FileNet von IBM gekauft. Dies muss man sich einmal bewusst machen. Big Blue kauft Little Blue. Dies ist nicht irgendein Merger in der ECM-Branche, dies ist ein Endpunkt. Der Endpunkt nicht nur für ein Unternehmen sondern für eine langjährige Entwicklung einer eigenständigen Branche. FileNet ist nicht irgendein Anbieter von Archiv-, Dokumentenmanagement- oder Workflow. FileNet ist einer der Pioniere. FileNet war eines der wenigen Unternehmen, die aus den Frühtagen des Optical Filing und Imaging bis heute aus eigener Kraft überlebt haben. Wer erinnert sich noch an Wang, wer noch an Philipps Megadoc? Das Management von FileNet hat bis zu letzt betont, einen eigenständigen Weg zu gehen, stark genug auch für den sich verändernden Markt unseres Jahrzehnts zu sein. Und nun hat man sich doch dem Werben eines großen Marktbegleiters ergeben.
Blicken wir noch einmal in die Frühzeit der Branche zurück. FileNet wurde 1982 von Ted Smith gegründet. Damals waren die vorherrschenden Systeme Host-Rechner, die nicht mit Bildern, sondern nur mit ASCII- oder EBCDIC-Daten umgehen konnten. Damals kamen die ersten optischen Speicherplatten auf, von Philipps, Kodak und Thomson CSF. Die ersten Scanner wurden gebaut. All diese neuen Technologien, noch vor der Verbreitung des Personal Computer, wurden von FileNet aufgegriffen. Papier erfassen und elektronisch bereitzustellen, ergänzend zu den vorhandenen Datensystemen, versprach neue Märkte, effizientes Arbeiten und Überwindung des Medienbruches. FileNet baute sogar eigene Rechner, nur um Faksimiles anzeigen zu können, eigene Jukeboxen, die OSAR-Systeme, um die neuen digital-optischen Speicherplatten nutzen zu können. 1986 gab es denn COLD, Computer Output on Laserdisk zur Übernahme von Hostdaten, 1988 ein erstes Workflow-Produkt, das mehr konnte als Dokumente zu routen. Ende der 80er Jahre war FileNet eines der führenden Unternehmen für Dokumentenmanagement geworden, an dem sich andere Anbieter orientierten. Anfang der 90er Jahre kommen die ersten Windows-basierten Produkte, die aber wenig Erfolg hatten. Ebenso wie die damals gestartete Expansionspolitik durch Aufkäufe - wer kennt noch Watermark oder SAROS? 1997 tritt Lee Roberts als neuer CIO an. Ende der 90er Jahre besinnt sich FileNet auf seine eigenen Kräfte. Neue Produktlinien wie Panagon machen FileNet in seiner Ära zu einem der erfolgreichsten Anbieter für Dokumentenmanagement, auch wenn gegen Ende der 90er Jahre besonders aus dem Umfeld des Content Management neue Wettbewerber auftauchen. Mit Web Content Management konnte sich FileNet, trotz einiger Anläufe, nie so recht anfreunden. Stattdessen fokussierte man sich Anfang des neuen Jahrtausends auf Business Process Management und schuf mit P8 ein relativ vollständiges ECM Enterprise-Content-Management-Portfolio. Es zeichnete sich aber bereits gegen Ende der 90er Jahre ab, dass im gehobenen Marktsegment der Firmen zu wenig Potential für eine Expansion lag und ein Anbieter für den Mittelstand war FileNet nie. Der Druck im Markt, immer mehr neue Anbieter, immer weniger USPs, all dies wird die Entscheidung leichter gemacht haben, sich in den Schoss von IBM zu begeben.
Wenn FileNet als Marke, als eigenständiges Unternehmen sich vom Markt verabschiedet, wird eine Ära zu Ende gehen.
Dokumentenmanagement, Workflow, Archivierung und all die vielen anderen Spezialdisziplinen des Enteprise Content Management werden zum Bestandteil der allgemeinen IT-Infrastruktur, des Informationsmanagements, werden zu Commodities. Die Kluft, der CI-NCI-Canyon, der in den 80er Jahren die herkömmliche DV von der Verarbeitung von Bildern, Sprache und Multimediaobjekten trennte, ist überwunden. Moderne Arbeitsplatzrechner als auch das Internet haben die Barriere verschwinden lassen. Jede Software wird mit NCI-Informationen umgehen können müssen, Workflow und Prozesssteuerung werden zur Basiskomponenten von Betriebssystemen und Anwendungen, Archivierung ist ein Desiderat von generell für die gesamte IT-Infrastruktur und Speicherlandschaft gelöst wird, einzelne Services werden die ECM-Funktionalität allen Anwendungen gleichermaßen anbieten. FileNet war immer von Visionen getrieben, hat aber nie die Bodenhaftung verloren. Den Weg für FileNet haben einzelne Persönlichkeiten, Visionäre und Missionare in Sachen Dokumentenmanagement, gebahnt, die nicht vergessen werden dürfen: Ted Smith und Lee Roberts in den USA, aber auch in Deutschland zum Beispiel Norbert Neumann, der nicht nur für FileNet sondern für die gesamte Branche in Europa den Weg geebnet hat. FileNet wird in den Lehrbüchern zur Entwicklung des Computers, der Software und der Informationsgesellschaft als einer der Pioniere genannt werden, dessen Lösungen und Ideen vom Imaging bis zum Workflow sich zum Allgemeingut der Informationsverarbeitung entwickelt haben. (Kff)