20030306 \  Gastbeiträge \  Cost Cutting durch elektronische Anträge
Cost Cutting durch elektronische Anträge
welche Erfolgsfaktoren sind für Versicherungsunternehmen bei der Rationalisierung wichtig?
Gastbeitrag von Dr. Stefan Giesecke, Seniorberater bei dem PROJECT-CONSULT-Partnerunternehmen agens Consulting GmbH ( http://www.agens.com : sgiesecke@agens.com )
Was erhoffen sich die Versicherer von der elektronischen Antragsbearbeitung? Kurzfristig die schnelle Kostensenkung im Backoffice, später auch die Verbesserung der Qualität der Dienstleistungen und der Servicefähigkeit1 und eine absehbare Wirtschaftlichkeit der Investition. Wie sieht aber die Realität aus?
Hoffnungsvoll haben viele Versicherungsunternehmen eine elektronische Antragsbearbeitung im Unternehmen eingeführt. Und wurden erst einmal enttäuscht. Die getätigten Investitionen zahlten sich nicht aus, ein nachhaltiges „Cost Cutting“ fand (noch) nicht statt.
Letztliche Ursache des ausbleibenden betriebswirtschaftlichen Erfolgs ist eine viel zu geringe Einreichungsquote elektronischer Anträge im Verhältnis zu den immer noch dominierenden Papieranträgen. Durch die nachfolgend meist fehlende maschinelle Verarbeitung wird das Problem zusätzlich verstärkt. Letztlich kann für nur 2 % der Anträge derzeit das Potential zur Rationalisierung und Qualitätssteigerung voll genutzt werden. Im Umkehrschluss bedeutet das ein gewaltiges „schlummerndes“ Potenzial, das derzeit ungenutzt bleibt. Auch wenn eine 100 %-Automatisierung betriebswirtschaftlich gar nicht sinnvoll ist.
Ursachenanalyse
Investitionen in die elektronische Antragsbearbeitung stellen überwiegend Fixkosten dar (Software, Organisationsaufbau, rechtliche und Prozessgestaltung), die nicht abhängig von einer geringen elektronischen Antragsstückzahl gesenkt werden können. Die simple Konsequenz ist, dass der betriebswirtschaftliche Erfolg fast ausschließlich über die Einreichungsquote elektronischer Anträge bestimmt wird - die maschinelle Verarbeitungsquote beeinflusst die Wirtschaftlichkeit in viel kleinerem Maße. Ein Blick auf die Rahmenbedingungen für die Projektabwicklung zur Einführung der elektronischen Antragsbearbeitung zeigt jedoch deutlich, dass dem Faktor „Einreichungsquote“, d. h. letztlich der Akzeptanz des Vertriebes und der Vertriebsweg übergreifenden Einsetzbarkeit viel zu wenig Rechnung getragen wird.
Die Schaffung der Akzeptanz möglichst in allen wichtigen Vertriebskanälen ist für den breiten Einsatz der elektronischen Antragsbearbeitung von wesentlich höherer Bedeutung als beispielsweise eine zu 100 % perfekte technische Lösung. Und das wird häufig nicht bedacht. Allzu oft prägen rein technische Aspekte die Projekt- und Prozessgestaltung. Die Budgetaufteilung lässt eine Auseinandersetzung mit Akzeptanzfragen zur Erhöhung der Einreichungsquote nicht oder nur als Alibifunktion zu. Eine Investition in die elektronische Antragsbearbeitung zahlt sich jedoch nur aus, wenn für die Vermittler ein wahrnehmbarer (finanzieller) Nutzen geschaffen wird, hoch genug, um auch tradierte Widerstände gegen Verwaltungstätigkeiten zu überwinden. Dies muss aber keineswegs die Vertriebskosten erhöhen, sondern kann sie sogar senken. Ohne die unbestrittene und zentrale Bedeutung der IT in diesem Zusammenhang ignorieren zu wollen: mit einer nicht ganz perfekten, aber von den Vermittlern akzeptierten und aktiv eingesetzten Lösung lässt sich eher ein Nutzen erzielen, nicht jedoch mit einer technisch perfekten 100 %-Lösung, die niemand nutzt.
