Mit Konsolidierung und Web 2.0 zum allgemeinen Informationsmanagement
Artikel von Dr. Ulrich Kampffmeyer, Geschäftsführer der PROJECT CONSULT Unternehmensberatung GmbH, Hamburg, E-Mail: Ulrich.Kampffmeyer@PROJECT-CONSULT.com
Konsolidierung
Betrachtet man die Marktentwicklung im ersten Monat diesen Jahres ist der erste Trend im Bereich ECM Enterprise Content Management für 2008 sehr deutlich: die Konsolidierung im Markt geht weiter – allein seit Anfang des Jahres sind mindestens acht Übernahmen gemeldet worden. Alle Analysten sind sich einig, dass eine Führungsgruppe der großen IT- und Softwareanbieter sich absetzt und sich der Markt auftrennt. Im Schatten der großen Übernahmen gibt es auch immer wieder kleinere, die auch renommierte deutsche Anbieter betreffen. Zwar gibt es auch neue Anbieter, die mit neuen Produktideen oder in Nischenbereichen im Markt erscheinen, aber der Markt wird von einigen großen Anbietern zunehmend dominiert. Sie definieren die Trends und den Umfang der Lösungen – und damit auch die Messlatte für alle Mittelständler. Besonders auffällig ist, dass sich Standardsoftwareanbieter, die man bisher keineswegs zu den klassischen DMS- oder ECM-Anbietern rechnete, sich ebenfalls im Markt breitmachen – ERP, Speichersysteme, Collaboration, Portale usw. Gerade hier verändert sich der Fokus von ECM, verwaschen die Grenzen der bisherigen Produktkategorien. Für kleinere Anbieter bleiben nur die Nischen: sie müssen spezialisierte Produkte bieten oder aber bestimmte Branchenanforderungen bedienen. Aber auch hier wird „die Luft dünner“. Bei den Übernahmen ist zunehmend außerdem eine andere Strategie zu bemerken: zielte man früher mit einer Übernahme auf die Erweiterung oder Ergänzung des Produktportfolios so werden zukünftig die Übernahme von Marktanteilen in der Vordergrund rücken. Produkte werden damit auch mittelfristig vom Markt verschwinden. Und es gibt noch eine zweite Form der Konsolidierung: die Vereinheitlichung der heterogenen Systemlandschaften bei den Anwendern selbst. Insbesondere bei größeren Unternehmen ist in den letzten Jahren ein Wildwuchs unterschiedlichster Produkte entstanden, Fusionen und Übernahmen vergrößern die Bandbreite eingesetzter Plattformen und Insellösungen für spezielle Compliance-Anforderungen machen das Chaos perfekt. Hier gilt es, einheitliche Plattformen unternehmensweit durchzusetzen und viele Lösungen abzulösen bzw. ausaltern zu lassen. Auch dies trägt zur Konsolidierung der Anbieterlandschaft bei, da man sich auf wenige Produkte im Anwenderunternehmen konzentrieren möchte.
ECM 2.0
Der zweite, nicht übersehbare Trend ist der Einzug von Web 2.0 in Unternehmen und damit auch in ECM-Systeme - Enterprise 2.0 und ECM 2.0 sind hier die Schlagwörter. Mit den so genannten ECM 2.0 Produkten integrieren die ECM-Hersteller kollaborative Anwendungen wie Wikis, Foren, Blogs, Community-Software, RSS-Feeds, Instant-Messaging, Favoriten und Bookmarks etc. in ihr Portfolio. ECM 2.0 ist nichts grundsätzlich Anderes oder Neues – traditionelle Techniken werden lediglich um aktuelle Ansätze ergänzt, auch wenn Web-2.0-Features und traditionelles ECM häufig noch nicht so recht zusammenpassen. Erste Ansätze dazu gab es auch schon im letzten Jahr, neu ist aber, dass jetzt tiefere und überlegtere Integrationen geboten werden, die die nötige Reife für den Einsatz in der Praxis erlangt haben: die Erschließung und Archivierung der Inhalte aus diesen kollaborativen Umgebungen wurde nämlich bei den ersten Schnellschüssen bislang vernachlässigt. Die ersten CeBIT-Vorberichte lassen jetzt aber auf interessante Verbesserungen hoffen. Für eine strategische Herangehensweise an den Einsatz von Web 2.0 Technologien in Unternehmen ist es entscheidend, dass Wikis, Blogs, Foren etc. mit allen Informationen in einer einheitlichen ECM-Lösung integriert werden. Ansonsten entstehen lediglich neue Insellösungen, die eine übergreifende, effiziente Informationsgenerierung und -nutzung verhindern. Kollaborative Inhalte müssen erschlossen sein und in die übergreifende Suche eingebunden werden. Auch Inhalte aus Blogs, Foren, Feeds oder Wikis können archivierungswürdig oder -pflichtig sein, so dass die Möglichkeit gegeben sein muss, sie in starre Momentaufnahmen und Langzeitformate zu überführen und zu archivieren. Mit ECM 2.0 entstehen neue Nutzungsmodelle und Anwenderoberflächen, doch das wichtigste ist die voraussichtliche Veränderung des Anwenderverhaltens: Anwender sind mit Web 2.0 Applikationen aus ihrer privaten Internetnutzung vertraut und legen zunehmend eine erhöhte Bereitschaft, Information Systemen anzuvertrauen und dem Unternehmen preiszugeben, an den Tag; es zeichnet sich eine neue Kultur im Umgang mit Wissen und Information ab, der Leitgedanke „Wissen ist Macht“, der jahrzehntelang das Mitarbeiterverhalten und den Informationsfluss in westlichen Unternehmen geprägt hat, verliert an Bedeutung. In Kombination mit den Möglichkeiten der neuen Applikationen, kollaboratives Wissen systematischer und schneller zur Verfügung zu stellen und zu nutzen, rücken so manche gescheiterte Visionen des Wissensmanagements wieder in greifbare Nähe. Einfacher als in der Vergangenheit können durch den Anwender getrieben unternehmensweite Wissensbasen aufgebaut werden.
