Die überarbeitete und erweiterte Version von MoReq (Model Requirements for the Management of Electronic Records) dem europäischen De-facto-Standard für das elektronische Records Management steht kurz vor der Veröffentlichung. MoReq ist eine der wichtigsten Spezifikationen für elektronisches Dokumenten- und Records Management in Europa, die sowohl funktionale als auch nichtfunktionale Anforderungen an Records Management Systeme beschreibt und gleichermaßen für Organisation des öffentlichen und privaten Sektors gültig ist.
MoReq spezifiziert Anforderungen zu den Funktionsbereichen, Klassifikationsschemata, Zugriffsverwaltung und Sicherheit, Aufbewahrung und Vernichtung, Erfassung von Schriftgut, Suche, Retrieval und Ausgabe, Administrative Funktionen sowie nicht-funktionale Anforderungen wie z.B. Anwenderfreundlichkeit und Systemverfügbarkeit. MoReq schließt auch Richtlinien zur Betrachtung von operationalen Systemen und Managementsystemen ein und erstellt nicht nur Anforderungen für eine Aufbewahrung von elektronischen Aufzeichnungen, sondern auch für andere elektronische dokumentenbezogene Funktionen wie Workflow, E Mail und elektronische Signaturen. Das ursprüngliche Spezifikationsdokument, inzwischen als MoReq1 abgekürzt, wurde in 11 Sprachen übersetzt, ist aber nicht in einer deutschen Version verfügbar.
Seit Februar 2007 wird an einer Erweiterung des ursprünglichen MoReq-Standards gearbeitet, die zum einen die funktionale Erweiterung umfasst, und zum anderen die Nachweisfähigkeit und Zertifizierung der Implementierung von MoReq in Software-Produkten abdeckt.
Derzeit ist die 4. Entwurfsversion zur Einsichtnahme veröffentlicht und die zu gehörigen Testskripte sind in der 2. Version verfügbar (einsehbar auf www.moreq2.eu). Gerade befindet sich das Dokument zum finalen Review bei dem Auftraggeber, der Europäischen Kommission, so dass mit der Veröffentlichung wie geplant für Ende diesen Jahres bzw. Anfang 2008 zu rechnen ist.
Inhalte von MoReq2
Angesichts der ständigen und rasanten Entwicklungen der Informationstechnologien und der zunehmenden Ausgefeiltheit elektronischer Archive wurde eine Überarbeitung von MoReq notwendig, um seinen Status als anerkanntes europäisches Referenzmodell zu wahren. An der Erweiterung der Spezifikation sind neben dem Autorenteam und dem Herausgebergremium eine Vielzahl von Herstellern, Archiven, Anwendern und Spezialisten in diversen Reviewausschüssen beteiligt.
Wesentliche Inhalte der Erweiterungen in MoReq2 sind die Schaffung einer flexibleren Struktur, die Erweiterung des Basismoduls, die Schaffung neuer optionaler Module, die Entwicklung eines MoReq Compliance Tests für Softwareprodukte sowie die Ergänzung um eine länderspezifische Einleitung, wie aus dem Scoping Report des DLM Forum zu MoReq2 hervorgeht.
Insbesondere werden dabei Neuerungen in relevanten Quelldokumenten wie z.B. in ISO Normen wie 15489, 23081 oder 17421, und anderen nationalen Standards wie der DOMEA Dokumentation und der UK TNA 2002 Spezifikation berücksichtigt.
Flexiblere Struktur
Die im MoReq Standard beschriebenen Anforderungen kommen in diversen Umgebungen mit unterschiedlichsten Gesetzgebungen und Records Management-Kulturen zum Tragen, so dass sie über eine große Flexibilität verfügen müssen, um diesen Ansprüchen gerecht zu werden. Vor diesem Hintergrund wird in MoReq2 eine flexiblere Struktur der Anforderungen geschaffen: zum einen werden nationale Anforderungen in der Spezifikation berücksichtigt, zum anderen wird eine Modularisierung der Anforderungen vorgenommen. So werden diese in ein Basismodul und optionale Module unterteilt und ergänzt.
| | |
| · | Das Basismodul umfasst das Minimum an Anforderungen, das notwendig ist, um ein zuverlässiges Records Management zu garantieren, und beschreibt u.a. die Zugriffsverwaltung und mögliche Rollendefinitionen, Aufbewahrungsfristen und Langzeitarchivierung sowie das mit der ISO 23081 und dem OAIS kompatible Metadatenmodell. |
| · | MoReq befasst sich nicht nur mit Records Management, sondern berücksichtigt auch andere Systeme und Verfahren, die für den gesamten Lebenszyklus von Information relevant sind. Diese Integration anderer Applikationen mit der Records Management-Lösung wird in den optionalen Modulen definiert. Hier werden z.B. Content-Management-System, die Verwaltung nichtelektronischer Aufzeichnungen sowie Vorgangsbearbeitung betrachtet. |
MoReq Conformance Tests
Die Nachweisbarkeit und Zertifizierung der Implementierung von MoReq in Softwareprodukten ist ein wichtiger Bestandteil der MoReq2 Initiative. Im Zuge dessen werden standardisierte Testkriterien und Testskripte entwickelt, um die Einhaltung der definierten Produktanforderungen zu evaluieren. Diese Testsuite wird die Grundlage für ein Zertifizierungsverfahren durch das DLM Forum / DLM Network EEIG sein. Die ersten Zertifizierungen sollen bereits Anfang des Jahres 2008 durchgeführt werden.
