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Dokumenten-Management bei Banken und Sparkassen
Von Dr. Ulrich Kampffmeyer
Teil 2 eines Artikels für die Zeitschrift DoQ (www.doq.de). Teil 1 des Artikels erschien im Newsletter 20000530Newsletter 20000530.
Die Bank-interne Sicht
Bei den Bank-internen Anwendungen stehen andere Wirtschaftlichkeitsanforderungen als bei der Kundensicht im Vordergrund – es muß immer schneller gehen, es muß Personal gespart werden, es darf nicht teuer sein, es muß in die vorhandene Infrastruktur passen. Schon aus diesem Grund war die Einführung von Dokumenten-Management-Technologien häufig nur Flickwerk, getrieben von einzelnen Anwendungsbereichen entstanden Inseln. Die Investition für eine grundlegende Infrastrukturmaßnahme, deren Komponenten allen Abteilungen und Anwendungen zu gute käme, wurde meist gescheut. Enorme Kosten und organisatorische Aufwände standen hier immer dem Argument entgegen – „hierdurch erhalte ich keinen einzigen neuen Kunden und generiere kein einziges zusätzliches Geschäft“. Durch die Internet-Revolution hat sich diese Anschauung gewandelt und derzeit wird von den Finanzdienstleistern auch für die internen Anwendungsbereiche erheblich investiert.
Der einheitliche Postkorb
Heute wird vielfach vom Sachbearbeiter und Kundenberater verlangt, sich mit zahlreichen unterschiedlichen Anwendungen auseinanderzusetzen. Vielfach sind Email-, Internetmail, Fax, Scan-Eingang und elektronischen Aktenbereitstellung in verschiedenen Anwendungen realisiert, ganz abgesehen vom parallelen Papierfluß. Es existieren keine übergreifenden Konten-, Kunden- oder Sachgebietsübersichten. Hierdurch fehlt die Sicherheit, immer alle Informationen vollständig und aktuell zu erhalten. Die Schaffung von einheitlichen Posteingangskörben mit hinterlegten Steuerungs- und Rollenkonzepten in einem Programm und die Bereitstellung von Sichten auf Dokumente, Akten und Vorgänge als elektronische Kunden- oder Sachgebietsmappe ist eines der wichtigsten Desiderate. Trägerplattformen sind vermehrt Standard-Bürokommunikationssysteme wie Lotus Domino oder Microsoft Exchange. Aber auch eine Vielzahl von Dokumenten-Manage-ment- und Workflow-Produkten besitzt diese integrative Qualität, obwohl es Strategie der meisten Bankunternehmen ist, zusätzliche Desktop-Anwendungen zu vermeiden.
Automatische Klassifikation
Die manuelle Indizierung und Zuordnung von Informationen ist immer noch einer der Engpässe des Einsatzes von Dokumenten-Management. Sie ist aufwendig, fehlerträchtig und die Qualität ist von der Disziplin der Mitarbeiter abhängig. Document Related Technologies ermöglichen es heute, gescanntes Schriftgut in auslesbaren Text zu wandeln, zu Prüfungs- und Ergänzungszwecken mit vorhanden Stamm- und Bewegungsdaten abzugleichen und mit effizienten Klassifikationsalgorithmen auf Basis des Inhaltes zu klassifizieren, zu indizieren, zuzuordnen und zu verteilen. Diese Verfahren lassen sich nicht nur auf strukturierte Vordrucke anwenden, die natürlich beim Design bereits auf eine automatisierte Verarbeitung ausgelegt werden sollten. Sie greifen inzwischen auch mit hoher Qualität bei allgemeinem Schriftgut. Ein weiteres wichtiges Einsatzgebiet ist die Nutzung zur Auswertung, Verteilung, Indizierung und Zuordnung von Email und beliebigen anderen, digital erzeugten Dokumenten. Eine Reihe dieser Produkte sind so ausgelegt, daß sie sogar selbsttätig Summenbildungen oder Prüfsummen in den Dokumenten selbst auswerten können. Durch diese Verfahren wird es für die Banken auch interessant, die vollständige Erfassung out-zu-sourcen.