Informationsmanagement
Kaum hat sich der Begriff Enterprise Content Management und sein Akronym ECM auch in Deutschland durchgesetzt - von DMS Dokumentenmanagementsystem spricht auch hierzulande kaum noch einer – schon ist ein Trend erkennbar, der den Begriff bald überflüssig machen wird: ECM geht im allgemeinen Informationsmanagement auf. Komplette Suiten, die alle Komponenten von ECM - Capture, Manage, Store, Deliver und Preserve - abdecken sind bei den großen Anbietern keine Seltenheit mehr. Mit ECM 2.0 werden auch moderne Web-Technologien in die Portfolios aufgenommen. Unter der Haube von SOA Service Oriented Architecture kommt die längst fällige Modularisierung. Große Anbieter von Standardsoftware machen ECM immer mehr zum Allgemeingut und zur Infrastruktur. Dabei gewinnt man den Eindruck, dass Enterprise Content Management Opfer seiner eigenen Vision wird. Ein grundlegendes Ziel von ECM war immer die Zusammenführung von schwach- und unstrukturierten Informationen mit strukturierten Daten. Dieses Ziel ist mit der Zeit in Sichtweite gerückt; damit wird aber auch das Profil von ECM immer undeutlicher. ECM sind immer weniger sichtbare Einzelsysteme, vielmehr wandelt sich ECM zu Services, Komponenten, Infrastruktur und „Enabling-„Modulen und rückt damit immer weitere in den Hintergrund – weg vom Desktop des Anwenders. ECM überlappt immer mehr mit angrenzenden Bereichen der ITK und wird Teil des allgemeinen Informationsmanagements. Damit verliert die Branche langfristig ihre Alleinstellungsmerkmale; stellt sich die Frage, wie es mit der Branche weitergehen wird.
Zunehmend werden sich die unter dem Dach von ECM zusammengefassten Komponenten wieder lösen und eigenständige Bereiche bilden: WCM, DAM, Collaboration und Web 2.0 werden in einem Bereich aufgehen; Workflow und Business Process Management spalten sich ab und integrieren sich mit BI Business Intelligence; Output-Management war nie wirklich in ECM integriert und wird eine eigenständige Branche bleiben; Records Management gewinnt an Bedeutung, gerade vor dem Hintergrund der GRC Governance, Risk Management & Compliance Initiativen; das traditionelle Dokumentenmanagement wird standardmäßig in alle Office- und Kommunikationsplattformen integriert sein; auch die „Preserve“ Komponente wird sich als echte „Langzeitarchivierung“ von ECM abnabeln. Der Bereich DRT Document Related Technologies wird im Gegensatz zu ECM überleben, weil es immer Technologien geben wird, die sich speziell mit den Anforderungen elektronischer Dokumente beschäftigen müssen.
Fazit
Alle drei Trends basieren auf einer gemeinsamen Grundlage: der rasanten Weiterentwicklung der Informations- und Telekommunikationstechnologien. ECM ist einerseits funktional Mainstream geworden andererseits verschwindet es im Bauch anderer Anwendungen. Durch die Aufhebung der Trennung zwischen strukturierten und unstrukturierten Inhalten, die variable Kombination von Diensten zu Lösungen und das Aufsaugen von ECM-Funktionalität durch andere Anwendungen hat sich die Situation bei Anbietern und Anwendern verändert - und weitere Veränderungen in immer kürzeren Zyklen stehen an. Acht Jahre nach der Geburt des Begriffes ECM Enterprise Content Management zeigt sich, dass einerseits wesentliche Ziele der ECM-Vision aus dem Jahr 2000 erreicht wurden, andererseits ECM als Produktkategorie vielen bereits wieder obsolet erscheint. (Kff)