20000307 \  Märkte & Trends \  DRT-Trends auf der CeBIT 2000
DRT-Trends auf der CeBIT 2000
von Dr. Ulrich Kampffmeyer, Geschäftsführer und Chef-Berater von PROJECT CONSULT
Die CeBIT 2000 stand im Zeichnen von E-Business und der sich ausweitenden Telekommunikationslösungen. Kaum ein Produktname ohne die Kombination mit einem "e" oder "@", kaum eine Telekommunikationslösung die sich nicht in WAP`s, Büroarbeitsplätze, PDAs oder Anwendungen integrieren ließe. Diese Mega-Trends haben natürlich auch ihre Spuren im Markt für Document Related Technologies (DRT) hinterlassen. Manche traditionellen Anbieter wandeln sich in E-Business-Companies und auch vor dem DMS-Umfeld machen die WAP-Displays nicht halt - obwohl die Nutzbarkeit hier eher umstritten sein dürfte. Welche Trends bestimmen jedoch nun die Neuankündigungen im engeren DMS- und weitergefaßten DRT-Umfeld ?
   
 ·
E-Business
SCM (Supply Chain Management) und CRM (Customer Relationship Management) waren nur der Einstieg in die vielfältige Welt Web-basierter Lösungen. Man unterscheidet heute B2E (Business to Employee), also die herkömmlichen Intranet-Systeme, B2B (Business to Business), Extranets als erfolgversprechendster Markt für interaktive Geschäftslösungen, und B2C (Business to Customer), Internet-Lösungen wie ebay, amazon und andere, die zwar pressewirksam sind, jedoch bisher wenig Gewinn abwerfen (siehe hierzu auch die Grafik in der Rubrik „Gastbeitrag“). Ziel von Portal-Anwendungen ist es, diese drei Welten mittelfristig zu "verheiraten". Alle Anwendungen benötigen Komponenten der herkömmlichen DRT, vom Repository für Daten und Dokumente über den Web-basierten Workflow bis zu Konvertern und Viewern. Traditionelle Systeme verschwinden hierbei als "Backend Services". Eine Reihe von herkömmlichen DRT-Anbietern setzt auf diesen Megatrend und trennt sich von herkömmlichen Produktlinien und –strategien oder gar ganzen Unternehmensteilen. Der Markt für E-Business-Lösungen wird jedoch von Unternehmen dominiert, die man nicht der herkömmlichen DMS-Branche zurechnen kann.
   
 ·
Automatische Klassifikation
Die Erfassung von gescannten Images, Fax, E-mail, Office-Dokumenten und Multimedia-Objekten stellte aufgrund der notwendigen manuellen Indizierung den Engpaß von allen Workflow-, Dokumenten-Management- und Archivsystemen dar. Lediglich im COLD-Umfeld war die Extraktion von Indexmerkmalen aus dem Output selbst eine übliche Verfahrenstechnik, die alle DMS-Anbieter beherrschten. Der Ansatz der automatischen Klassifikation geht darüber weit hinaus. In Verbindung mit OCR/ICR-Techniken werden Faksimiles interpretiert und Index-Merkmale nach vordefinierten Schemata herausgefiltert, geprüft und mit Stammdaten abgeglichen. Selbstlernende Programme erlauben die Generierung von Strukturen, Aufbau von Ordnungssystematiken und Zuordnungen anhand der Dokumentinformationen. Die Integration in Betriebssysteme, Bürokommunikations- und Erfassungssysteme erlaubt das sichere "Füttern" beliebiger Archive und Repositories. Die Verfügbarkeit solcher Lösungen entwickelt sind zum K.O.-Kriterium für die DRT-Systemanbieter.
   
