20050124 \  Artikel \  Automatische Rechnungsbearbeitung
Automatische Rechnungsbearbeitung
von Dr. Ulrich Kampffmeyer, Geschäftsführer und Principal Consultant der PROJECT CONSULT Unternehmensberatung GmbH.
Automatische Rechnungserfassung:        eine Spezialanwendung des „Information Capturing“
Rechnungen bewegen die Wirtschaftswelt. Es gibt kein Unternehmen, das sich nicht mit der Erfassung, Bearbeitung und Begleichung von Rechnungen beschäftigen muss. Die Rechnungsbearbeitung ist daher einer derjenigen Prozesse, der sich in jedem Unternehmen wieder findet – im Kleinen wie im Großen, selbst abgewickelt oder outgesourct. Die schnelle und sichere Bearbeitung von Rechnungen ist essentiell wichtig. Berechtigung, Inhalt und Höhe der Rechnung sind zu prüfen, Skonti nach Möglichkeit zu erhalten, und die steuerrelevanten Anteile herauszuziehen. Die notwendigen Daten zu Kunden, Verträgen, Bestellungen und Lieferungen befinden sich in der Regel bereits in kaufmännischen Anwendungssystemen, wie Buchhaltungssoftware oder einem ERP-System. Die im Unternehmen eingehende Rechnung führt damit zu einem Medienbruch, das sie erst erfasst, geprüft und gebucht werden muss. Je nach Größe eines Unternehmens sind hiermit z. T. zahlreiche Mitarbeiter beschäftigt. Die Optimierung des Prozesses Rechnungseingangsbearbeitung stellt damit ein großes Nutzenpotential dar.
Es werden heute verschiedene Systeme angeboten, die die Rechnungen erfassen, die Daten in die Buchhaltung und das ERP übermitteln, und sie zugleich einem Workflow-, Dokumentenmanagement- oder Archivsystem zur Verfügung stellen. Je nach Menge, Art und Form der Rechnungen sowie der Prozesse im Unternehmen können sehr unterschiedliche Lösungen zum Einsatz kommen. Diese Lösungen rechnet man dem Themenfeld „Capture“ zu, das eine wesentliche Komponente moderner Enterprise-Content-Management-Systeme darstellt.
Verfahren der automatischen Rechnungserfassung
Rechnungen erreichen die Unternehmen heute auf verschiedenen Wegen. Diese bestimmen die Ausprägung der Rechnungserfassungslösungen. Grundsätzlich zu unterscheiden sind elektronische und papiergebundene Eingänge:
Elektronische Eingangsrechnungen
   
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EDI 
Beim Electronic Data Interchange werden nach vorgegebenen Regelungen zu Formaten, Inhalt und Rechtscharakter Rechnungen elektronisch übermittelt und direkt nach der Konvertierung in die verarbeitenden kaufmännischen Systeme eingestellt. Hier existiert kein Medienbruch.
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Elektronisches Fax 
Bei der Übermittlung von Rechnungen per Fax entsteht ein Medienbruch auch dann, wenn die Faxmitteilungen elektronisch empfangen werden. Das elektronische Fax muss wie ein Papierdokument aufbereitet und verarbeitet werden.
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Elektronische Rechnung als Datei 
Rechnungen können auch als elektronische Dokumente, z.B. ein PDF, übermittelt werden. Der Gesetzgeber verlangt hier den Einsatz der elektronischen Signatur. Je nach Typ des Dokumentes entsteht auch hier ein Medienbruch, da der Inhalt zunächst verarbeitet werden muss.
Alle Formen elektronisch übermittelter Rechnungen haben den Vorteil, dass keine gesonderte Erfassung der Rechnungsdokumente erforderlich ist und diese gleich in Systemen zur weiteren Bearbeitung vorliegen. Optimierungsstrategien zielen daher darauf, Papierrechnungen zu vermeiden und auf möglichst medienbruchfreie elektronische Verfahren umzustellen.
Papiergebundene Eingangsrechnungen
Papiergebundene Eingangsrechnungen stellen das größte Problem im Unternehmen dar, da die Bearbeitung sehr aufwendig ist. Eher manuell orientierte Verfahren ermöglichen es seit langem, Rechnungen zu scannen und zur weiteren Bearbeitung den Sachbearbeitern über Routing-, Workflow- und Dokumentenmanagement-Systeme elektronisch zuzuleiten. Der eigentliche Flaschenhals der Bearbeitung wird jedoch nicht behoben, sondern nur auf die Bearbeitung von Faksimiles am Bildschirm verlagert. Die manuelle Datenübernahme vom Faksimiles stellt dabei eine nicht unbeträchtliche mögliche Fehlerquelle dar und kann die Datenqualität beeinträchtigen. Zur Vermeidung manueller Erfassungs- und Bearbeitungsaufgaben werden Verfahren zur automatischen Rechnungseingangserfassung eingesetzt.
