19991112 \  In der Diskussion \  Internet-Währungen untergraben nationale Währungsinstitutionen
Internet-Währungen untergraben nationale Währungsinstitutionen
Das Internet entwickelt sich von einem reinen Kommunikationsmedium für den einfachen und schnellen Austausch von Informationen hin zu einer globalen Marketing- und Handelsplattform. Angesichts der Verbreitung des elektronischen Handels E-Commerce werden einzelnen Nationen bereits heute gravierende Auswirkungen auf deren Geldwirtschaften prognostiziert. Führende Hüter von Zentralbanken wie Alan Greenspan in den USA oder Eddie George in England machen sich bereits Gedanken über zukünftige Szenarien und deren Bedeutung für die Einflußmöglichkeiten von Geldpolitik auf die Wirtschaft. Auf einer Versammlung der weltweit bedeutendsten „Zentralbankern“ im August diesen Jahres in Wyoming, warnte Mervyn King, Stellvertreter von Eddie George, die Zentralbanken davor, ihr Monopol über die Herausgabe von Zahlungsmitteln zu verlieren.
Diese Entwicklungen gehen von bisher eingeschränkten Bonussystemen aus, wie beispielsweise Miles & More von Lufthansa, die mittlerweile von Unternehmen, die im Internet vertretenen sind, übernommen und weiterentwickelt werden. Auf einer kanadischen Website (www.airmiles.ca) werden u. a. Haushaltsprodukte angeboten, die mit gesammelten Treuepunkten zu bezahlen sind. Darüber hinaus gibt es Internetunternehmen, die solche Bonussysteme professionell betreiben. Hierzu gehören vor allem Beenz (www.beenz.com) und ipoints (www.ipoints.co.uk). Mit der Nutzung des direkten Zahlungstransfers über das Internet statt über das konventionelle Bankensystem entfällt die Notwendigkeit zur Nutzung öffentlicher nationaler Währungen.
Zur Zeit können solche als beenz oder ipoints bezeichneten Zahlungseinheiten nicht im entferntesten mit regulären Zahlungsmitteln verglichen werden. Allerdings prophezeit Charles Cohen, Gründer der beenz.com, daß elektronisches Geld von privaten Unternehmen innerhalb der nächsten zehn Jahre auf den Markt kommen und gegenüber den nationalen Währungen an Popularität und Gewicht gewinnen wird. Grundlegend für die steigende Bedeutung virtueller Währungen privater Anbieter sind zum einen die zunehmende Bedeutung des E-Commerce und zum anderen der Austausch von Waren und Zahlungen von Unternehmen über das Internet. Mervyn King sieht die größte Gefahr für die nationalen Währungshüter darin, wenn Unternehmen ihre Waren nicht mehr unter Einbeziehung des öffentlichen Bankensystems bezahlen, sondern unter Nutzung virtueller Zahlungsmittel ihre Rechnungen direkt begleichen.
Voraussetzung für eine breite Akzeptanz von electronic cash über das Internet ist die technische Gewährleistung von Sicherheit und Vertraulichkeit der Transaktionen. Beiden Anforderungen wird verstärkt durch die Bereitstellung von immer günstigeren Chipkarten und elektronischen Signaturen Rechnung getragen. Ferner ist davon auszugehen, daß international nur ein privater Anbieter akzeptiert wird, der bereits als international player bekannt und etabliert ist. Denkbar sind beispielsweise Unternehmen wie Visa oder American Express, die bereits heute im Kreditwesen allgemeine Anerkennung und Akzeptanz gefunden haben. Für die Zeitschrift "The Guardian" sind von Bill Gates herausgegebene "Bill`s" eine mögliche Variante. Heute laufen alle Geldtransaktionen früher oder später über das Bankensystem. Dies geschieht unabhängig davon, ob die Aktionen in bar, per Check, Kreditkarte oder über telefonische Anweisungen erfolgen. Die Folgen von privaten Währungen könnten für die nationalen Ökonomien vielseitig und tiefgreifend sein. Die Auswirkungen betreffen eine Vielzahl einzelner Unternehmen und Institutionen bis hin zu Strukturen der Gesellschaftssysteme selbst. Zunächst sind die Geldinstitute selbst betroffen, weil sie an jeder Transaktion, die über ihre Konten läuft, mitverdienen. Sollte ein Großteil der Zahlungen nicht mehr wie bisher über das Bankensystem erfolgen, sind gravierende Strukturänderungen des Bankensystems, Fusionen und Übernahmen von Kreditinstituten zu erwarten. Die Zentralbanken besitzen über ihre Geldmarktinstrumente einen großen Einfluß auf die wirtschaftliche Entwicklungen eines Staates. Die Anhebung oder Senkung der Zinssätze gilt als wirksames Mittel zur Bekämpfung inflationärer oder deflationärer Tendenzen. Verlieren die Zentralbanken die Kontrolle über die Geldmenge, geht den Staaten ein wesentliches Machtmittel zur Stabilisierung ihrer Ökonomien verloren. In diesem Sinne wies Mervyn King auf der Versammlung der Banker in Wyoming darauf hin, daß die Zentralbanken bereits den Zenit ihrer Machtpositionen erreicht haben könnten.