Der „Knowledge Management Work Space“
Zahlreiche der internen Spezialistenbereiche einer Bank benötigen besondere Informationen, die schnell, konsolidiert und bewertet ausgetauscht und genutzt werden müssen. Durch das Internet sind zahlreiche Informationen für den sachkundigen Kunden heute selbst erschließbar, so daß nur durch den Einsatz von Knowledgement-Manage-ment-Systemen die notwendige Aktualität, Quali--tät, Beratungsleistung und Informationsvorsprung gesichert werden kann. Solche Work Spaces dienen einem Team von Spezialisten dazu, standort-, zeit- und sprachunabhängig Informationen bereitzustellen. Sie werden zumeist auf Basis von Groupware mit Replikation oder als Intranet-Lösung erstellt. Sie beinhalten Archive, Anschluß an Wirtschaftsdienste und das Internet, Kunden- und Sachgebiets-bezogen virtuelle Sichten, Agenten zur automatisierten Informationsbeschaffung, Wiedervorlage, Aktions-verfolgung, Dispositions- und Kalkulationsmodule und als Wissensbasis ein frei recherchierbares Dokumenten-Management-System. Aus diesen Lösungen heraus werden inzwischen auch automatisch Mitteilungen an Kunden oder andere Kollegen in der Bank, Reports und Berichte publiziert. Sie wandeln sich damit vom internen, nur für den Spezialisten zugänglichen Wissenspool zu einem allgemeinen Bestandteil des bankinternen Knowledge Managements.
Knowledge Profiling
Die neue, wesentlich komplexere Variante des DataMining ist das Knowledge Profiling. Hierbei werden nicht nur wie bei DataWarehousing oder DataMining nur vorhandene Daten verdichtet, sondern über die unterschiedlichsten Informationen im Unternehmen Profile erstellt und miteinander verknüpft. In diese Profile soll auch das implizite Wissen der Mitarbeiter einbezogen werden und das bereits in Systemen vorhandene explizite Wissen ergänzen. Dies schließt natürlich auch die umstrittenen, personenbezogenen Profile von Kunden und Angestellten ein. Durch die Kombination von Bankprodukt-Daten, Transaktionen, Kundeninformationen und anderen nicht- oder nur schwachstrukturierten Daten entstehen verdichtete Sichten, die herkömmliche Management-Informations-systeme „erblassen“ lassen. Überlegungen zur Markt-positionierung, zu neuen Produkten bis hin zum individualisierten, automatisch generierten Angebot für den Internet-Online-Kunden werden zukünftig über diese Profile gesteuert. Für die Pflege solcher Lösungen wird es zukünftig die Position eines Informations-Managers oder Chief-Infor-mation-Officers in den Instituten geben. Er besetzt die Schaltstelle zur Ermittlung des Wissensbedarfs und der Wissensnutzung.
Integration von Dokumenten-Management-Funktionalität
Die bisher eigenständige Dokumenten-Manage-ment-Funktionalität wird in bestehende Anwen-dungen integriert. Sie wird damit Basistechnologie und Infrastruktur. Vorhandene Fachanwendungen und das hausinterne Groupware- oder Intranet-Kommunikationssystem werden „Document-enabled“. Ziel ist es, eigenständige Clienten zu vermeiden und in der vorhandenen Umgebung die Funktionalität nutzbar zu machen. Dokumenten-Management-Komponenten werden damit zur Middleware, die dem Anwender nicht mehr direkt sichtbar ist. Archivsysteme werden zu nachgeordneten Diensten, die für alle Anwendungen gleichförmig Dokumente bereitstellen. Diese Schichten- und Dienste-orientierte Architektur – unerheblich ob sie auf OS390-Hosts, auf Client-/Server-Systemen oder mit Intranet-Mitteln realisiert wird – löst das Integrationsproblem. Sie bietet darüber hinaus die Möglichkeit, unterschiedliche Produkte verschiedener Hersteller zu nutzen. Der Middleware-Ansatz ist auch dann hilfreich, wenn es darum geht verschieden strukturierte oder unterschiedlich alte Systeme zu erschließen. Bei konsequenter Einhaltung der Architektur und Bereitstellung geeigneter Schnittstellen der Anbieter können so auch „harte Migrationen“ mit dem Umkopieren von Dokumenten vermieden und die Integration von „Fremdsystemen“ im Rahmen von Mergers &Acquisitions realisiert werden. Aus diesem Grund sind heute die Fragen der Einführung von Dokumenten-Management, Workflow, Knowledge-Management und Archivierung meistens mit der Neukonzeption der IT-Architektur verknüpft. Themen wie Plattformfragen, Zugriffssicherheit, Direc-tory Services, Digitale Signatur, sichere Kommunikation, verteilte Lösungen, Notebook-Nutzung, Outsourcing und andere werden sinnvollerweise auch als Bestandteil von Document Related Technologies mitbehandelt.
Der Blick nach draußen:
Vernetzung
Die Vernetzung der Finanzdienstleistung schreitet immer schneller voran. Dies betrifft die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Bankinstituten und Behörden, die Beteiligung am Informationsangebot Dritter und das Verbundgeschäft mit anderen Finanzdienstleistern.