 ·
Content Management und XML
Neben den herkömmlichen Architekturen, die auf einer Index-Datenbank und einem separaten Dokumenten-Repository basieren, entwickeln sich zunehmend Internet-orientierte Content Management Systeme (CMS). Die Schlüsselkomponente ist XML. Die Beschreibungssprache XML wird zur Abbildung von Profilen, Bildung von Klassen und als Speicherformat selbst genutzt. Auch wenn XML wider Erwarten auf der diesjährigen CeBIT noch nicht die Schlagzeilen füllte, ist diese Technologie als kleinster gemeinsamer Nenner für den Austausch und die Beschreibung von Dokumenten einer der wichtigsten Trends. XML-basierte Content Management Lösungen werden das herkömmliche Dokumenten-Management (im engeren Sinn) weitgehend ablösen und auch die traditionelle Archivierung in den Bereich der langfristigen Massenspeicherung von Faksimiles und Daten als Hintergrundsysteme abdrängen.
   
 ·
Integration in Bürokommunikation
Zahlreiche Produkte, die direkt in Outlook und Exchange integriert werden können, sowie die Erweiterung der Produktportfolios von Lotus mit Dokumenten-Management-, Workflow- und Archivierungskomponenten, zeigen deutlich den Trend, daß Dokumenten-Management Infrastruktur wird. Die Funktionalität wird unter Oberflächen wie Outlook oder Notes bereitgestellt, eigene Clienten-Oberflächen tauchen kaum noch auf. Die Nutzung von nachgelagerten Services wie Archiven erfolgt direkt aus den Bürokommunikations- und Office-Anwendungen heraus. Bisher aufwendige und teure Lösungen werden damit einem breiten Anwenderkreis zugänglich gemacht. Die Unterschiede zwischen Nachrichten, Daten und Dokumenten verschwinden dabei. Die Vision des einheitlichen Postkorbs für alle Arten von Dokumenten rückt hierdurch in greifbare Nähe.
   
 ·
Ready-to-Work
Die DRT-Anbieter setzen zunehmend auf eine Ready-to-Work-Produktstrategie. Besonders im kostenintensiven Umfeld von ERP-Lösungen ist es ein sehr erfolgversprechender Ansatz, wenn innerhalb weniger Tage z. B. eine komplette SAP-Archvierung in Produktion genommen werden kann. Auch für Standard-Bürokommuni-kationslösungen wie Exchange und Domino sind solche Pakete, z. B. als vorkonfiguriertes E-Mail-Archiv, inzwischen verfügbar. Der zweite Ansatz sind branchenspezifische Lösungen für die öffentliche Verwaltung, Finanzdienstleister, Industriebetriebe, Krankenhäuser, Versicherungen, Verbände und andere, z. T. sehr detailliert auf kleinere Branchen ausgerichtete Produktpakete. Diese sind häufig günstiger, als die allgemeinen, universell einsetzbaren Standardlösungen. Ein dritter Ansatz zielt auf Basislösungen wie Call-Center, B2B-Portals, Personal- und Recruitment-Management und andere Lösungen, die einzeln oder integriert in vorhandene IT-Anwendungen genutzt werden können. Dieser Trend vom Anbieter horizontaler, universeller Produkte zu vertikalen Lösungen zeichnet sich bereits seit mehreren Jahren ab, entwickelt sich jetzt jedoch stürmisch zum Refugium der traditionellen DMS-Hersteller und -Integratoren.
   
