20070329 \  Artikel \  Das Informationsmanagement im Wandel
Das Informationsmanagement im Wandel
Artikel von Dr. Ulrich Kampffmeyer, Geschäftsführer der PROJECT CONSULT Unternehmensberatung GmbH, Hamburg, und Manager der DLM Network EEIG, Worcester. E-Mail: Ulrich.Kampffmeyer@PROJECT-CONSULT.com
Die DMS-Branche ist kreativ – jedes Jahr neue Begriffe: Enterprise Content Management, Information Lifecycle Management, Digital Asset Management, Web Content Management, Records Management. Letztlich sind dies aber nur Facetten eines übergreifenden Informationsmanagements. Man darf heute Lösungen nicht mehr isoliert nur unter einem dieser Schlagworte betrachten sondern muss einen ganzheitlichen Blick auf die Informationslandschaft im Unternehmen gewinnen.
Realisierung einer ganzheitlichen Informationsarchitektur
Neben regulativen Anforderungen des Gesetzgebers z.B. in Bezug auf die Belegpflicht von geschäftskritischen Dokumenten oder publizierten Web-Inhalten bildet vor allem die Zusammenführung verschiedener Insellösungen in integrative und Geschäftsprozess-orientierte Lösungsansätze einen wichtigen Treiber für das Thema in den Unternehmen. Web-Inhalte, Dokumente, Medien-Inhalte sind dabei nur unterschiedliche technische Repräsentationen betrieblicher Informationen, die abhängig sind von ihren technischen oder inhaltlich-rechtlichen Vorgaben wie beispielsweise bei „Records“ oder Dokumenten. Begriffe wie Record und Dokument sind dabei durch ihren Rechtscharakter und Inhalt definiert, Content und Media Asset eher durch die technische Darstellung von Inhalten. Im theoretischen Konzept des Informationswesens stellen sie allesamt „Informationen“ dar, die uns von den Bits und Bytes zum „Wissen“ führen. Die Integration der verschiedenen Verwaltungssysteme dieser Informationsarten hat somit eine strategische Bedeutung. Jedes einzelne kann daher für die Zukunft nur einen kleinen Baustein in einer ganzheitlichen Unternehmensinformationsarchitektur darstellen.
Festhalten, was wichtig ist!
Der Begriff „Informationsflut“, im englischen auch gerne als „Information Overflow“ bezeichnet, ist sicherlich jedem geläufig. Jeder erlebt die tägliche „Überflutung“ mit Informationen – sei es aus den Gesprächen, der Korrespondenz oder den dokumentierten bzw. publizierten Informationen. Unter physiologisch-neurologischen Gesichtspunkten betrachtet ist das menschliche Gehirn zur Aufnahme und Verarbeitung der aller ihm heute angebotenen Informationen nicht mehr fähig. Angesichts der Informationsflut in Unternehmen, Organisationen und Verwaltungen wird dies zunehmend ein Problem.
Dabei geht auch nicht nur um die reine Menge der Information; sondern auch darum, dass der Einzelne mit Nebensächlichkeiten wie Spam, Kopien, syndizierten Fassungen oder unterschiedlichen Bearbeitungsversionen erschlagen wird. Oftmals ist gar nicht mehr zu erkennen, was denn das ursprüngliche Original war. Dann stellt sich sofort die Frage, was ist denn überhaupt relevant und was ist in welcher Version und welchem Format aufzubewahren?  Die Bewertung von Information in ihrem Kontext und in Bezug auf ihren heutigen und zukünftigen Wert wird damit immer wichtiger. Als Anforderung stellt sich aus dieser Entwicklung daher die Forderung nach mehr Effizienz durch Informationsreduktion, die durch den Einsatz von Software bei Eingang, Suche, Indizierung und Nutzung von Informationen erreicht werden soll.