Historisch gewachsene „Elektrifizierungen“ des Papierantrages haben die strukturellen Probleme eher verschärft als gemindert. So schaffen z. B. die elektronische Dateneinreichung in Verbindung mit einem parallel gedruckten und vom Kunden unterschriebenen Antrag letztlich schnell mehr Aufwand als Nutzen. Die Erfordernis eines lokalen Antragdrucks ist ein Akzeptanzkiller im Vertrieb. In der Sachbearbeitung fällt zwar die Antragserfassung weg, es entsteht jedoch zusätzlich manueller Kontrollaufwands, denn Papier und elektronisches Dokument müssen zusammengeführt und aus rechtlichen Gründen auf Identität überprüft werden.
Erfolgsfaktoren eines erfolgreichen elektronischen Antragverfahrens
Ein erfolgreiches elektronisches Antragsverfahren ist einfach, schlank und lohnenswert für alle Beteiligten oder anders ausgedrückt, es:
   
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wird vom Außendienst akzeptiert (kein Zwang zum Druckereinsatz!) und ermöglicht eine hohe Einreichungsquote,
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ist in allen Vertriebswegen in gleicher Form einsetzbar, erfordert keine IT-, Prozess- oder Organisationsvariationen,
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sichert eine variantenlose, schlanke und schnelle Antragsverarbeitung, die strukturell automatisiert werden kann,
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ist im betriebswirtschaftlichen Sinne rechtssicher (kalkulierbare Risiken im Vergleich zur geübten Praxis bei Papieranträgen),
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stellt keine zusätzlichen Hardware- und Softwareanforderungen, sondern kann im Wesentlichen in bestehende IT-Infrastrukturen integriert werden.
Während sich insbesondere in der Kfz-Versicherung pragmatische Verfahren komplett ohne Kundenunterschrift zu etablieren beginnen, müssen in der Personen- und insbesondere in Leben- und Krankenversicherung aus rechtlicher Sicht und wegen des höheren Risikos schärfere Maßstäbe angelegt werden. Hier gibt es noch keine praktikablen Alternativen zur Kundenunterschrift. Das Signaturverfahren scheidet noch auf absehbare Zeit aufgrund der Kosten, fehlender Standards und insbesondere wegen des zeitlichen Vorlaufs zur Einrichtung aus. Verfahren mit der Nutzung von Unterschriftspads müssen sich rechtlichen Bedenken aussetzen, abgesehen von der Problematik im Direkt-, Makler- und Strukturvertrieb bezüglich der notwendigen HW- und SW-Ausstattung. agens Consulting sieht das Invitatio- oder Anfrageverfahren als geeignetste Lösung für die Personenversicherung an, da hier ein betriebswirtschaftlich gelungener Konsens aus der Optimierung der Faktoren:
   
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Rechtssicherheit,
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Akzeptanz des Vertriebs
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Eignung in allen Vertriebswegen und
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Schlankheit/Effizienz des Verfahrens geschaffen wird.
Das Invitatio-Verfahren erfüllt alle oben geschilderten Anforderungen an ein erfolgreiches elektronisches Antragsverfahren. Es vermeidet beispielsweise den Zwang zum lokalen Druckereinsatz, stellt dennoch die Kundenunterschrift sicher und ermöglicht eine maschinelle Policierung sofort nach Eingang der elektronischen Daten.
So ermöglicht beispielsweise ein großer deutscher Lebensversicherer nach diesem Verfahren schon seit mehreren Jahren eine maschinelle Policierung, bei der der Kunde nur 2 Tage nach Antragsstellung bereits seine Police in Händen hat. Was in der Personenversicherung richtig ist, muss jedoch nicht in gleichem Maße z. B. für die Kraftfahrtversicherung zutreffen, in der neben gesetzlichen Vorschriften auch die Erwartungen der Kunden, das Geschäftsvorfallvolumen sowie das Verhältnis von Aufwand und Ertrag zu anderen Rahmenbedingungen führen. Der Trend geht in Kfz zu grundsätzlich vollständig papierlosen Prozessen, wobei die Detailgestaltung den Erfolg bestimmt.
Eine unterschiedliche rechtliche Abbildung der Prozesse macht durchaus Sinn, um die Akzeptanz bei Kunden, Vermittlern und Versicherer zu verbessern - und damit die Wirtschaftlichkeit. Wo in Bezug auf die gesamte Bandbreite von Versicherungssparten der Schnitt zwischen vollständig papierloser Antragsbearbeitung und Invitatioverfahren angelegt wird, sollte unternehmensindividuell entschieden werden. Dabei spielen die u. a. Vertriebskanalstruktur, Spartenschwerpunkte, Unternehmenskultur und Automationsgrad der Sachbearbeitung eine wichtige Rolle. Nach den Erfahrungen von agens Consulting lässt sich diese rechtliche Prozessdifferenzierung gut mit einer einheitlichen Gestaltung von IT-Infrastruktur und Prozessdesign vereinbaren und führt in der Praxis zu betriebswirtschaftlich besseren Ergebnissen als ein striktes „Einheitlichkeitsgebot“. Allerdings kommt es darauf an, die richtigen Verfahren miteinander zu kombinieren.
