20001218 \  Artikel \  Dokumenten-Management für die öffentliche Verwaltung
Dokumenten-Management für die öffentliche Verwaltung
von Dr. Ulrich Kampffmeyer,  
Chefberater bei PROJECT CONSULT in Hamburg
Die öffentliche Verwaltung gilt als einer der größten potentiellen Märkte für Dokumenten-Management-Lösungen. Der Einsatz moderner Archiv-, Knowledge-Manage-ment-, Workflow- und Dokumenten-Management-Lösungen läßt jedoch noch zu wünschen übrig. Zum einen waren immer Kostengründe ein Argument für die zögerliche Umsetzung – die öffentliche Verwaltung habe einfach nicht genügend Mittel und könne sich nicht die Lösungen wie die freie Wirtschaft leisten. Entscheidender jedoch für die mangelnde Umsetzung waren jedoch eher verkrustete Strukturen, Bürokratismus, altertümliche Arbeitsweisen und mangelnde Akzeptanz des Personals. Die Politik verkündet in regelmäßigen Abständen, daß etwas getan werden muß. Die wenigen vorzeigbaren Pilotprojekte werden dann wieder durch die Medien gereicht. Aber das Problem sitzt tiefer. Dokumenten-Technologien können zur erheblichen Effizienzsteigerung der Verwaltung beitragen, wenn sie denn richtig und adäquat geplant und eingeführt werden.
Verwaltung ist nicht gleich Verwaltung
Gern wird mit dem Begriff öffentliche Verwaltung alles in einen Topf geworfen. Es ist jedoch zu unterscheiden, über welche Bereiche man redet und welche Form von Lösungen für welche Aufgaben geeignet sind. Hier unterscheiden sich die Anforderungen von kommunalen Behörden sehr stark von Landes- und Bundesbehörden. In der Diskussion um Verwaltungsreformen waren in den vergangenen Jahren zwei Hauptrichtungen festzustellen: „der schlanke Staat“ und „die Verwaltung als Dienstleistungsbetrieb“. Um den ersten Begriff ist es etwas ruhig geworden, der Anspruch eines Dienstleistungsbetriebes ist jedoch heftig umstritten. Wie soll man einem Verkehrssünder, der seinen Bußgeldbescheid begleichen soll, nahebringen, daß er ja eigentlich der „hochgeehrte Kunde des Dienstleistungsbetriebes Verwaltung“ ist. Auch muß man dringend unterscheiden, ob es um hoheitliche Aufgaben oder um echte Dienstleistungen geht, die im Prinzip auch ein nichtöffentlicher Anbieter erbringen könnte. Bei den hoheitlichen Aufgaben kann sich die Verwaltung noch zurücklehnen, bei der echten Dienstleistungen steht sie inzwischen im Wettbewerb zur Privatwirtschaft. Betrachtet man unter diesen Gesichtspunkten der unterschiedlichen Formen, Aufgaben und Zuständigkeiten von Verwaltungen das Thema des Einsatzes moderner Informationstechnologien, wird deutlich, daß es nicht die eine, universelle Lösung für die öffentliche Verwaltung geben kann.
eGovernment
Es ist häufig einfach, einfach ein neues Schlagwort einzuführen – eGovernment ist ein solches. Die wenigsten haben jedoch eine Vorstellung, was sich hinter der „elektronischen Regierung“ (dies wäre die korrekte deutsche Übersetzung) verbirgt. Die Verwaltungshochschule Speyer (http://www.hfv-speyer.de ) hat hierfür eine recht griffige Definition gefunden: „eGovernment ist die Abwicklung geschäftlicher Vorgänge beim Regieren und Verwalten mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien mittels elektronischer Medien“. Schon aus der Definition wird deutlich, daß es um mehr geht, als nur Verwaltungsvorgänge zu unterstützen. Die Vernetzung der Regierung und der Verwaltung ist eine wesentliche Komponente. Der nächste Schritt wäre dann die eDemocracy mit der Möglichkeit der Mitbestimmung und des Wählens über digitale Medien.
