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Microsoft & Dokumentenmanagement
Von Dr. Ulrich Kampffmeyer, Chefberater von PROJECT CONSULT
Schon lange wartete die Document-Related-Technologies-Branche auf den angekündigten Markteintritt von Microsoft. Mit dem „Sharepoint Portal Server“ ist es nunmehr soweit. Hinter der etwas sperrigen Bezeichnung verbirgt sich das bereits seit langem in der DRT-Branche als mögliche Bedrohung diskutierte Produkt „Tahoe“. Tahoe war bereits in zahlreichen Beta-Releases zu besichtigen. Die jetzt offiziell bereitgestellte Version des Sharepoint Portal Servers enttäuscht vom Funktionsumfang  einerseits – andererseits werden sich jetzt viele der traditionellen DMS-Anbieter wieder etwas beruhigter zurücklehnen.
Dokumentenmanagement – ein lang gehegtes Desiderat im Microsoft-Umfeld
Microsoft war immer gut bei Produkten zur Erstellung von Dokumenten, jedoch nie bei deren effizienter Verwaltung. Dies beginnt bei den Restriktionen des Betriebssystems. Genau wie in einem herkömmlichen Ordnersystem sind die Dateien hierarchisch strukturiert abgelegt. Eine datenbankgestützte Verwaltung, die mehrfache Zuordnungen, Versionsmanagement oder ein effizientes Retrieval ermöglicht, scheiterte schon an den Restriktionen des File-Managers. Das Filesystem ist jedoch eine Basiskomponente, die von Tausenden von Anwendungen in Millionen von Installationen genutzt wird.  Begreift man Dokumentenmanagement als Infrastruktur wäre eigentlich die konsequente Ablösung dieser noch aus den Frühzeiten der Betriebssysteme stammenden digitalen Ablageorganisation erforderlich. Bewegung kam in die Verwaltung von Dokumenten besonders durch die völlig anders geartete Verwaltung von HTML-Dokumenten und URL-Strukturen im Internet. Einen echten Fortschritt zur Bereitstellung von echter Dokumenten-Management-Funktionalität war dies jedoch nicht, sondern eher die Eröffnung einer weiteren „Baustelle“. Ob nun im herkömmlichen Filesystem oder auf dem Webserver – der Anwender ertrinkt zunehmend in den Mengen schlecht organisierter Dateien und Dokumente. Auf die Überwindung der Mängel von Datei- und Bürokommunikationssystemen spezialisierte sich ein ganzes Segment der Dokumenten-Management-Branche: Systeme zur Archivierung von Dokumenten, zur dynamischen Verwaltung mit Checkin und Checkout, Versionsmanagement, spezielle Viewer für Dokumentenformate, Workflow zur kontrollierten Nutzung von Dokumenten – die Liste der Funktionalität läßt sich beliebig verlängern. Microsoft sicherte seine eigene Position im Markt mit zahlreichen Kooperationen mit führenden Anbietern ab und versuchte so auch Lotus Paroli zu bieten. Mit Domino bewegte sich Lotus von Email und Groupware immer mehr in den Dokumenten-Management-Markt hinein. Eine Reaktion seitens Microsoft war längst fällig.
Document Management oder Content Management ?
Kernstück von Tahoe, oder besser des Sharepoint Portal Servers, ist das "Web Storage System". Hierbei handelt es sich um eine Datenbank für schwach strukturierte Informationen. Genaugenommen kann die Funktionalität den File-Manager bereits heute ersetzen, jedoch wurde bei der Auslieferung des neuen Office 10 das „Local Web Storage System“ nicht berücksichtigt. Auch fehlt der „Office Designer“, der die Verbindung zwischen den Office Anwendungen und dem Web Storage System generieren kann. Wie häufig bei Microsoft ist nicht alles rechtzeitig fertig geworden.
Das Web Storage System kann Dokumente, Grafiken, Skripts und beliebige andere Dateien aufnehmen und zeigt sich flexibel beim Zugriff mit unterschiedlichen Clienten. Jedes Element im Web Storage System läßt sich über eine URL ansprechen und so über einen Browser abrufen. Daneben können Anwendungen über die HTTP-Erweiterung Web-based Distributed Authoring and Versioning (WebDAV Standard) in die Datenbank schreiben. WebDAV löst damit auch ältere Dokumenten-Management-Standards wie ODMA und DMA ab, die fast ausschließlich Client/Server-orientiert waren. Microsoft unterstützt WebDAV bereits mit Office 2000. Weitere Zugänge zum Dokumentenspeicher entstehen durch die Möglichkeit, Ordner über Server Message Block (SMB) als Dateisystem zu exportieren. Fast selbstverständlich ist, daß andere Programme über die Standard-Microsoft-Schnitt-stellen MAPI und OLE DB sowie COM-Komponenten Active Data Object (ADO) und das Collaborative Data Object (CDO) zugreifen können.