Prozesse der Verarbeitung papiergebundener Eingangsrechnungen
Die Erfassung und Verarbeitung durchläuft mehrere Arbeitsschritte, die je nach Art der Verarbeitung manuell, teil- oder vollautomatisiert durchgeführt werden.
   
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Arbeitsvorbereitung 
Je nach Art des Scan- und Erkennungsverfahrens werden die Rechnungen vorsortiert oder unsortiert für das Scannen vorbereitet.
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Scannen 
Beim Scannen der Rechnungen können in Abhängigkeit vom Volumen verschiedene Scannertypen zum Einsatz kommen. Beim Scannen muss der Zusammenhang von mehrseitigen Einzelrechnungen, Sammelrechnungen und Anlagen gewährleistet bleiben. In der Regel ist mit dem Scannen eine erste Qualitätssicherung der Lesbarkeit und der Vollständigkeit verbunden.
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Erkennen 
Für die Erkennung der Inhalte gescannter Dokumente wird OCR- (Optical Charakter Recognition) oder ICR-Software (Intelligent Charakter Recognition) eingesetzt. Das Faksimile wird in verarbeitbare Daten gewandelt. Je nach Qualität der eingesetzten Erkennungssoftware können automatische Verbesserungsverfahren zum Einsatz kommen. Hierzu gehören die Kombination mehrerer Erkennungssoftware-Engines, Kontextinterpretation der Zeichen und der Abgleich mit vorhandenen Daten. Bei letzterem Verfahren werden die erkannten Daten mit vorhandenen Stamm- und Bewegungsdaten wie Kundennummer, Bestellnummer etc, abgeglichen. In diesen Arbeitsschritt kann bereits eine Nachbearbeitung nicht vollständig oder richtig erkannter Dokumente integriert werden. In automatisierten Verfahren erfolgt dies jedoch erst in einem späteren Arbeitsschritt. Elektronisch eingegangene Fax-Übermittlungen werden wie gescannte Dokumente behandelt.
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Klassifikation und Auswertung 
Verfahren der softwaregestützten automatischen Klassifikation setzen auf dem ICR-Prozess auf. Sie sortieren die Dokumente nach Rechnungssteller, Auftragsnummer etc. und gleichen die Informationen mit Zuständigkeiten der Rechnungsbearbeiter ab. Dies ermöglicht die elektronische Zuleitung zu den zuständigen Sachbearbeitern. Die elektronische Rechnungserkennung geht hier jedoch einige Schritte weiter. So können die Daten einer strukturierten Rechnung ausgewertet werden, Summen gebildet, Rechenfehler ermittelt und mit den Austragsbuchungen der Bestellungen abgeglichen werden. Nach vorgegebenen Regeln in Abhängigkeit der Größe von Summen oder des Rechnungsstellers, können so als richtig und als korrekt gestellte Rechnungen sofort verbucht werden. Hierin liegt der entscheidende Vorteil der automatischen Rechnungsverarbeitung. 
Zum Einsatz kommen dabei verschiedene technische Verfahren in Abhängigkeit der gewählten Software. Diese kann regelbasiert, trainiert, selbstlernend oder alle drei Ansätze kombinierend ausgelegt sein. Bei regelbasiertem Ansatz ist es erforderlich, über die zu erwartenden Rechnungen sehr genau Bescheid zu wissen. Die meisten Systeme werden trainiert, d.h. solange typische Rechnungen erfasst, bis die Qualität stimmt. Selbstlernende Systeme verbessern die antrainierten Eigenschaften kontinuierlich und können sich auch auf neue Rechnungstypen einstellen. Die Kombination der drei Ansätze ist erforderlich, wenn man die Regeln der Verarbeitung mit einer möglichst variablen automatischen Verarbeitung kombinieren will. 
Diesem Prozess kann man natürlich auch alle elektronisch eingegangenen Rechnungen unterwerfen, so dass man eine einheitliche Schnittstelle für die Übergabe der Daten an das kaufmännische System und die Rechnungskontrolle erhält. 
Die Qualität der Verarbeitung lässt sich hier am besten messen: je sicherer, schneller und über Standardschnittstellen integrierbar, desto besser ist das Softwareprodukt.
