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Elektronischer Posteingang und elektronische Aktenführung in der gesetzlichen Krankenversicherung
Teil 2 des Beitrages von Dr. Joachim Hartmann, Seniorberater bei PROJECT CONSULT, Stuttgart, E-Mail: Joachim.Hartmann@PROJECT-CONSULT.com. Dr. Hartmann betreut Projekte mit Lösungen für Posteingang, elektronische Akte und Vorgangsbearbeitung bei verschiedenen GKV. Der zweite Teil erscheint im PROJECT CON-SUTL Newsletter im November 2006.
Konzeptionelle Anforderungen an eine integrierte IT-Lösung
Bei der Auswahl einer Lösung zur elektronischen Posteingangsverarbeitung wird man zunächst eine Reihe von Standardanforderungen an die Leistungsfähigkeit des Systems stellen, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. Basis für die Auswahlkriterien sollte vor allem sein:
   
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die Leistungsfähigkeit der Erfassungs- und Erkennungskomponenten
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die Sicherheit des Systems
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die Kompatibilität der Produkte mit den Anforderungen des BVA
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der Umfang und die Qualität der Recherchemöglichkeiten
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die Schnittstellen zu ERP-, CRM-, BK-Systemen
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die Anpassungsfähigkeit
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die Bedienerfreundlichkeit
Darüber hinaus ist eine Reihe von konzeptionellen Anforderungen zu beachten, damit eine optimale Integration der Lösung in die bestehende IT-Infrastruktur gewährleistet ist. Die Fragen die hier zu klären sind, sind z.B.
   
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 Wie wird der Posteingang in die Abläufe integriert? Bestehen schon elektronisch unterstützte Workflow-Lösungen?
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 Wie und in welchem System werden Wiedervorlagen erzeugt? Es ist in jedem Fall zu vermeiden, dass eine zweite Wiedervorlage eingerichtet wird.
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 Das gleiche gilt für die Führung einer Kontakthistorie. Gibt es bereits ein CRM-System? Wie wird es integriert?
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 Wie werden ausgehende Dokumente behandelt? Wird ein Outputmanagement-System eingesetzt? Wie kann ein solches System integriert werden? In diesem Punkt kann ein relativ hoher Einführungsaufwand versteckt sein, da bei einer Integration des Dokumentenoutputs in der Regel alle Vorlagen für ausgehende Dokumente an die elektronische Aktenlösung angepasst werden müssen. Es müssen schnell mehrere Tausend Dokumente „angefasst“ und angepasst werden.
Für eine elektronische Aktenlösung sind grundsätzlich zwei verschieden konzeptionelle Ansätze denkbar und werden auch so am Markt angeboten:
1) Die Lösung ist in das führende Versicherungssystem integriert.
Die Indizierung der Dokumente erfolgt hier in einer separaten Indexdatenbank. Die Referenzierung auf das Dokument im Archivsystem wird über eine einzige, eindeutige Dokumenten-Identifikationsnummer vorgenommen. Für diese Architektur spielt das Archivsystem eine nachrangige Rolle.
Ein Beispiel für eine solche Lösung ist das vor allem bei BKKs verbreitete System e4/ELA der Comline AG. Es ist mit verschiedenen Posteingangslösungen und mit den meisten Archivsystemen einsetzbar. e4/ELA ist in CRM KV von Comline integriert, also eine Voraussetzung für den Einsatz. Es verwendet die Wiedervorlagenfunktion von CRM KV. Jeder Dokumenteninput erzeugt einen Eintrag in die Kontakthistorie von CRM KV.
Die Vorteile eines solchen Ansatzes sind unabhängig von dem gerade als Beispiel erwähnten System
   
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 Die Unabhängigkeit vom Archivsystem: Eine bereits vorhandene Archivlösung kann in der Regel verwendet werden.
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 Ein hoher Integrationsgrad in die führenden Anwendungen.
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 Das Arbeiten erfolgt nahe an den führenden Systemen. Dies verringert den Einführungsaufwand.
Der Nachteil besteht in der hohen Herstellerabhängigkeit. Außerdem ist es schwieriger die Anwendungen über das Versicherten- und Arbeitgebergeschäft hinaus z.B. in den kaufmännischen Beeich auszudehnen.
2) Lösungen auf Basis eines DMS bzw. Archivsystems.
In diesem Fall erfolgt die Indizierung der Dokumente in der Indexdatenbank des Archivsystems. Bei dieser Architektur kommt der Leistungsfähigkeit des Archivsystems bzw. den Komponenten des gesamten DMS-Systems entscheidende Bedeutung zu. Beispiele für Produkte, auf deren Basis Lösungen im Krankenkassenumfeld bekannt sind, sind z.B. d.3 von d.velop, Easy Archiv, Ceyoniq, Elo, DOXiS von SER, IXOS von Open Text, Saperion, Docuware, windream u.a.
Die Vorteile liegen hier
   
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 in der höheren Flexibilität einer solchen Lösung,
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 in der besseren Ausbaufähigkeit in weitere Bereiche.
Die Nachteile liegen logischerweise in dem höheren Aufwand, der für die Integration zu leisten ist.
Konzeptionelle Forderungen an eine elektronische Aktenlösung:
Die Nachteile der unterschiedlichen Ansätze können aufgehoben werden, wenn eine Lösung die folgenden grundlegenden Forderungen erfüllt:
   