Die Funktionalität soll allen beliebigen Microsoft 2000 Anwendungen zur Verfügung stehen, jedoch fehlen eine Reihe Funktionen, die ein traditionelles Dokumentenmanagement besitzt. Dies wird besonders deutlich bei den Recherchefunktionen. Hier ist noch nicht einmal eine feldorientierte Suche möglich. Andere typische Funktionen wie Checkin und Checkout, Versionierung und Rollenbasierte Zugriffsrechte sind vorhanden.  Für eine einfache Nutzung bei der Informationserfassung und Indizierung ist der „Category Assistent“ gedacht, der in der Lage ist, aus den Metadaten von Office-Dokumenten (Autoren, Datum, Schlagworte etc.) und aus dem Inhalt der Dokumente selbst Ordnungskriterien und Schlagworte zu ermitteln. Microsoft bewegt sich hier in das Themengebiet Auto-Categorization hinein. Eine wichtige auf das Web-Publishing ausgerichtete Funktionalität ist das Genehmigungsverfahren, das den Bearbeitungsfluß von der Erstellung im Team, Freigabe bis zur Publikation abdecken kann. Hier positioniert sich Microsoft im Wettbewerb zu Web-Publishing-Tools. Die Portalfunktionalität soll dann dem Leser solcher Informationen ermöglichen, diese in personalisierten Sichten zu organisieren. Die eingebaute Suchmaschine umfaßt einen automatischen Crawler, der auch andere Datenquellen als den Webstorage indizieren kann. Neben den herkömmlichen Dateisystemen, Websites und Public Folders von Exchange zählen dazu auch Datenbanken von Lotus Notes. Tahoe kann aber Indexe von relationalen Datenbanken nicht in die Suche mit einbeziehen und unterstützt selbst keine feldorientierte Suche. Wesentliches Merkmal der neuen Lösung ist die Unterstützung von XML. Microsoft besitzt hier jedoch keine eindeutige Strategie, XML- und HTML-Nutzung sind miteinander vermengt und von einer Unterstützung offener XML-Standards ist noch nicht viel zu sehen. Es wird deutlich sichtbar, daß der Sharepoint Portal Server als Ablöseprodukt für den heutigen Site-Server gedacht ist, jedoch nicht als Ergänzung oder Folgeprodukt für den SQL-Server oder Exchange. Die Ausrichtung ist damit weniger in Richtung klassisches Dokumentenmanagement sondern eher in Richtung Web Content Management positioniert, wie die Ausrichtung auf URL-basierte Strukturen und der Einsatz von XML zeigen.
In Tahoe wurde unterschiedlichste Funktionalität zusammengepackt, von der Edition und Publikation von WebSite-Inhalten, von einem Web-orientierten Objektmanagement, ad hoc Workflow, Grundfunktionen des klassischen Dokumenten-Managements, Ansätze einer automatischen Klassifikation bis hin zu „Personalization“. Einen richtigen „runden“ und fertigen Eindruck macht dies alles jedoch noch nicht. Es wird auch deutlich, daß eine Reihe der integrierten Funktionalität von Microsoft dazu gekauft wurde. Interessant wird es auch werden, wenn es um die Replikation und den Abgleich mit lokalen Arbeitsplätzen, besonders mit Notebook-nutzenden „Roaming Users“, zukünftig gehen wird.
Bedrohung oder Marktöffnung ?
Natürlich ist die Dokumenten-Management-Branche zu Recht aufgeschreckt. Nicht nur wegen des Markteintritts von Microsoft, sondern auch bezüglich der Ankurbelung des damit verbundenen  „Wettrüstens“. Mit dem Discovery Server hat Lotus gerade noch rechtzeitig seine Produktpalette ergänzt, um Tahoe Paroli bieten zu können, auch im mySAP- und im Oracle-Umfeld wird man mit noch mehr Dokumenten-Management-Funktionalität bald rechnen können. Durch die Kombination unterschiedlicher Technologien, wie z.B. bei Ceyoniq`s CetIQ mit automatischer Klassifikation, Dokumentenmanagement und Archivierung, rüsten auch die traditionellen Anbieter ihre Produktpakete auf. Dabei fürchten die Anbieter weniger die noch derzeit unvollständig ausgeprägte Funktionalität des Microsoft Produktes, ob die Vermarktungs- und Werbemacht des Softwaregiganten. Viele setzen jedoch auch die Hoffnung darauf, daß Microsoft nun endgültig den Massenmarkt für Archivierungs-, Workflow-, Knowledge-Manage-ment- und Dokumenten-Management-Techno-logien mobilisiert. Es wird jedoch nicht jedes heute am Markt plazierte Unternehmen dem steigenden Wettbewerbsdruck standhalten können.