Ebenso wie sich im Umfeld des Internet und des eBusiness neue Acronyme wie B2B (Business to Business), B2E (Business to Employee) oder B2C (Business to Consumer/Costumer)  herausgebildet haben, finden sich solche Bezeichnungen inzwischen auch im Umfeld von eGovernment:
   
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G2G
Government to Government 
die verwaltungsinterne Lösung
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G2C und C2G 
Government to Citizen und Citizen to Government 
das Zusammenspiel mit dem Bürger
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G2B und B2G 
Government to Business und Business to Govern-ment
das Zusammenspiel mit der Wirtschaft
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G2N und N2G 
Government to Non-Govern-ment-Organization & vice versa 
das Zusammenwirken mit nichtstaatlichen Organisationen
Auch eGovernment hat durch die vielfältigsten Beziehungen, die Verknüpfung von Innen- und Außenwelt und die Einbeziehung von Bürgern, Regierung, Parlamenten und nicht-staatlichen Organisationen einen so hohen Anspruch, der allenfalls nur in Teilen und über einen längeren Zeitraum umsetzbar erscheint.
Innenverhältnis und Außenwelt
Vor der Internet-Revolution in der zweiten Hälfte der 90er Jahre ging es bei Projekten in der öffentlichen Verwaltung um die Lösung interner Probleme, die Verbesserung von Abläufen und die einfachere Bereitstellung von Informationen. Die Schlagworte waren Workflow und elektronische Archivierung. Viele der frühen Projekte scheiterten – zum Teil am Anspruch, zum Teil an den damaligen Unzulänglichkeiten der Technik oder einfach an der Unfähigkeit von Linienorganisationen in Behörden projektbezogen Veränderungsprozesse umzusetzen. Einen neuerlichen Aufschwung nahm die Thematik erst durch die Problematik des Umzuges der Bonner Verwaltung nach Berlin. Im Rahmen von Großprojekten für die Behörden wurden Lösungen entwickelt, mit denen man standortunabhängig jederzeit eine vollständige Bearbeitung der Vorgänge durchführen können sollte. Ein Ergebnis dieser Projekte ist DOMEA – ein Rahmenkonzept für Dokumenten-Management-Lösungen, die in öffentlichen Verwaltungen zum Einsatz kommen sollen. Dieser Rahmen ist jedoch so allgemein gefaßt, daß auch sehr unterschiedliche Lösungen sich heute mit einem DOMEA-Zertifkat schmücken können. Wesentliche Voraussetzungen für kompatible Lösungen wie z.B. die Mitlieferung von angepaßten Aktenplänen für die unterschiedlichen Aufgabenbereiche und Typen von Verwaltungen, meßbare oder prüfbare technische Kriterien, Standards für Meta-Daten etc. sind nur unzureichend ausgeprägt.
Die auf interne Anwendung fokussierten Lösungen wurden inzwischen von der bunten Welt des Internets eingeholt. Ging es hier zunächst nur um die Präsentation eines Landes, einer Stadt, einer Behörde im Internet, so ist es heute bereits das Ziel, den Bürger und besonders die steuerspendenden Gewerbeunternehmen, direkt über Webmittel in das Verwaltungsgeschehen einzubinden. Auch die WebSeiten der öffentlichen Verwaltung durchlaufen hier die vier typischen Stadien des Inter-netauftrittes – die vier „i“:
   
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i1mage
die reine Selbstdarstellung
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i2nformation
bedingt Nützliches neu verpackt
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i3nteraktion
das „digitale Antragsformular“
   
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i4ntegration
Bürger, Verwaltung und Politik werden in digital unterstützten Prozessen zusammengeführt
Vom letztgenannten Idealzustand, der „Online-Behörde“ ist man aber nach Untersuchungen der Bertelsmann Stiftung noch weit entfernt. Bisher nutzen nur 30% der Kommunen das Medien Internet. Durchgängige Prozesse fehlen noch weitgehend – der Bürger kann zwar am Bildschirm seine Ummeldung elektronisch ausfüllen, in der Behörde wird sie aber noch ausgedruckt und in der Gittermappe durch die Gänge geschoben. Viele der Anwendungen erzeugen damit nur einen Anschein von Modernität und wecken Bedürfnisse, die durch mangelnde Integration der externen und interne Prozesse nicht befriedigt werden können.