Barrieren für elektronische Antragsprozesse
Widerstände gegen entsprechende Projektierungen ergeben sich in der Praxis in erster Linie bei den Veränderungsprozessen in Vertrieb und Verwaltung, also da, wo es um die tatsächliche Realisierung der ermittelten Nutzenpotenziale geht.
Im Außendienst gerät die Frage der Vergütung leider häufig zum ideologiegetriebenen Austausch verfestigter Standpunkte seitens Vermittlern und Verwaltung. Besser ist eine sachliche Lösung, die sich an unterschiedlichen Wertschöpfungen orientiert und diese unterschiedlich honoriert. Dabei ist es sinnvoll und möglich, eine „Win-Win-Situation“ für Vermittler und Versicherer zu schaffen, bei der die Vermittler finanziell von der elektronischen Antragseinreichung profitieren, der Versicherer aber gleichzeitig Kosten spart. Der Schlüssel liegt nach Einschätzung von agens Consulting in der wertschöpfungsorientierten Umgestaltung der Vergütungsstrukturen. Weiterhin ist Akzeptanzaufbau durch die Systemgestaltung notwendig, z. B. durch Workflow-Unterstützung für die arbeitsteiligen Prozesse einer größeren Vertriebseinheit oder Statusrückmeldungen zum Stand der Antragsbearbeitung.
Widerstände aus dem Verwaltungsbereich äußern sich meist weniger offensichtlich als im Vertrieb. Die generelle Frage der elektronischen Geschäftsvorfallbearbeitung findet Zustimmung. Die Angst um den Verlust des eigenen Arbeitsplatzes, des Machtverlusts durch Mitarbeiterabbau oder der Abgabe von Entscheidungsbefugnissen/ Kompetenzen an „den Computer“ (oder noch schlimmer, den Vertrieb) treibt jedoch mitunter seltsame Blüten. Wenn es z. B. um die Sicherheit und rechtliche Risiken des elektronischen Antrags geht, werden häufig überzogene, gerade zu abstruse Anforderungen gestellt, die die gelebte Praxis bei Papieranträgen bei weitem übersteigen und dort z. T. seit vielen Jahren schon nicht mehr erfüllt werden.
Hier hilft neben einer überzeugenden Risikobetrachtung, bei der die rechtlichen Risiken transparent und hinsichtlich ihrer betriebswirtschaftlichen Konsequenzen evaluiert werden, nur ein konsequentes Einbeziehen der Betroffenen in den konstruktiven Umbau der Verwaltungsbereiche. Nicht der radikale Rückschnitt ist sinnvoll, sondern ein Mix der Nutzung von:
   
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natürlicher Fluktuation,
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der Bewältigung von Mehrgeschäft mit dem gleichen Personal und
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der Veränderung von Aufgabenprofilen in Richtung von mehr Kundenbindungs- und Servicemaßnahmen durch die Verwaltung.
Um mögliche Barrieren in innerbetrieblichen Genehmigungsverfahren zu vermeiden, ist es wichtig- bei der Projektplanung und –gestaltung Make or Buy-Entscheidungen zu treffen. Diese betreffen nicht nur die IT-Systeme, sondern auch den internen Aufbau vs. Zukauf von Know-how zur richtigen Gestaltung der Prozesse, des rechtlichen Verfahrens und der Architektur – die entscheidenden Faktoren für den wirtschaftlichen Erfolg. Die Erfahrung der agens Consulting zeigt, dass gerade hier oft viele hundert Aufwandstage und bis zu einem halben Jahr Zeit eingespart werden können.