Dies ist allerdings angesichts des heutigen Angebots von Standardsoftware schwierig. Standard-Software, wie sie heute eingesetzt wird, wurde unter dem Gesichtspunkt geschrieben, Informationen zu erstellen, mit Information zu arbeiten. Management- und Archivierungsfunktionalität wurde dabei meistens nicht bedacht. Dies gilt auch für Betriebssysteme, die immer noch sich an den physischen Strukturen von hierarchischen Verzeichnissen orientieren.  Heute benötigen wir für das effiziente Verwalten, Nutzen und Archivieren noch Zusatzsoftware. ECM, DMS und alle anderen Spezial-Softwarangebote leben von der Lücke, die durch mangelhafte oder unvollständige Standardsoftware geschaffen wurde. Der Markt ist hier erst im Aufbruch, denn selbst wo bereits ein ECMS oder DMS eingeführt wurde fehlen bisher der unternehmensweite Einsatz als Informationsmanagementinfrastruktur. Die Integration von ECM-Komponenten als Grund- oder Spezialfunktion im Rahmen der Informationsarchitektur wird daher ein weiteres wichtiges Thema für 2007 sein. Dies wird auch durch neue Entwicklungen bei IT-Architekturen wie SOA Service oriented Architecture und durch neue Trends im Internet getrieben.
Web 2.0 als neues Verständnis vom Informationsmanagement
Eine der treibenden Kräfte ist Web 2.0. Web 2.0 wird sehr unterschiedlichen definiert: als „user-generated Content“, als technologische Entwicklung mit AJAX, als neuer Anlauf von e-Business, mit Community-Software und gesellschaftlicher Wandel. Allen Ansätzen ist gemeinsam, dass die Nutzung der Information im Internet sich verändert. Weblogs, Communities und Wikis zeigen z.B., wie man schon heutzutage mit diesem Medium umgeht. Ganz entscheidend ist auch, dass das Internet und die Möglichkeiten dieser vernetzen Informationsstruktur nunmehr weit aus mehr Menschen als bisher erreicht. Das Web 2.0 gibt jedem mit einem Internet-Zugang eine Stimme – schneller aber auch unkontrollierter als je zuvor. Bloggen, Web 2.0, Wikis, RSS-Feeds – dies sind Gefahren für bestehende restriktive Gesellschafts- und Organisationssysteme. Die Möglichkeit in einfacher Weise Informationen online zu stellen, lässt neue Meinungs- und Informationskanäle entstehen. Es gibt neue Wege, wie sich Information verbreitet, unzensiert aber auch mit nicht gesicherter Qualität und Authentizität.
Für das betriebliche Informationswesen führt dies zu einer Potenzierung der Probleme, da die Technologien des Web 2.0 auch in die Unternehmen Einzug halten: Wikis, Blogs und andere. Zusammen mit der unkontrollierten Flut von E-Mails entstehen neben den zentral kontrollierten Anwendungssystemen immer neue Informationsinseln, die im Sinne einer ganzheitlichen Informationsverarbeitung zusammengeführt werden müssen. Die Grenzen der internen Welt der Unternehmens-IT und der externen Welt des Internets werden dabei mit gemeinsam genutzten Collaborations- und E-Business-Plattformen, mit SaaS Software-as-a-Service-Angeboten und outgesourcten Systemen verschwimmen. Wir erleben einen Paradigmenwechsel – vieles von dem was früher mit internen Systemen durchgeführt wurde verlagert sich in Extranets und das Internet.
Besonders durch Web 2.0 kommt es aber auch zu einer verstärkten Modularisierung und Flexibilisierung der Software. So erlaubt das Konzept von AJAX oder seinem Microsoft-Pendant ATLAS eine asynchrone Server-Interaktion einer Web-Oberfläche, was die flexible Einbindung von Services in Benutzerinterface erlaubt. Da gibt es dann nun Benutzeroberflächen, die es mit erlauben Informationen aus dem Netz direkt in ein Portal, in eine kaufmännische Software, in ein ERP einzubinden – ganz ohne einen umständlichen Integrationsprozess, sondern einfach auf Abruf.