Länderspezifische Einleitung
Die einzelnen Sprachversionen von MoReq2 sollen jeweils um eine länderspezifische Einleitung ergänzt werden – im Scoping Report als „Chapter 0“ bezeichnet. Der Einleitungstext soll auf die besonderen Begebenheiten im Bereich des Records Management des jeweiligen Landes eingehen und den Begriff der „Records“ und deren Kontext in der entsprechenden Kultur verdeutlichen. Hier wird zum Beispiel auch das Verhältnis zu existierenden nationalen Standards und Gesetzgebungen beleuchtet werden.
Aktuelle Diskussionen zeigen, dass eine Klärung der Begrifflichkeiten im deutschen Sprachraum ein wichtiger Bestandteile einer deutschen MoReq-Version sein müssen. Der Begriff „Record“ ist nicht hundertprozentig identisch mit dem deutschen Begriff “Dokument”. Kern der Unterscheidung ist der, dass aus “documents” im angloamerikanischen Sinne nicht unbedingt “records” werden müssen. Da MoReq (und verstärkt auch MoReq2) auch den dynamischen Teil des Records Managements abdecken, bevor es zu einer “Archivierung” oder zum “Einfrieren als unveränderliche Aufzeichnung” kommt, ist es zukünftig erforderlich, noch mehr zwischen Dokumenten und Records zu unterscheiden.
Bedeutung von MoReq2 für Anbieter und Anwender
Mit MoReq ist ein etablierter Standard für das elektronische Records Management geschaffen worden, der in der zweiten Phase den Anforderungen aller Beteiligten entsprechend weiterentwickelt wird:
| | |
| · | Anbieter müssen zukünftig ihre Produkte nur noch auf einen europäischen Standard ausrichten, und nicht mehr für jedes Land einen eigenen Standard und aufwändige Test-, Zertifizierungs- oder Zulassungsverfahren in der Implemen¬tierung berücksichtigen. So werden die Aufwände für die Hersteller reduziert und erstmals auch die Möglichkeit geschaffen, Standardprodukte für einen größeren Markt zu erstellen; die Schaffung von Einzellösungen für lokale Märkte wird wegfallen. Dies dürfte sich positiv auf Funktionalität, Preise, Releasepläne, Beratung und Einführung auswirken. |
| · | Anwender erhalten gleichzeitig durch MoReq2 Records Management Anwendungen, die als standardisierte, austauschbare und kompatible Produkte der Anbieter zur Verfügung stehen werden. Die Spezifikation kann zudem als Grundlage für die Systemauswahl verwendet werden, oder aber für die Überprüfung bereits existenter Systeme. Hier ist zu beachten, dass die beschriebenen Anforderungen vollkommen generisch sind und keinesfalls eins zu eins in eine Ausschreibung übernommen werden können. Vielmehr ist eine Auswahl der für den Anwendungsfall relevanten Anforderungen zu treffen und gegebenenfalls fach-spezifische Anforderungen zu ergänzen. |
In Bezug auf Investitionen und strategische Ausrichtung ist so MoReq2 gleichermaßen von Bedeutung für internationale und nationale Institutionen der öffentlichen Verwaltung, für Archive und für Unternehmen der freien Wirtschaft. Besonders international aufgestellte Wirtschaftsunternehmen werden von dem europaweiten Standard profitieren.
Ausblick: MoReq2 und die eGovernment-Landschaft in Deutschland
Weder der Begriff Records Management noch MoReq haben bisher in Deutschland eine größere Bekanntheit erreicht. Dies ist zum Teil auf die sprachliche Dimension des Begriffes und seiner Übersetzung zurückzuführen. In Deutschland spricht man nicht von Records und Records Management sondern von Dokumenten sowie Archivierung, elektronischen Akten und Dokumentenmanagement. So spielte MoReq in der ursprünglichen Version in Deutschland noch keine größere Rolle. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass das Spezifikationsdokument nicht ins Deutsche übersetzt wurde. Ein weiterer Grund scheint zu sein, dass mit DOMEA und dem zugehörigen Zertifizierungsverfahren in der öffentlichen Verwaltung ein Konzept vorliegt, dass sich in Teilen mit MoReq überschneidet und dementsprechend durch seine nationalen Verfechter in den Vordergrund gestellt wird.
MoReq ist jedoch nicht dazu gedacht DOMEA zu ersetzen, vielmehr sollte es eine Kombination der Basisanforderungen mit den deutschen Unterlagen geben, vielleicht sogar eine spezifische Anpassung an die öffentliche Verwaltung und deren Arbeitsweise. Nur so können auch die Anwender in Deutschland von einer zunehmenden Standardisierung im Records Management-Markt und der internationalen Standardisierungsarbeit profitieren.
Bleibt zu hoffen, dass es diesmal eine deutsche Übersetzung von MoReq geben wird und das „Chapter 0“ dazu genutzt wird, die Begrifflichkeiten für den deutschen Sprach- und Rechtsraum sowie die Verhältnisse von MoReq zu anderen Standards in der öffentlichen Verwaltung zu erläutern. (Kff, SR)