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Freigabe 
Ist für die Bearbeitung der Rechnungen im Unternehmen zunächst eine Freigabe erforderlich, können die Rechnungen elektronisch an die zuständigen Bearbeiter versendet werden. Diese können die Rechnung am Bildschirm prüfen und im Workflow- oder ERP-System freizeichnen. Je nach Regelwerk kann dies ein mehrstufiger Prozess sein, der dann in eine automatische Buchung oder in die Rechnungskontrolle mündet. Da die Dokumente elektronisch sequentiell und/oder parallel mehreren Bearbeitern zur Verfügung gestellt werden und die Systeme auch Vertretungsregeln beinhalten können, lassen sich die Prozesse erheblich beschleunigen und straffen.
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Rechnungskontrolle 
Bei einem vollautomatisierten Verfahren, werden nur noch Rechnungen, die als falsch berechnet erkannt wurden, entsprechend dem Regelwerk manuell kontrolliert werden sollen und solche, für die keine Stammdaten im ERP-System vorhanden sind, zur manuellen Kontrolle angezeigt. Da dies parallel zum kaufmännischen System am Bildschirm erfolgt, können die Daten sehr schnell korrigiert oder nachgepflegt werden.
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Archivierung 
Da nicht nur die erfassten Faksimiles, sondern auch die extrahierten Daten zur Verfügung stehen, können diese für die automatisierte Indizierung der zu archivierenden Dokumente und Daten verwendet werden. Dies ist ein zusätzliches Effizienzpotential der automatischen Rechnungserfassung.
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Entsorgung 
Wird eine revisionssichere Archivierung im Anschluss an die Verarbeitung für Dokumente und Daten durchgeführt, können die Papieroriginale vernichtet werden. Dies erfolgt in der Regel zeitverzögert nach dem Scannen und der Verarbeitung, um im Bedarf auf das Original der Rechnung noch zurückgreifen zu können.
Wirtschaftlichkeit der automatischen Rechnungserfassung
Die automatische Rechnungserkennung erschließt zahlreiche Effizienzpotentiale für das Unternehmen:
   
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Schnellere, zeitgerechte Bearbeitung 
Besserer Kundenservice, Wahrnehmung von Skonti
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Überwindung des Medienbruches 
Bereitstellung in elektronischer Form am Arbeitsplatzrechner
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Reduzierung des Prüfungsaufwandes 
Regelbasierte automatisierte Buchung für den Großteil der Rechnungen
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Fehlervermeidung der manuellen Erfassung 
Softwaregestützte Prüfung und Abgleich gegen vorhandene, gesicherte Daten
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Personaleinsparung 
Automatisierte Erkennung, Verarbeitung und Buchung
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Elektronische Archivierung 
Keine zusätzliche manuelle Indizierung für die Archivierung von Daten und Dokumenten
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Verfolgung der Rechnungsbearbeitung 
Workflow-gestützte Zustellung, Freigabe, Statusüberwachung und Abarbeitungskontrolle für Rechnungen
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Nachvollziehbarkeit 
Automatisierte Protokollierung aller Verarbeitungsschritte
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Berichtigung an sich ändernden Stammdaten
Hinweise auf geänderte Adressen, Umfirmierungen, Kontoverbindungen etc. auf Basis der ausgewerteten Adressen
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Abgleich zu Bestandssystemen 
Überprüfung gegen eingegangene Lieferungen z.B. in der Materialwirtschaft
Diese Vorteile können jedoch nur genutzt werden, wenn auch die organisatorischen Prozesse der Rechnungsbearbeitung optimiert werden. Die Ausschöpfung der Potentiale ist zudem in starkem Maße von der Art und der Menge der Rechnungen abhängig.
Eine Reihe von Anwendern setzen die automatische Rechnungsverarbeitung nur als Vorverarbeitungssystem für ihre ERP-Lösung ein und nutzen die Archivierungsoption nicht.
Sehr unterschiedliche Rechnungen zahlreicher Kunden, ein hoher Anteil von individuell oder gar manuell erstellten Rechnungen und andere Parameter können die effiziente Nutzung einschränken.
Bei sehr geringen Mengen von Rechnungen ist ein vollständig automatisiertes Verfahren häufig zu aufwändig, so dass nur einzelne der aufgeführten Prozessschritte mit der normalen elektronischen Archivierung anderer Dokumente kombiniert werden. Dennoch ist auch schon bei geringem Rechnungsaufkommen von wenigen hundert Rechnungen im Monat durch die Personaleinsparung und die Beschleunigung der Verarbeitung ein ROI (Return on Invest) erzielbar.
Bei größeren Mengen von Rechnungen kann der ROI im Bereich sogar von nur drei oder sechs Monaten liegen. Dies alles sind Argumente, sich mit der automatisierten elektronischen Rechnungseingangsverarbeitung ernsthaft zu beschäftigen. Nicht umsonst stellt dieses spezielle Anwendungsfeld von „Capturing“ zur Zeit einen der wichtigsten Trends im elektronischen Dokumentenmanagement dar.
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