Mehr in Partnerschaften denken
Trotz des Wettbewerbs ergeben sich immer mehr Berührungspunkte im Netzwerk der Banken. Früher beschränkte sich dies auf den Zahlungsverkehr. Die zunehmende Menge der Transaktionen und die Menge der Daten läßt längst die Frage aufkommen, wer muß eigentlich was archivieren. Wird bei jedem Übergang von einer Bank zu einer anderen, mit zahlreichen dazwischengeschalteten Weiterleitungs- und Verarbeitungsschritten, jedesmal archiviert, was an Eingangsdaten, Verarbeitungsdaten, Protokolldaten und Ausgangsdaten entsteht, schwellen die Informationsmengen an. Die Nutzung der archivierten Daten ist jedoch nur bei der Reklamationsbearbeitung oder bei eher seltenen Nachweisen bestimmter Transaktionen notwendig. Da EDI und abgeleitete Verfahren standardisiert, digitale Signaturen gesetzlich geregelt und auch im Internet-basierten Verkehr eine Standardisierung möglich ist, wäre der nächste Schritt, zu regeln, wer welche Informationen in welchem Zustand archivieren muß. Hinsichtlich der Berichtspflichten an Aufsichtsgremien, Nationalbanken oder die Europäische Zentralbank wird sich zukünftig auch ein standardisiertes elektronisches Verfahren etablieren, daß bei den Banken entsprechende Systeme zur Generierung der Informationen und zur Kommunikation erfordert.
Standardisierung
Besonders in verteilt arbeitenden Organisationen besteht ein Bedarf an Standardisierung. Im Zeitalter von Client/Server-Lösungen konnten Abteilungen oder Institute von Bank-Ver-bünden wie der S-Finanzgruppe oder der Volksbankengruppe eigenständig nach Bedarf sich Dokumenten-Manage-ment-Lösungen anschaffen. Workflow, Archi-vierung und Dokumenten-Management wurden nämlich nur selten als zentrale Dienstleistung von den Rechenzentren angeboten. Die vorhandenen Rechner- und Softwaresysteme, aber auch die Bandbreiten der Netzwerke, standen dem häufig entgegen. Konsequente Standardisierung vermeidet nicht nur Mehrfachinvestitionen bei der Entwicklung von Lösungen, sondern ermöglicht einen einfacheren Betrieb, einheitliche Plattformen, günstigere Lizenzen, generalisierte Schulungen und Einführungen sowie – nicht zuletzt – den Dokumentenaustausch und die übergreifende Nutzung von Dokumenten-Management-Lösungen.
Ein Musterbeispiel ist hier die S-Finanzgruppe. Durch das SIZ Informatikzentrum der Sparkassenorganisation (www.siz.de) wurde in den vergangenen Jahren eine vollständige Standardisierung von Archiv- und Dokumenten-Management-Systemen durchgeführt. Die Architektur ist so ausgelegt, daß sowohl zentrale, Kombination von zentral/dezentral, verteilte dezentrale als auch lokale Systeme gleichförmig eingerichtet werden können. Basis ist ein selbstbeschreibendes Informationsobjekt, daß alle Attribute für seine Verarbeitung und Speicherung mit sich trägt und gleichförmig in Systemen unterschiedlicher Anbieter verarbeitet wird. Im Rahmen weiterer Projekte wurde die gesamte Verschlagwortung und Dokumentenklassen-Bil-dung für die Organisation vereinheitlicht. Diese Begrifflichkeit steht dabei nicht nur für Archivsysteme, sondern auch für elektronischen Betriebshandbücher, Organisationsanweisungen, Prozess-Design-Tools, einheitliche Schulungsunterlagen und andere Anwendungen als einheitliche Nomenklatur zur Verfügung. Sie ergänzt so das einheitliche Datenmodell für die Erstellung neuer Anwendungen in der Sparkassenorganisation. Seitens des Deutschen Sparkassenverlages werden alle Vordrucke für eine Automatisierung der Erfassung und Verarbeitung angepaßt. Hierbei werden nicht nur die Vordrucktypen über Barcode identifiziert, sondern in beschreibenden Profilen auch alle Informationen zu auslesbaren Feldinhalten und zur optimierten Verarbeitung mitgeliefert. In ver-schiedenen Projekten bei Instituten der S-Fi-nanz--gruppe entstanden inzwischen Fachanwen-dungen für Zahlungsverkehr, Kredit, Giro, Unter-schriftenkarten, Kundenakte, Listen-bear-beitung und andere. Daneben wurden eher Plattform-orientiert kompatible Lösungen für die Nutzung dieser Systeme im Host-, SAP-, Lotus-Notes- und Intranet-Umfeld geschaffen. Die S-Finanz-gruppe hat damit den Grundstein für die Schaffung von einheitlichen, unternehmensweit einsetzbaren Systemen sowie zur übergreifenden Nutzung von Dokumenten-Manage-ment-Lösungen und den Austausch von Doku-menten über die Grenzen der einzelnen, unab-hängigen Institute hinaus geschaffen.
