20030328 \  In der Diskussion \  Die Vision vom papierlosen Büro
Die Vision vom papierlosen Büro
Die Vision der automatisierten Vorgangsbearbeitung, bei der alle Papier- und elektronischen Dokumente auf dem Bildschirm präsentiert werden, ist eines der großen Ziele der Informations- und Telekommunikationsindustrie. Diese Vision vom „papierlosen Büro“ habe ich immer als überzogen empfunden, denn eigentlich gehöre ich zu den Verfechtern der „harmloseren“ Variante des „papierarmen Büros“. Anonyme Zitate wie „das papierlose Büro wird es genauso wenig geben wie das papierlose Klo“ (Entschuldigung!) waren indirekt das Leitmotto der seriösen Vertreter der DRT-Branche. Allerdings kann man das Eine ebenso wie das Andere nicht verallgemeinern. Wir müssen uns sogar damit abfinden, dass es noch schlimmer kommt – das menschenleere Büro, das nur noch in der virtuellen Welt der Software existiert. Hierbei geht es aber nicht um den Telearbeitsplatz, sondern die Übernahme von immer Aufgaben der Arbeit mit Informationen durch die Software selbst.
Unsere Arbeitswelt hat sich verändert – Papier ist heute nur eine mögliche Repräsentation von mit elektronischer Unterstützung erstellten Inhalten. Briefe werden mit Textverarbeitungen getippt oder von Hostsystemen als Massenaussendung automatisch generiert. Nur zur Sicherheit nimmt mancher Vortragender noch einen Folienausdruck seiner elektronischen Präsentation mit. Daten werden nicht manuell addiert sondern in Spreadsheets erfasst und verarbeitet. Nach den ersten mühsamen Anläufen Ende der 80er Jahre findet jetzt auch die Handschrift ihren Weg in das multimediale Pad-Note-E-Book. Diplomanden trainieren inzwischen die Verfassung handschriftlicher Texte, um in ihren mehrstündigen Examensklausuren nicht mit Handkrämpfen zu versagen. Selbst die herkömmliche Tastatur des Computers ist bedroht, wenn man die Entwicklung der Spracheingabe und die Virtuosität der Kids bei der Verfassung von SMS-Texten mit gerade mal 12 Tasten blind unter der Schulbank verfolgt. Elektronische Informationen sind auf dem Vormarsch und es gibt zunehmend Dokumente, die nicht mehr für eine physische Repräsentation in Papier ausgelegt sind – personalisierter Content, der nach Belieben in unterschiedlichen Layouts dargestellt wird, oder elektronisch signierte Dokumente, die nur in der virtuellen Softwarewelt gültig sind. Die Anpassung von Gesetzen in den letzten 2 Jahren hat ihr Übriges dazu beigetragen, elektronische Dokumente als rechtskräftig anzuerkennen und die Papierform vielerorts überflüssig zu machen.
Dies alles nährt die Version vom papierlosen Büro. Uns ist klar, dass das Arbeiten mit Papier, verstreut auf einem Schreibtisch, übersichtlich geordnet, mit Markern und Notizen versehen, anders funktioniert als die sequentielle Darstellung von Images auf einem meist zu kleinen Bildschirm. Auch zwei Seiten gleichzeitig nebeneinander darzustellen kann nicht das taktile Gefühl des Wühlens in Papier, des schnellen Zugriffs nach der Erinnerung, das Vermitteln einer Übersicht, ersetzen. Deshalb wird es meines Erachtens zukünftig eine Vierteilung geben:
   
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Das „papierreiche Büro“ des intellektuellen Denkers, der die EDV nur als Unterstützung für die Niederlegung von Ergebnissen und zur Kommunikation benutzt.
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Das „papierarme Büro“ des Knowledge Workers, der in beiden Welten lebt und sich mit dem Medienbruch arrangiert hat, für den die elektronische Welt die Hauptwissensquelle und Arbeitsplattform darstellt, der aber die Welt des Papiers zur eigenen Arbeitsorganisation benötigt.
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Das „papierlose Büro“ des Sachbearbeiters in einer Vorgangsbearbeitung mit früher Erfassung von Dokumenten, dem das digitalisierte Papier zusammen mit Informationen aus anderen elektronischen Quellen zusammenhängend präsentiert wird.
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Das „elektronische Büro“, in dem der Mensch von den Prozessen und der Bearbeitung ausgeschlossen ist, bei dem sich Programme mit einander unterhalten und Geschäfte vollautomatisiert abwickeln, wo der Mensch vielleicht noch für Entscheidungen, Prüfungen und Korrekturen eingreift.
Beim letzteren kann man nicht mehr vom „Büro“ im herkömmlichen Sinne sprechen. In der virtuellen Welt des E-Business und E-Commerce tritt der Mensch noch als möglicher Initiator oder Empfänger auf. Die Bearbeitung von Dokumenten und die Durchführung von Prozessen übernimmt die Software, heute noch vordefiniert und programmiert, in Zukunft sogar die Gewohnheiten des Initiators und Empfängers beobachtend, eigene Regeln bildend und selbstlernend. Heute ist das „papierlose Büro“ vielerorts noch Vision, in manchen Unternehmen und in einzelnen Prozessen hat die Zukunft aber schon begonnen. Ob dies human, sozial und gesellschaftlich verträglich ist, müssen die nächsten Jahre zeigen. (Kff)
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