Intelligente Netzdienste versus starre Technologiemonolithen
In den letzten Jahren haben wir sehr schnelle Wechsel in den Technologien erlebt. Ergebnis waren zunehmende Abhängigkeiten von der Verfügbarkeit von Information. Mit dem Wandel geht auch eine wachsende Angst in den Unternehmen einher – zum Beispiel unter dem Gesichtspunkt der elektronischen Archivierung: Wenn sich die Technologie immer wieder ändert, was mache ich dann mit meinen Informationen? Dies sind angesichts des technologischen Wandels, des erwähnten Paradigmenwechsels sehr aktuelle Fragen.
Wenn wir an die Frühzeit der IT denken, da hatten wir die IBM-Boliden; dann kam der PC und Bill Gates. Gerade erleben wir die ausklingende Google-Ära. Noch bestimmen einzelne große Firmen das Netz, die Zukunft stellen aber kleine, spezialisierte Netzdienste dar, die vom Endbenutzer flexibel eingebunden werden können. Mit Netzdiensten wie einer „Writely“-Textverarbeitung, einem „Flickr“-Bilderservice oder einem virtuellen Daten-Safe kommt die nächste große Revolution in der Softwareindustrie. Informationen werden nicht mehr lokal, sondern irgendwo im Netz gehalten. Dies ändert die Auffassung, wie ich mit der Datenverarbeitung und der Datenhaltung umgehe. Früher gab es die Rechner-zentrische Verarbeitung von Informationen, jetzt gibt es die Netz-zentrische Verarbeitung. Die Zukunft stellt die Information selbst im Mittelpunkt und die Verarbeitung erfolgt Informations-zentrisch.
Die Verteilung und Vernetzung der Information erfolgt dabei über alle Kanäle und alle technischen Geräte. Es muss sich nicht mehr um einen herkömmlichen Computer handeln, sondern ist Mobiltelefon, Fernseher oder Kühlschrank im privaten Bereich, Scanner, Navigationsgerät und RFID-bestücktes Paket gehören ebenfalls zu den neuen Medien der Nutzung von Information. Individuell, Intelligent und situationsbedingt werden Informationen verarbeitet und an den Anwender zurückgemeldet. Der Durchdringungsgrad von vernetzten Informationen wird immer größer und die strategische Informationsbasisarchitektur immer bedeutsamer.
Der Anwender rückt stärker im Mittelpunkt
Ein weiterer Aspekt, der sich in der Folge der Verbreitung und Nutzung von Netzdiensten ergibt, ist, dass Informationsmanagement intuitiv und nahezu im Hintergrund laufen muss. Denkt man an herkömmliche Dokumenten- und Web-Content-Managementsysteme, dann besteht die Anwendergruppe in der Regel aus den Mitarbeitern einer Firma oder Organisation. Diese können geschult und auf definierte Abläufe vorbereitet werden – auch auf kompliziertere bzw. weniger anwenderfreundliche Arbeitsvorgänge.
Netzdienste müssen ein wesentlich breiteres Anwenderspektrum abdecken, die anders als in einem Unternehmen nicht bekannt sind. Dies hat Auswirkungen auf die Usability der Software. Diese darf nicht komplex sein, sie muss einfach und intuitiv auch ohne intensive Schulung fehlerfrei und komfortabel nutzbar sein. Denn Angebot wie Saas sind nicht nur für größere Unternehmen interessant. Mehr noch können kleine Firmen, Selbständige und private Anwender von Ihnen profitieren. Neben geschäftliche Daten, Information und Dokumente treten hier die exponentiell wachsenden Informationsmengen beim Privatanwender : digitale Fotos und Videos, digitalisierte Musik und Filme, E-Mails und elektronische Belege usw. Allein von den Datenmengen her ist man im privaten Bereich bereits da angelangt, wo Unternehmen noch zur Jahrtausendwende standen.
