20030612 \  Humor \  Glosse oder Nicht-Glosse – das ist hier die Frage
Glosse oder Nicht-Glosse – das ist hier die Frage
Im Internet gibt es „Fan“-Seiten und „Hate“-Seiten. Die erstgenannten widmen sich Pop- oder Fußballstars, zu Politikern finden sich häufig beide Typen, Firmen und Regierungen werden eher mit „Hass“-Seiten bedient. Nun hat es die kleine PROJECT CONSULT Unternehmensberatung auch geschafft – eine „Hass“-Seite im Internet: 
http://gdpdu.gdambh.com/kontroverse/index.html
Auf der Webseite eines Anbieters von Archivtechnologien finden sich die seltsamsten Zitate, es wird interpretiert und behauptet was das Zeug hält, da wird mit Wollust eine „GDPdU-Kontroverse“ entfesselt und von Einvernommenen bleibt manchmal nur ein Kürzel wie „KM“ übrig. Da der Betreiber dieser Webseite u.a. einen seiner Kollegen im Rahmen einer Glosse argumentieren lässt, habe ich hier die gleiche Form gewählt (lieber Anbieter, bevor Sie gleich zum Anwalt rennen, dies ist eine Glosse, kein Faktenbericht, enthält auch keine Unterstellungen und ist nur im Sinne einer echten Glosse sprachlich persiflierend und zum Teil spekulativ überzeichnend formuliert ...).
Anlass des „GDPdU-Streits“ soll angeblich eine Veröffentlichung in der BIT sein, doch begann alles viel früher. Zwar wurden die „Streit-Parteien“ erst im An-schluss an die BIT-Checklisten-Variante-2a-ohne-Bundesadler-Veröffentlichung inthronisiert, am Anfang stand aber offenbar die Marketing-Idee des Anbieters, mit Hilfe eines „Experten-Workshops“ geeignetes Werbematerial für sein Produkt zu generieren. Da wurden Argumentarien und Checklisten von einer Marketing-Agentur geschrieben, da wurde aus einer Gruppendiskussion mit einem Mal ein alleiniger Autor geboren. Da macht es auch nichts, dass die unautorisierte Checkliste gleich zweimal geändert werden musste: zunächst kam der offizielle „Bundesadler“ raus, dann die Aussagen zur Kryptografie und dass CD für die Archivierung nicht zulässig sei.
Dann kam die Idee, auch ein paar „führende, unabhängige Unternehmensberater“ für die Sache einzuspannen, sich bei denen ein paar Werbeaussagen fürs Produkt abzuholen, „welche wir dann bitte auf unserer Internetseite veröffentlichen dürfen“. Tja, wenn dass immer so einfach wäre?! Als sich dann die angesprochenen Unternehmensberater nicht als kostenfreie Werbeträger missbrauchen lassen wollten und gar wagten, Kritik an den Einlassungen des Anbieters zu äußern, da wurden sie flugs wieder zu nur „sogenannten unabhängigen Beratern“ degradiert. Versuche, mit freundlichen, vertraulichen Hinweisen den Anbieter wieder auf den Boden der Tatsachen zu holen, wurden dann so quittiert, dass man sich als Berater „weigere eine offene Diskussion zu führen“, dass man ja nur „eigene wirtschaftliche Interessen“ verfolge und nicht das Wohl der 3 Millionen Steuerpflichtigen im Auge habe - ja so schnell kann der Fall von den Höhen des Führenden in den Abgrund des Sogenannten erfolgen. Nun gut, die Grundlagen-Dokumente stehen alle im http://www.IT-Forum.org - einer öffentlichen Diskussion steht also nichts im Wege. Außerdem helfen auch alle willkürlichen Exerpte und Verdrehungen nichts, lieber Anbieter: wie wir bei PROJECT CONSULT zum Thema Archivierung stehen ist nun ausreichend in Artikeln und Büchern nachzulesen – und dies nicht erst seit dem Beginn der sogenannten „Checklisten-Kontroverse“ (... endlich Futter für die vielen GDPdU-Websites? Das Thema wurde ja schon langsam langweilig).