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Je nach Aktentyp werden in der elektronischen Akte die wichtigsten Informationen aus den führenden Systemen in einer Versichertenleitkarte, Arbeitgeberleitkarte, o.ä. angezeigt.
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Es wird die Wiedervorlagenfunktion des führenden Systems verwendet.
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Dokumenteninput erzeugt einen Eintrag in die Kontakthistorie des CRM-Systems.
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Dokumentenoutput wird in die elektronische Akte integriert.
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Abläufe können über ein integriertes internes oder externes Workflow-System automatisiert werden.
Anforderungen an die Einführung von elektronischen Aktenlösungen - auf was ist zu achten?
Oberstes Kriterium bei der Einführung jeder EDV-Lösung muss immer die Benutzerakzeptanz sein. Gerade bei der Einführung elektronischer Aktenlösungen, müssen hierfür bereits zu Beginn des Projekts die entsprechenden Weichenstellungen getroffen werden. Das beginnt mit der frühzeitigen Festlegung von Qualitätsstandards und eines Qualitätssicherungsverfahrens.
Eine besondere Bedeutung kommt bei elektronischen Aktenlösungen logischerweise der Benutzerschnittstelle zu. Als Maß für die Beurteilung können die Gestaltungsgrundsätze von Mensch-Maschine-Kommunikationssystemen in der Norm DIN/EN/ISO 9241 herangezogen werden (DIN: Deutsche Industrie Norm; EN: Europäische Norm; ISO: International Standard Organization.) Allgemeine Grundsätze für eine ergonomische Dialoggestaltung finden sich auch in der DIN 66234, Teil 8, Bildschirmarbeitsplätze. Hier werden die Kriterien Aufgabenangemessenheit, Selbstbeschreibungsfähigkeit, Steuerbarkeit durch den Benutzer, Erwartungskonformität, Fehlerrobustheit, Individualisierbarkeit, Erlernbarkeit als Kriterien für die Ergonomie der Bildschirmarbeitsplätze definiert.
Logisch ist, dass auch die Hardware an den Arbeitsplätzen entsprechend performant ausgelegt sein muss. Eine besondere Bedeutung kommt dabei den Bildschirmen zu, die häufig für eine elektronische Aktenlösung neu angeschafft werden müssen. Hier finden sich auch bei Markengeräten erstaunliche Unterschiede, z.B. bei der Darstellung von Farbübergängen und im Kontrastverhalten. Neue Bildschirme sollten unbedingt  vor Kauf intensiv unter Einbeziehung der zukünftigen Benutzer getestet  werden. Als Standardgröße  für die Bildschirme kann heute 19“ bei TFT-Bildschirmen gelten. 21“-Bildschirme scheiden meistens wegen des zu hohen Preises und der hohen Auflösung, die zu Problemen bei der Darstellung anderer Anwendungen führen können, aus. In jedem Fall sollten drehbare Bildschirme mit der Möglichkeit einer Hochkantdarstellung (Pivotdarstellung) angeschafft werden, damit A4-Dokumente auf Wunsch auch im Ganzen dargestellt werden können. Laufende Projekte zeigen, dass diese Möglichkeit von den Anwendern stark genutzt wird.
Das Qualitätssicherungsverfahren muss gewährleisten, dass die Aktenlösung alle Prozesse der Krankenkasse abdeckt. Voraussetzung hierfür ist natürlich, dass die Geschäftsprozesse alle bekannt und dokumentiert sind. Auf die Anforderungen und das Vorgehen bei einer Prozessanalyse kann im Rahmen dieser Ausarbeitung nicht eingegangen werden. Viele Krankenkassen haben in der Vergangenheit bereits Prozessanalysen durchgeführt, so dass häufig bereits eine Basis für eine Analyse der Dokumentenflüsse vorhanden ist.
Die Abkehr non der herkömmlichen Papierakte stellt eine Änderung der Arbeitsverfahren dar, bei der zumindest die Personalvertretung anzuhören ist. Je nach vorheriger Arbeitsweise ist in jedem Einzelfall zu prüfen,  ob eine Zustimmungspflicht vorliegt. In jedem Fall sollte dies bereits bei der Planung berücksichtigt werden und die Personalvertretung frühzeitig in das Projekt einzubeziehen.
Die Frage des bzw. der Formate, in denen die Dokumente gespeichert werden ist nicht nur die Frage nach der Sicherheit hinsichtlich der Langfristaufbewahrung sondern auch ob mit oder ohne Farbe gescannt wird. Die Kasse muss hier im Einzelfall jeweils selbst entscheiden, ob eine Farbdarstellung auf einem Dokument eine Aussagekraft hat oder nur aus optischen Gründen angebracht ist. Beispielsweise müssen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sicher nicht mit gelber Hintergrundfarbe archiviert werden. Seit 2005 ist das von Adobe frei gegebene Format PDF/A nach ISO normiert. Es ist für die Langzeitaufbewahrung besonders zu empfehlen.
Bei der Vernichtung von Akten ist darauf zu achten, dass dies in einem dem Datenschutz gerechten Verfahren geschieht.
Schließlich ist für den Erfolg bei der Einführung einer elektronischen Aktenlösung das Projektmanagement sowohl beim Anwender als auch bei den beteiligten Dienstleistern von absolut entscheidender Bedeutung. Hierüber sind schon viele Bücher geschrieben worden. Deshalb wollen wir in diesem Rahmen auch nicht weiter darauf eingehen. Für den Erfolg jeden Projekts sind aber immer nicht die verwendeten Methoden entscheidend sondern das Handeln der beteiligten Personen! (JH)
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