Verbundgeschäfte
Vergleichbare Anforderungen wie bei der Schaffung eines Archivsystem-Standards in der S-Finanz-gruppe gibt es überall dort, wo Verbundgeschäfte zwischen verschiedenen Angeboten unterschied-licher Finanzdienstleister abgewickelt werden sollen. Beispiel ist z.B. der Bausparvertrag, zu dem es einen Kredit bei einer Bank und eine zusätzlich abgeschlossene Versicherung gibt. In diesem Bei-spiel sind drei verschiedene Unternehmen involviert, die den gleichen Kunden betreuen. Jedes der Unternehmen besitzt Originale, die es gilt den anderen Instituten zur Verfügung zu stellen. Veränderungen in den Vertragsverhältnissen wie Laufzeiten oder Zahlungsmodalitäten betreffen häufig alle drei Institute. Heute werden noch Kopien versandt, Abstimmungen per Telefon und Fax durchgeführt – und der Kunde fühlt sich manchmal wie im „Bermuda-Dreieck“. Hier bieten sich durch elektronische Kommunikation und digitalen Dokumentenaustausch ungeahnte Effizienzpotentiale. Dies beginnt bereits bei der Kalkulation individueller Angebote für den Kunden – unabhängig, ob er sich zuerst im Bankinstitut, bei der Versicherung oder beim Bausparträger meldet. Diese Szenarien sind spätestens dann zu realisieren, wenn All-Finanz-Angebote ins Web gestellt werden. Auch wenn nicht erreichbar ist, daß alle beteiligten Unternehmen, die zu dem auch noch über Niederlassungen, Vertriebspartner, Agenturen oder Makler agieren, einheitliche Dokumenten-Management-Systeme ein--führen, so müssen zumindest die Dokumenten- und Vorgangsaustauschformate, die dazugehörigen Meta-Daten und die Regeln, wie Vertraulichkeit, Datenschutz, Übertragungssicherheit, Archivierung und andere Details definiert und in Schnittstellen zwischen den Systemen abgebildet werden. Hier liegen die Vorteile von bereits vorhandenen Enterprise-Portals wie z.B. mySAP von SAP. Die gesamte Infrastruktur, Datenmodelle und Schnittstellen sind auf solche Verbundgeschäfte, wie die Abstimmung eines Produktes zwischen mehreren „Lieferanten“ und die Interaktion mit dem „Endverbraucher“, ausgelegt. Das Internet bietet hiermit auch Dritten, die nicht selbst eine Bank, eine Versicherung oder ein anderer Finanzdienstleister sind, Geschäfte zu machen. Allein mit der Gründung einer Online-Bank oder Online-Versicherung, die das herkömmliche Geschäft mit Internet-Mitteln nachbildet, ist es heute nicht mehr getan.
Von der realen Bank zur Handelsmarke
Bei der Zahl der in Gründung befindlichen Internet- und Online-Banken stellt sich zunehmend die Frage, ob jedes dieses Institute eigene Technik aufbauen muß oder ob es sich lohnt – bei entsprechender Sicherheit und Abgrenzung – diese Angebote virtuell auf vorhandenen Systemen von Rechenzentren ablaufen zu lassen. Ob dies sich dem Kunden jeweils als eigenständige Bank oder innerhalb einer "Bank Mall“ als ein Angebot von vielen präsentiert, ist hierbei unerheblich. Die virtuelle Welt des Internet läßt bereits heute in anderen Branchen Unternehmen zu reinen Handelsnamen werden. Beispiele lassen sich besonders eindrucksvoll in der Touristik-Branche finden. Es ist natürlich die Frage erlaubt, ob sich eine namhafte Bank mit Filialstruktur jemals auf eine Handelsmarke im Internet „reduzieren“ läßt – die Banken haben jedoch bereits selbst den Weg in diese Richtung beschritten. Kooperationen mit Internet-Portals wie Yahoo, AOL und anderen lassen Bankangebote wie jede andere Banner-Werbung nach Belieben auftauchen und verschwinden. Die großen Portale fühlen sich dabei bereits so mächtig, daß sie keine exklusiven Partnerschaften mit nur einer Bank eingehen. Die virtuelle „Bank Mall“ ist so schon fast Realität, die Angebote der Banken werden parallel und egalisiert dem Internet-Surfer präsentiert. Ohne Dokumenten-Management als Basis-Infrastruktur wird sich die Welt der Banken jedoch weder in die eine noch in die andere Richtung entwickeln.  (Kff)
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