So steht nun der arme Anbieter als das Opfer in der Öffentlichkeit - weil ihm die Finanzbehörden und die Berater nicht beim Verkaufen seiner Software und der Medien seiner Partner helfen wollen. Er muss sich nun gegen all die bösen Argumente wehren, die ihm ohne sein Zutun entgegengeschleudert werden, dass es außer WORM/MO vielleicht noch andere Speichermedien geben könnte, auf denen man archivieren kann, dass die Steuerprüfer heute offenbar lieber eine CD mit den steuerrelevanten Daten nach Z3 bekommen möchten als sein favorisiertes Medium (noch ein kleines Auszugszitat aus der Eingabe an das BMF: „... fordern wir, dass die zur Archivierung eingesetzten Speichermedien (...) von der Finanzverwaltung als auch von den Betriebsprüfern für die Datenträgerüberlassung ausdrücklich akzeptiert werden.“ Wie viele Betriebsprüfer gab es gleich noch, denen man das Produkt dann verkaufen könnte, 14.000? Ich werde mal versuchen, so meine Steuern zurückfordern, sehr eleganter Stil (nochmals, dies ist eine Persiflage, ich benutze hier nur das künstlerische Mittel einer Glosse!).
Dass unser Anbieter die sogenannte „GDPdU-Kontroverse“ erst geschaffen und angeheizt hat, mag er jetzt natürlich nicht mehr hören. Mir ist jedenfalls nicht bewusst, dass ich an irgendeinem „Streit“ beteiligt sein soll.
Als unabhängige Unternehmensberatung, die aus-schließlich Endanwender berät, kann es nicht die Aufgabe von PROJECT CONSULT sein, irgendwelche Produkte zu vermarkten. Das ist gegen unsere Unabhängigkeitsgrundsätze. Wir behandeln die Frage der Archivierung und der Medien ausschließlich aus der Sicht unserer Kunden und ihrer individuellen Anforderungen. „DIE“ ultimative Lösung kann es gar nicht geben. Und wie die GoBS schon zeigen, ist das Speichermedium nur ein kleiner Teil einer Lösung zur Handhabung handelsrechtlich- und steuerlich relevanter Daten (dieser Absatz war im Gegensatz zum Rest der Glosse einmal uneingeschränkt ernst gemeint!).
Dabei kann ich die Probleme des Anbieters durchaus verstehen. Wie schreibt er doch an das Bundesministerium der Finanzen: „Die MO/WORM-Technologie wird dabei in den Hintergrund gedrängt ... müssen wir befürchten, dass diese ganz vom Markt verschwinden könnte“ (ich habe mir hier einige unwesentliche Kürzungen des Zitates erlaubt, da auch unser Anbieter ein Künstler in der Zitatauswahl und Verkürzung ist. Der vollständige Text findet sich aber im Internet). Tja, leider hat es die 14“, 12“ und 8“ TrueWORM ja schon erwischt, das ist nun mal die Entwicklung des Freien Marktes. Aber zum Trost kann ich dem Anbieter versichern, dass es immer noch gute Anwendungsmöglichkeiten für den Einsatz von WORM/MO gibt – nur mit der Form der gewählten Vermarktung erreicht man wahrscheinlich eher das Gegenteil als beabsichtigt.
Ob es z.B. die richtige Strategie ist, an das Bundesministerium der Finanzen unter der Überschrift „... Forderungen ...“ zu schreiben „... fordern wir, dass die als Subsystem vorgestellte Technologie in Verbindung mit den genannten Datenträgern von der Finanzverwaltung ausdrücklich als akzeptierte  Lösung für die Archivierung genannt wird und damit auch geworben werden darf“ ...  
... Forderungen ...
 
... der Bundesadler auf der Produktbroschüre ...
 
... die en
dgültige Sicherheit, dass mit diesem Medium alle steuerrelevanten Daten in einem Jahrzehnt immer noch mit wahlfreiem Zugriff zur maschinellen Verarbeitung zur Verfügung stehen ...  
... das Risiko für den Kauf der Sof
tware und der Medien auf das Bundesministerium für Finanzen abgewälzt, haben die doch das Produkt empfohlen ...  
... mal sehn, ob sich die Finanzbehörden hierauf einla
ssen.
Ein anderes Beispiel: ob eine E-Mail an das Bundesamt für Finanzen „dass es seitens der Finanzbehörden unverantwortlich sei, ‚einen bestimmten Berater’ auf einer Veranstaltung zum Thema Archivierung referieren zu lassen“, hilfreich ist, den selbst geschaffenen „Gegnern“ einen Maulkorb zu verpassen?
Aber nein, dass ist doch gar nicht der Sinn der Sache, nicht wahr, lieber Anbieter?! Unser Anbieter möchte doch mit seiner Lösung nur im Rampenlicht stehen. Wenn die Unternehmensberater schon nicht bei der Vermarktung helfen wollen, dann müssen sie halt als Gegner zur Verfügung stehen, an denen man sich reiben, durch immer neue Diskussionen und Presseverlautbarungen kostenfreie redaktionelle Würdigung des Produktes erreichen kann. Das ist doch auch Werbung, nicht wahr, lieber Anbieter?! Also den Mann und seine Initiative am besten ignorieren, bekannten Bonmots von deutschen Eichen folgen? Ist eigentlich das Angebrachteste.