 ·
ASP und DM-Outsourcing
Die ersten Frühlingsblüten des DMCO (Document Management Complete Outsourcing), die Erfassung, Indizierung,  Speicherung und Nutzung der Dokumente über einen Provider, lassen sich bereits besichtigen. Diese Variante des ASP (Application Service Provider) ist besonders für Telekommunikations-Unternehmen und Rechenzentren interessant. Die erstgenannten verfügen über Leitungsbandbreite und möchten gern im Zeitalter des Call-by-Call ihre Kunden langfristig binden, die zweitgenannten möchten ihre "Client/Server-verseuchte" Klientele gern rezentralisieren und besitzen die nötige Infrastruktur, Personal und Know-how zum Betrieb von Großlösungen. Im Umfeld des Dokumenten-Managements gilt es jedoch noch einige Hürden zu überwinden: wie kommen Office-Dokumente über den Browser ins zentrale Archiv, wie werden zeitnah Output-Dokumente übermittelt, wie steht es um Mandantenfähigkeit und Sicherheit, wie organisiert man das Scan-Outsourcing nebst Indizierung, wie hoch ist die Verfügbarkeit der Systeme und die Übertragungsgeschwindigkeit, wie lassen sich die Kosten rechnen, damit Dokumenten-Management-Outsourcing interessant wird, wie läßt sich die psychologische Hemmschwelle überwinden, wenn das Unternehmenswissen bei einem Provider liegt? Die Nutzung des Internets macht solche Lösungen jedoch bereits heute für viele virtuell und verteilt arbeitende Firmen und Organisationen interessant.
   
 ·
Security
Bereits beim Thema ASP und DM-Outsourcing ist die Sicherheitsfrage entscheidend für den Erfolg des Geschäftsmodells. Themen wie kryptographische Verschlüsselung, digitale Signatur und selbstbeschreibende Dokumentobjekte mit eigenen Schutzmechanismen spielen eine wichtige Rolle. Besonders die Angriffe auf große Internet-Anbieter und Portale in den vergangenen Wochen haben die Anwender sensibilisiert. Das Thema Sicherheit wird daher eine ähnlich große Dynamik wie das "Jahr-2000"-Syndrom entwickeln. Die meisten DRT-Anbieter haben bereits reagiert und bieten die Integration der digitalen Signatur in ihre Produkte an. Auch im Umfeld der Transaktionsarchivierung zum Nachweis, wer wann wem etwas gesendet hat und was mit dieser Nachricht geschehen ist, dürften sich neue Lösungen zur revisionssicheren Archivierung entwickeln. Auch wenn die Thematik kryptographische Verschlüsselung von Übertragungen eher auf der Netzwerkebene angesiedelt ist, ergeben sich neue Anforderungen an Dokumenten-Management- und Archivlösungen. Zumindest muß sichergestellt werden, daß eine verschlüsselte Nachricht nach Jahren aus einem Archivsystem heraus authentisch reproduzierbar ist und lesbar gemacht werden kann - auch wenn ein Format vom Markt verschwindet oder ein Digitale-Signatur-Zertifikat verfallen ist.
   
 ·
Directory Services und LDAP
Die hehren Wünsche eines Single-Logon, nur einmal vorhandener, konsistenter Adressdaten und einheitlicher Konfigurations- und Infrastrukturinformationen gehen nunmehr in Erfüllung. Directory Services speichern alle notwendigen Informationen und stellen sie einheitlich allen Anwendungen zur Verfügung. Da jeder Anwender bereits in den unterschiedlichen Anwendungen solche Daten speichert, ist der Weg zu einem einheitlichen Service noch weit. Vielfach müssen Migrationen oder die Nutzung von Meta-Directory-Services einkalkuliert werden. Die Dokumenten-Management-, Workflow- und Archivsysteme haben eine Reihe von Eigenheiten, die mit herkömmlichen Benutzerverwaltungssystemen nicht abgebildet werden konnten. Hierzu gehören Konzepte wie Archivsystemräume (DMA document space), Dokumentenklassen, neutrale Benutzerklassen oder Rollenkonzepte, Steuerung der Speicherung über Aufbewahrungsfristen und andere Merkmale, etc. Dies führte dazu, daß fast jedes System eine eigene Benutzer- und Stammdatenverwaltung besitzt, in die allenfalls vorhandene Daten redundant hineingeladen wurden. In einem Directory Service nach ISO X.500 können alle benötigten Daten zentral gespeichert, repliziert und von allen Anwendungen gemeinsam genutzt werden. Dies ist wichtig, wenn Dokumente auch in Groupware-, Intranet- und Bürokommunikationssystemen mit einheitlichen Rechten Verwendung finden sollen. Eine LDAP-Schnittstelle (Lightweight Directory Access Protocol) gehört daher zukünftig zur Standardausstattung jedes DRT-Produktes.
   
