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SER Systems AG am Ende
Neustadt/Wied - Das Softwareunternehmen SER Systems AG ( http://www.ser.de ) hat Insolvenz beim Amtsgericht Neuwied angemeldet. Die Banken hatten SER Systems ihre Unterstützung durch weitere Kredite verweigert. Die SER Systems AG setzte im vergangenen Jahr rund 150 Millionen Euro um. Derweil hat die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre (SdK) Strafanzeige gegen 14 Führungskräfte mit dem Vorwurf der Untreue, betrügerischem Bankrott und Insolvenzverschleppung erstattet. Am 10.7.2002 fand in Frankfurt der erste Gerichtstermin statt. (CB)
  
PROJECT CONSULT Kommentar:
Die Selbst-Auflösung der ehemaligen Marktführer im deutschsprachigen Raum setzt sich fort. Bereits seit Monaten konnte man sowohl die Geschäftsentwicklung wie auch die technologische Weiterentwicklung bei SER (zuletzt behandelt im Newsletter 20020305Newsletter 20020305) am besten mit dem Begriff Siechtum beschreiben. Es hat sich als fataler Fehler erwiesen, das angestammte Kerngeschäft der Archivierung zu vernachlässigen und sich mit Brainware auf die Knowledge-Management-Schiene zu konzentrieren. Die Bereiche Capturing und automatische Klassifizierung bieten in den DACH-Ländern keine ausreichende Geschäftsbasis. Das musste einem langjährig im DRT-Markt tätigem Vorstand wie Herrn Reinhardt eigentlich bewusst sein. Die Konzentration auf eine Produktschiene, die im Rahmen einer DRT-Lösung nur eine nachrangige Bedeutung hat und zudem im Mitbewerbsvergleich konkurrenzlos teuer war, führte in Verbindung mit ausbleibenden Weiterentwicklungen der Archivlösung dazu, dass zumindest erfahrene Berater das Unternehmen bei Auswahlverfahren nicht mehr auf die Shortliste setzten. Hinzu kommt, dass sich das Workflowprodukt CSE-Workflow auf Grund bestimmter Leistungsdefizite außerhalb der öffentlichen Verwaltung nicht positionieren konnte. Was im folgenden an Geschäftsentscheidungen ablief, kann man mittlerweile fast schon als klassisch für bankrotierende Unternehmen bezeichnen. Hierzu zählen die Verkäufe von noch lukrativen Unternehmensteilen an Mitgesellschafter, die sog. MBO`s. Mittlerweile dienen diese MBO`s augenscheinlich nur noch und ausschließlich der eigenen Bereicherung bzw. Sicherung vorhandenen Vermögens durch die Gesellschafter, während die Aktionäre und Mitarbeiter die Verluste und deren Folgen tragen dürfen. Der ehemalige Vorstand der SER Reinhardt hat dieses Spielchen fast perfektioniert. Fast nur deshalb, weil ihm die SDK (Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre) rechtzeitig genau auf die Finger gesehen hat. Der Ausverkauf ging Ende 2001 im Dezember los, als die SER Schweiz im Rahmen eines MBO an den damaligen Verwaltungsrat verkauft hat. Es folgten im Januar 2002 der MBO der SER Banking, im März der Verkauf der DOMEA-Rechte und Ansprüche durch die SER Systems an die SER Solutions Deutschland GmbH für den großzügigen Preis von 1,00 Euro. Durch die Insolvenz kann aber dieses „Geschenk“ noch auf Grund der Fristenregelungen rückabgewickelt werden. Am 2. Mai wurde die HG Becker GmbH, eine Auffanggesellschaft zur Entschuldung der SER Technology für 5 Mio. Euro an die KES Acquisitions verkauft, wobei zu vermerken ist, dass Reinhardt seit dem 1. Mai seinen Wohnsitz am Firmensitz von Mergeles KES hat. Ach ja, Mergele ist der ehemalige Finanzchef – noch Fragen? Am 13. Juni gab es dann eine einstweilige Verfügung gegen den Verkauf der US-Aktivitäten, die angeblich bereits am 12. Juni vollzogen wurden (Böse Zungen sprechen bereits von Rückdatierungen in diesem Zusammenhang). Besonders unerfreulich für alle „Hinterbliebenen“ an dieser Transaktion ist, dass die Wirtschaftsprüfer Ernst & Young sowie Deloitte & Touche den Wert der betroffenen Softwarerechte auf 60 Mio. Euro schätzen, in der Hauptversammlung aber 20 Mio. Euro vereinbart wurden und im notariellen Kaufvertrag ein Kaufpreis von 50.000 Euro nachträglich festgesetzt wurde. Im Moment weiß also keiner mehr so genau, wem eigentlich was gehört, was wie viel wert ist und wer noch was machen darf. Auf Kleinigkeiten wie Verschleppung des Insolvenzverfahrens oder einem fehlenden Jahresabschluss soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Mit Ausnahme des Hinweises, dass es einen weiteren Archivanbieter gibt, der sich gegenwärtig in vergleichbaren Schwierigkeiten befindet und auch bereits Unternehmensanteile veräußert hat. Es ist zu hoffen, dass nach den vielen leidigen Erfahrungen und dem verantwortungslosen Umgang diverser Beteiligter vom Beginn der Börsengänge (Emissionsbanken, Börse) über mangelhafte Prüfungen (Wirtschaftsprüfer) bis hin zu kriminellen Handlungen der Geschäftsführung, die Verantwortlichen im wörtlichen Sinne endlich zur Verantwortung gezogen werden. 
 (MF)
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