Aber ist dies noch Stoff für eine Rubrik Humor, eine Glosse, eine Persiflage, oder schon etwas anderes? Leider ist der Anbieter mit seinen Aktivitäten gefährlich, ja, ich muss ihm zumindest „Gefährlichkeit“ als Attribut zugestehen, was nicht heißt, dass man ihn angesichts seiner literarischen Aktivitäten noch ernst nehmen müsste.
Aber was wäre denn, wenn er mit seiner Eingabe an das BMF eine Änderung des Fragen-und-Antworten-Kataloges oder gar der GDPdU oder gar der GoBS oder gar der AO oder gar des HGB oder gar des GG erreichen würde, in der dann nur noch seine Software und die Medien seines Fanclubs für eine revisionssichere (lieber Anbieter: Revisionssicherheit ist hier so gemeint, wie im VOI Code of Practice definiert und durch die 10 Merksätze des VOI untermauert ...) Archivierung zulässig sind?
Was machen denn dann die Anwender mit ihren GigaBytes und TeraBytes und PetaBytes? Verwaltung von Daten und Dokumenten über das Filesystem?
Was wird denn dann aus all den vorhandenen Lösungen, wenn für steuerrelevante Daten nur noch WORM/MO gilt? Werfen die Rechenzentren ihre Bandroboter raus und führen Jukeboxen ein?
Was denn, wenn der Arbeitskreis Archivtechnologien im VOI, dessen Leiter unser Anbieter immerhin ist, alle anderen Medien verdammen würde (wird er wohl nicht, aber wer weiß dies schon so genau? Man hört ja aus der angeblich „zuständigen“ Ecke nichts – und wenn man unserem Anbieter folgt, handelt es sich ja auch nur um einen Arbeitskreis, der sich zufällig aus Mitgliedern des VOI zusammensetzt – so auf der CompetenceCenter-Webseite nachzulesen)? Darf man dann CD und DVD nur noch zum Klauen von Musik und Filmchen aus dem Internet benutzten (ich weise ausdrücklich darauf hin, dass dies alles eine Persiflage ist und dass das Klauen natürlich ungesetzlich ist! ... nur zur Sicherheit, falls unser Anbieter auch aus dieser Einlassung sich wieder ein Bruchstückzitat zaubern möchte)?
Was würde passieren, wenn unser Anbieter behaupten würde, alle anderen Medien seien fälschbar und nur seines nicht? Müssen dann vom Bundesministerium für Finanzen die Fabriken für DVD-R, CD-R, bestimmte Festplattensysteme oder WORM-Tapes nicht präventiv sicherheitshalber geschlossen werden, damit der Steuerpflichtige nicht deren unzulässiger Werbung zum Opfer fällt und aus Versehen von denen etwas kauft?
Was machen denn die Anbieter von ERP- und kaufmännischer Software, wenn die Speicherung von Buchungsdaten in einer FiBu nicht mehr nur per Software abgesichert werden darf, wenn nur noch WORM/MO als Speicher zulässig ist? Müssen dann SAP, Oracle, Sage, Navision und wie sie alle heißen sofort online immer auf die Medien unseres Anbieters speichern um weiterhin gesetzeskonform zu bleiben?
Fragen über Fragen.
Zugegeben, diese „Argumente“ sind mindestens alle soweit hergeholt wie einige unseres Anbieters, aber ...
- ja, es gibt Unzulänglichkeiten und Interpretationsspielraum in den GDPdU, aber diese gleich durch eine Empfehlung für ein Produkt, für eine Klasse von Archivspeichermedien einengen? Gesetze und Verordnungen müssen technologieunabhängig gefasst sein um langfristig Bestand haben zu können. Schließlich verlangt der Gesetzgeber 10 Jahre Aufbewahrung steuerrelevanter Daten. Wer weiß denn heute schon, wie die Speichermedien, die Software, die Betriebssysteme in 10 Jahren aussehen? Vor nicht ganz 5 Jahren gab es noch Hersteller, die gaben für ihre WORM-Speichermedien 100 Jahre Garantie - heute ist dieses Laufwerk und Medium nicht mehr am Markt. Also aus medientechnologiehistorischer Sicht doch nur eine Glosse?!
P.S.: von Leserbriefen bitte ich abzusehen, denn für dieses Thema ist mir einfach meine Zeit zu schade – sollte Ihnen auch so gehen. 
 (Kff ... Entschuldigung, um im Kontext zu bleiben: KM)
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