Auch spezialisierte Anwendungen für den professionellen Bereich müssen sich zukünftig den Erwartungen stellen, die als Meßlatte zunehmend durch private Massenanwendungen gesetzt werden. Denn in dem Maße wie die Masse der Anwender mit Informationen anders umgeht, stellen sich auch neue Erwartungen an Unternehmenssoftware. Deshalb wird das Thema „Usability“ zunehmend zu einem entscheidenden Thema, wobei es letztendlich um ein gutes Gleichgewicht zwischen den Gestaltungs- und Anpassungsmöglichkeiten des einzelnen Anwenders und der reduziert vorgegebenen Ablaufsteuerung geht.
Last, but not least: Konsolidierung
Über den Begriff „Konsolidierung“ lässt sich durchaus streiten. Es muss geklärt sein geht es um weniger Anbieter, weniger Produkte oder weniger überflüssige Funktionalität. Angesichts der Ausweitung der Funktionalität von ECM-Suiten durch die großen Anbieter scheidet letzteres bereits aus. Viele kleinere und größere Anbieter um Umfeld von Dokumenten-, Records-, Content- und Archiv-Management worden aufgekauft. Galt es früher noch die Portfolios zu erweitern so geht es heute um Marktanteile. Redundante Software und Funktionalität wird konsolidiert. Es wird weiterhin Spezialanbieter oder Subsystemhersteller geben. Die Trends bestimmen aber die großen Standard-Softwareanbieter. Die mittelständischen Spezialanbieter müssen immer mehr auf Nischen ausweichen. Durch die zunehmende Integration von Dokumenten-Technologien in Betriebssysteme, z.B. die Workflow-Foundation von Microsoft, in Datenbanken, z.B. bei Oracle; in Speichersubsysteme, z.B. bei IBM oder EMC, und in kaufmännische Software, z.B. Business Process und Records Management bei SAP, verändert sich der Markt. Basisfunktionalität wird Infrastruktur, spezielle Dokumenten-Technologien überleben nur in speziellen Anwendungslösungen.
Der Druck wird sich hier noch erhöhen und die Konsolidierung des Marktes wird vorangehen – denn die nächste Entwicklung ist bereits absehbar. Dienste im Web-Umfeld und ASP-Angebote von Rechenzentren werden zur Konkurrenz von Inhouse-Lösungen. Bereits heute zeichnet sich die Entwicklung im Web mit Angeboten für Collaboration, Projektmanagement, Textverarbeitung, ERP und Kalkulation deutlich ab. Für kleine und mittlere Unternehmen ist dies bereits die Alternative zur komplexen Inhouse-Lösung, die aufwändig betrieben und bei jedem Releasewechsel selbst angefasst werden muss. Diese Entwicklung wird von Dokumenten-, Enterprise-Content- und Archivierungs-Management nicht haltmachen.
Fazit
Angesichts der Veränderungen im Markt, der Konsolidierung, der technologischen Entwicklungen und des Paradigmenwechsels darf man als Anwender jedoch nicht „den Kopf in den Sand stecken“. Es gilt dem explosiven Wachstum der Informationsflut Herr zu werden. Es gilt Informationsmanagementstrategien zu entwickeln, die auf die Veränderungen anpassbar sind und sich nicht in Abhängigkeit der Release-Strategien der großen Anbieter begeben. Es geht darum, sich um die Information selbst, ihre Verwaltung, ihren Wert und ihre Erschließung zu kümmern. Ziel muss es sein, sich vom technologischen Wandel möglichst unabhängig aufzustellen. Dabei dürfen die Anforderungen jenseits der Technologie nicht vergessen werden. Informationsmanagement ist in erster Linie eine organisatorische Aufgabe. Rein technische Lösungen sind heute und in Zukunft zum Scheitern verurteilt. Professionelles Informationsmanagement muss Strategie, Mensch und Organisation in den Vordergrund stellen. Technologien dienen dann zur Unterstützung von Strategien, Prozessen und Informationsnutzung.
Anm.d.Red.: Auszug aus der Vortragsmitschrift „Das Informationsmanagement im Wandel“, ContentManager.Days 2006, von Ulrich Kampffmeyer in Leipzig (Informationsmanagement im Wandel). Der Vortrag ist auch als digitales Video bei KongressMedia abrufbar.
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