 ·
Linux
Der Linux-Pinguin zierte so viele CeBIT-Stände wie noch nie. Linux entwickelt sich zur professionellen Plattform auch für Dokumenten-Management-Lösungen. Dies wird besonders durch den Einsatz von Linux im Web-Server-Bereich angetrieben. Eine Reihe der arrivierten DMS-Anbieter stellt ihre Lösungen bereits auf dieser Platform zur Verfügung. Sie tritt inzwischen fast gleichberechtigt mit Sun Solaris, AIX/OS390 und anderen Derivaten auf. Für die DRT-Branche ist Linux gleich eine doppelte Herausforderung. Es gilt nicht nur das Produkt auf diese Plattform anzupassen, sondern sich zugleich neue Vertriebs- und Preismodelle einfallen zu lassen. Linux wird immer noch von Idealisten getrieben, die ihre Software kostenfrei oder zu äußerst geringen Linzenzkosten anbieten. Inzwischen sind auch Content Management-, Workflow- und Dokumenten-Management-Lösungen von bisher unbekannten Anbietern unter Linux verfügbar, die von eifrigen Programmierern der Gemeinschaft zur Verfügung gestellt werden. Die Linux-Plattform gilt in der Branche als wesentlich stabiler als z. B. das neue Microsoft Windows 2000. Da auch bei professionellen Großanwendern Linux inzwischen viele Befürworter findet, müssen sich die DMS-Anbieter kurzfristig eine adäquate Strategie zur Sicherung ihrer langjährig getätigten Investitionen in die Programmentwicklung überlegen.
   
 ·
Knowledge Management
Zu guter Letzt: Wissensmanagement. Auf der vergangenen CeBIT war das Thema Knowledge Management der wichtigste Fokus. Auf der CeBIT 2000 schien es bereits Allgemeingut der Marketiers und geriet im Vergleich zu anderen Schlagzeilen etwas in den Hintergrund. Zum einen ist eine gewisse Ernüchterung eingetreten. Viele der hervorgerufenen Erwartungen haben sich durch die vorgestellten Produkte nicht erfüllen lassen. Dies betrifft besonders das Microsoft Umfeld, wo die Ankündigungen zurückgenommen und auf die Ebene einer Plattform für KM-Lösungen zurückgeführt wurden. Ohne Zusatzprodukte läuft hier - im Gegensatz zum Lotus-Umfeld - wenig. Die wichtigsten Fortschritte wurden an drei Fronten erzielt: bei der automatischen Klassifikation als Grundvoraussetzung für KM, intelligenten Agenten, die in vorhandenen Informationsbeständen nach Daten suchen, und in der Zusammenführung von Informationen aus unterschiedlichen Quellen an Arbeitsplätzen, die über Profile gesteuert die Information konsolidieren und darstellen. Enterprise-Portals und Groupware-Lösungen stellen hier die erfolgversprechendsten Ansätze dar. Wissensmanagement hat auch einiges an Seriosität zurückgewonnen. Erste individuelle, auf die Bedürfnisse eines Anwenders zugeschnittene Lösungen, sind sehr erfolgreich. Sie machen aber auch deutlich, daß man weit von standardisierten Produkten entfernt ist - eine Knowledge Management-Lösung muß sorgfältig vorbereitet und auf die speziellen Belange des jeweiligen Anwenders zugeschnitten werden.       (Kff)
Weitere Kapitel
© PROJECT CONSULT Unternehmensberatung GmbH 1999 - 2016 persistente URL: http://newsletter.pc.qumram-demo.ch/content.aspx?DOC_UNID=178cc031f32944b5002571f70037a5af