Best-Practice-Modelle
Die Marktentwicklung zeigt eine historisch gewachsene Vielfalt von Lösungsansätzen bei der elektronischen Antragsverarbeitung. Aus der Summe dieser Ansätze und aus der konkreten Projektpraxis heraus hat agens Consulting eine Best Practice-Lösung entwickelt, die Vertriebsweg und spartenübergreifend betriebswirtschaftlich erfolgreich eingesetzt werden kann. Die Lösung erlaubt ein pragmatisches, schrittweises Vorgehen und berücksichtigt die zentralen Erfolgsfaktoren zur Einführung elektronischer Antragsprozesse. Hinsichtlich einzusetzender Systeme bleibt agens bewusst unabhängig, vielmehr umfasst die Best Practice-Lösung „konzentriertes Know how“ mit folgenden drei Kernelementen:
   
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eine kennzahlenbasierte Wirtschaftlichkeitsanalyse für verschiedene Automatisierungsstufen, differenziert nach Sparten und Vertriebswegen,
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eine Dokumentation des fachlichen Musterprozesses „vom Kunden bis zum Kunden“ inkl. betriebswirtschaftlicher Evaluation der rechtlichen Aspekte und Beschreibung des lokalen Workflows größerer Vertriebseinheiten und
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eine Dokumentation der Referenzarchitektur „vom Kunden bis zum Kunden“, die für Online-, Offline- oder gemischte Systemumgebungen tragfähig und für die Integration in bestehende IT-Infrastrukturen (Investitionsschutz) konzipiert ist.
Nach Erfahrung von agens Consulting erlaubt die Wirtschaftlichkeitsanalyse kurzfristige Transparenz bei hoher Kalkulationssicherheit. Als Referenzmodell (Kennzahlen) eignet sie sich auch zur Prüfung bestehender Wirtschaftlichkeitsrechnungen. Gleichzeitig können Analyse- und Planungsaufwände durch die Verwendung der fachlichen und technischen Dokumente erheblich verringert werden, abgesehen von einer spürbaren Reduktion der time to market bei der (Neu-)Einführung elektronischer Antragsprozesse.
Think big, start small
Die betriebswirtschaftlich geprägten Überlegungen zum Prozessdesign, der Einsetzbarkeit in allen Sparten und Vertriebskanälen und zur IT-Infrastruktur bestimmen, wie viel Nutzen langfristig aus der elektronischen Antragsbearbeitung gezogen werden kann. Sie sind deshalb auch von hoher unternehmerischer Bedeutung und sollten nicht inkrementell, sondern aus der Gesamtsicht durchgeführt werden („Think big“), unabhängig ob durch internen Know-how- Aufbau oder durch Zukauf.
Es ist allerdings weder fachlich/technisch notwendig noch betriebswirtschaftlich sinnvoll, dafür sofort ein Megaprojekt aufzusetzen. Die Risiken solcher Projekte haben sich allzu oft als vielfältig und unkalkulierbar erwiesen. Der Einstieg in eine (andere) elektronische Antragsbearbeitung lässt sich in der Praxis leichter in überschaubare Schritte unterteilen, für die jeweils ein eigener Nutzen nachweisbar sein muss. So muss der Prozess nicht sofort entlang der gesamten Prozesskette („Tiefe“) automatisiert werden, gleiches gilt für die Zahl der Sparten („Breite“). Tragfähige Minimallösungen können z. B. schon mit einem Lebensversicherungsprodukt und einer webbasierten Lösung nach 3 - 6 Monaten in Produktion gehen; dabei ist eine break-eventime von 1 - 2 Jahren realistisch.
Durch den schrittweisen Wirtschaftlichkeitsnachweis wird verhindert, dass Prozessautomatisierung und Produktabdeckung so weit getrieben werden, dass die maschinelle Abarbeitung letztendlich teurer ist als die manuelle, d. h. das betriebswirtschaftlich sinnvolle „Zielsegment“ verlassen wird. Gleichzeitig wird übergeordneten Gremien eine feinere Steuerung konkurrierender Vorhaben in Einzelentscheidungen ermöglicht. Letztlich lässt sich der übliche Planungsprozess sogar gedanklich umkehren: nicht das Vorhaben bestimmt Investitionshöhe und break-even-time, sondern umgekehrt bestimmt die wirtschaftliche Situation die Gestaltung des Vorhabens. Ein akzentuierter Einsatz in wirtschaftlich schwierigen Zeiten führt zur innovativeren Nutzung des Vorhandenen, z. B. im Rahmen der Prozessneugestaltung (Akzeptanzsteigerung) im Rahmen der bestehenden IT-Infrastruktur. Neben Strukturmaßnahmen im Vertrieb bildet eine sanfte Migration der IT-Infrastrukturen die mittelfristige Strukturkomponente, um die Geschäftsvorfallbearbeitung besser zu integrieren, zu vereinfachen und zu automatisieren. Davon profitiert zunehmend auch der Kunde, neben dem Sachbearbeiter und dem Vermittler. Letztendlich zahlt sich die Investition dann doch für alle aus.
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