter sollten sich auf ihre wirklichen Kompetenzen konzentrieren und Soft-ware zu entwickeln, die funktioniert. Wem hilft das Label Content Management wenn die daran geknüpften Erwartungen nicht erfüllt werden können?
Die ersten Luftblasen zerplatzen. Weniger heiße Luft wäre mehr gewesen.

Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag von Frau Graf wurde ungekürzt und ohne redaktionelle Bearbeitung veröffen
tlicht. Die Autorenrechte und die Verantwortung für den Inhalt liegen bei der Autorin.
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