Es geht nicht um das „Ob“, sondern nur noch um das „Wie“ und „Wann“
Die öffentliche Verwaltung muß sich dem digitalen Zeitalter anpassen. Sie hat zum Beispiel selbst Initiativen wie die elektronische Signatur eingeleitet, die es nunmehr gilt auch im eigenen Haus einzusetzen. Eine Verbesserung von Verwaltungsabläufen, die notwendige Anpassung an die neue digitale Welt, all dies erfordert zukünftig den vermehrten Einsatz von Dokumenten-basierten Technologien. Es wird auch weiterhin eine große Clientele geben, die man digital nicht erreichen kann – so wird z.B. bei der Sozialhilfebewilligung dies kaum über Personalvideo am Internetarbeitsplatz geschehen. Aber die Welt wird zunehmend digital und schnellebiger. Viele Verwaltungen suchten ihr Heil in Workflowsystemen, die die bisherigen Abläufe abbilden und beschleunigen. Dies entpuppte sich jedoch als der falsche Ansatz, da er häufig nur zur „Elektrifizierung der Ineffizienz“ führte. Man darf sich nicht an Prozessen orientieren, die auf den Unzulänglichkeiten einer Papier-bezogenen Ablage und manueller Transportmöglichkeiten beruhen. Lösungen bei denen z.B. Baubehörden mit Vermessungsbüros, Investoren und Architekten vernetzt Bebauungspläne erarbeiten, veröffentlichen und umsetzen, basieren auch auf der Unterstützung von Prozessen – nur nennt dies heute niemand mehr Workflow. Solche integrativen Projekte sind auch nur möglich wenn sich die betroffenen Verwaltungen über liebgewordene Abläufe hinwegsetzen und sich neue Freiräume schaffen.
Dokumenten-Management als Herausforderung für die öffentliche Verwaltung
Dokumenten-Management kann nur dann effizient eingesetzt werden, wenn es mit einer Reform der Verwaltung einhergeht. Es ist ein Irrglaube anzunehmen, daß allein durch die Einführung neuer Technik sich etwas ändert. Besonders kritisch ist dies, wenn eine Verwaltung antritt, um Wissensmanagement, also ein sogenanntes Knowledge Management System einzuführen. Hier wird häufig mit neuen Schlagworten nur etwas cachiert – gerade Wissensmanagement ist nur zu 10% Technik, 90% sind organisatorische, personelle und kulturelle Maßnahmen. Auch wenn heute schon eine Reihe von Standardpaketen für bestimmte Anwendungsbereiche der öffentlichen Verwaltung angepaßt sind – ohne Veränderung der Organisation und Abläufe und ohne entsprechende Qualifizierung der Mitarbeiter, bleibt die Einführung eines solchen Systems nur Stückwerk – egal unter welcher der frei wählbaren Überschriften Archivierung, eGovernment, Knowledge Management, Portal, Content Management, Costumer Relation-ship Management, Dokumenten-Management oder Workflow das Projekt durchgeführt wird. Es muß ein Bewußtsein erzeugt werden, daß die Nutzung neuer Technologien nicht nur neue Chancen sondern auch neue Abhängigkeiten mit sich bringt, daß die Einführung keine einmalige Aktion ist, sondern ein kontinuierlicher Entwicklungsprozess, und daß ein Projekt nur Erfolg hat, wenn alle Beteiligten – nicht nur die Sachbearbeiter, sondern auch die Vorgesetzen und Leitungsebenen sich mit der Technologie auseinandersetzen und diese nutzen.
Es bleibt also einiges zu tun. Die Anbieter müssen kostengünstige, multiplizierbare Lösungen, die die organisatorischen Grundanforderungen abdecken, liefern. Berater und Systemintegratoren müssen sich darauf einrichten, die Einführung besser auf die speziellen Organisationsformen und Anforderungen der jeweiligen Behörde zuzuschneiden. Die Verwaltungen selbst müssen lernen zu erkennen, daß das Verwaltungshandeln einer Behörde und einer anderen mit gleichen Aufgaben garnicht so unterschiedlich sein kann, daß man daraus gleich wieder ein individuelles Softwareentwicklungsprojekt machen muß. Und die Einführung von Dokumenten-Management muß als menschlich-organisatorisch-technisch Gesamtaufgabe begriffen werden. Andernfalls lassen sich die Effizienzpotentiale von Document Related Technologies nicht nutzen.
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