Fragt man beispielsweise direkt betroffene Anbieter, so wird Microsoft’s Tahoe jedoch nicht als direkter Wettbewerb empfunden. Ein Beispiel ist DocMan, das am weitesten weitverbreitete Zusatzprodukt zur Bereitstellung von Dokumentenmanagement- und Workflow-Funktionalität für Microsoft Exchange. Boris Uhlig, Vorstand von DocMan kommentiert die Marktentwicklung wie folgt:  
DocMan verfügt auf Basis langjähriger Erfahrungen mit DMS und KM über ausgereifte Lösungen, die sich in die aktuellen Office und Back-Office Produkte von Microsoft nahtlos integrieren und somit DMS/KM-Funktionalität in der gewohnten Office-Umgebung bereitstellen. Der Vorteil für den Anwender - Investitionsschutz durch Nutzung vorhandener Infrastrukturen ohne wesentlichen Betreuungsaufwand. Wir stellen uns der Herausforderung, daß nun auch Microsoft den Bereich DMS/KM mit Tahoe erobern will und wissen, daß wir den Wettbewerb für uns entscheiden werden, da wir auf Erfahrungen und Lösungen zurückgreifen, die pragmatisch, schnell und mit ausgewogen Kosten das größte Problem lösen: multidimensionale Kommunikation.“
Auch wenn viele DRT-Anbieter die heutige Lösung von Microsoft noch nicht als Bedrohung ihrer Produkte und Märkte auffassen, so sollte man sich jedoch nicht in eine falsche Sicherheit wiegen. Der Dokumenten-Management-Markt wandelt sich immer mehr in einen Content-Management-Markt, in dem die Unterschiede zwischen den traditionellen und den Webtechnologien verschwinden. Microsoft zielt genau auf diesen sich entwickelnden Markt - und nicht auf die traditionellen Technologien. Es wäre für die DRT-Branche falsch, sich jetzt zurückzulehnen. Durch Produkte wie Lotus Discovery Server und Microsoft Sharepoint Portal Server werden wieder viele Funktionen, die in der Vergangenheit Unique Selling Points (USP`s, Alleinstellungsmerkmale) waren, in Betriebssystemnahe und weit verbreitete Office-Umgebungen überführt. Die Frage in der Anwenderschaft wird daher immer lauter – wozu braucht man extra Dokumenten-Management-Clienten, weitere Zusatzsoftware, aufwendige Projekte zur Einführung von Knowledge- oder Workflow-Management. Der Dokumenten-Technologien-Markt wird zunehmend von mehreren Seiten in die Zange genommen – von den großen ERP-Anbietern wie SAP, von den Datenbankanbietern wie Oracle, von den Portal-Technologie-Anbietern wie IBM, Vignette, Gauss, Tibco oder Oracle usw. Nun erfolgt ein weiterer Angriff aus dem unteren Marktsegment, der Groupware und Office einschließt. Die Folgen sind klar – der Markt wird sich weiter und schneller konsolidieren. Allein die Marketingmaschinerie von Microsoft wird für eine weite Verbreitung sorgen und in Folgeversionen kann auch mit verbesserter Funktionalität gerechnet werden. Man darf aber nicht vergessen, daß NT und andere Windows-Versionen über Jahre hinaus weiterhin die dominierenden Plattformen bleiben, bevor eine Ablösung mit den neueren Systemen erwartet werden kann. Die Probleme der Handhabung von heterogenen Dokumentablagen müssen aber bereits heute gelöst werden. Daher haben integrierte Anwendungen, wie z.B. windream, die direkt in das Betriebssystem eingebunden werden, oder Ergänzungen zu Exchange, weiterhin ihre Berechtigung. Microsoft muß zunächst seine eigene Produktstrategie konsolidieren und noch einiges tun, um ernsthaft als Dokumenten-Management-Anbieter ernst genommen zu werden. (Kff)
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