In gleichem Maß, wie die Transaktionen am Bankensystem vorbeilaufen, werden die Steuerbehörden Schwierigkeiten bekommen, sowohl Zahlungen nachzuvollziehen als auch Vermögensaufkommen zu prüfen und entsprechend Steuerforderungen aufzustellen. Einige Stimmen gehen in diesem Zusammenhang von sinkenden Steuereinnahmen aus. Das wiederum hat Auswirkungen auf die Bereitstellung staatlicher Leistungen wie z. B. im Bereich der sozialen Sicherung oder der Sicherheit. Positiv an dieser Entwicklung ist, daß je geringer die Transparenz der Vermögenswerte ist, desto mehr sind die Behörden auf die Steuerehrlichkeit der Bürger angewiesen. Um dies zu erreichen, wären die Behörden erstmals genötigt, ihrerseits für mehr Transparenz der Verwendung von Steuermitteln zu sorgen. Für die Verwendung von privaten Währungen werden mehrere Anreize angeführt. Zum einen kann die Geldmengenpolitik zu einer höheren Inflationsrate und damit zum Wertverlust der Ersparnisse führen. Insbesondere viele Liberale verurteilen die nationalen Währungssysteme als Betrug an dem Bürger, der in den Inflationsphasen um seine Ersparnisse betrogen wird. Private Währungen unterliegen dagegen keiner politischen Regulierung, so daß häufig eine geringere Inflationsrate erwartet wird. Letztlich kann jeder selbst abwägen, wie er die Inflationsgefahr der privaten und der öffentlichen Währung einschätzt.
Die technologische Entwicklung wird es zukünftig ermöglichen, das elektronische Geld auf verschlüsselte Kreditkarten herunterzuladen. Auf diese Weise kann es wie heute bereits mit Scheck- und herkömmlichen Kreditkarten üblich, als Zahlungsmittel für Einkäufe auch außerhalb des Internets verwendet werden. Unternehmen profitieren von digitalen Zahlungssystemen, indem sie sich durch direkte Begleichung der Rechnung vor Risiken wie Zahlungsverzögerungen bis hin zur Zahlungsunfähigkeit von Kunden absichern. Ein weiterer Vorteil sind sinkende Verwendungsgebühren aufgrund der Konkurrenz privater Währungen untereinander und der Konkurrenz mit den nationalen Währungen. Wirtschaftlich schwache Staaten wie z. B. einige lateinamerikanische Länder gelten als potentielle Kandidaten, die ihre inflationären Währungen durch Fremdwährungen ersetzen würden. Bisher nahmen sie von einer offiziellen Ersatzwährung wie beispielsweise dem US-Dollar Abstand, da sie eine zu starke politische Einflußnahme durch die USA befürchteten. Politische Überlegungen dieser Art würden jedoch bei privaten Währungen nicht zum tragen kommen. Entgegen der wirtschaftsliberalen Einschätzungen eines Frederich Hayek, der die Bedeutung privater Währungen mit der Bedeutung beliebiger anderer Wirtschafts- und Konsumgüter gleichsetzt, gilt es im Zusammenhang mit der Einführung einer privaten Geldwirtschaft eine Reihe technischer, wirtschaftlicher und gesellschaftspolitischer Fragen zu klären.
Die rein technische Dimension ist sicherlich einfach. Bereits heute wird in Verbindung mit der digitalen Signatur an Lösungen zur Bereitstellung sicherer Software, geeigneter Hardware wie z. B. Smartcards und der notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen gearbeitet. Ein Hindernis zur Verbreitung dieser Technologie ist zur Zeit im wesentlichen der Preis für solche Smartcards. Vergleicht man diese Technologie mit der Entwicklung des electronic banking in den vergangenen Jahren, so ist zu erwarten, daß das Preisargument bei einer entsprechenden Verbreitung des E-Commerce und zunehmender Verwendung digitaler Signaturen insbesondere in Kreditinstituten bereits kurzfristig an Bedeutung verlieren wird.
Praktische Fragen wie die Ermittlung realistischer Wechselkurse treten in den Vordergrund. Bisherige Bonussysteme enthalten rein betriebswirtschaftliche Erwägungen eines Unternehmens und stellen einen Mix aus Neukundengewinnung, Kundenbindung und nicht zuletzt der Margen dar. In diesem Zusammenhang ist die Behauptung, daß private Währungen weniger inflationäre Tendenzen aufzeigen als öffentliche Währungen, kritisch zu betrachten. Allein die Börsenerfahrungen mit dem "Neuen Markt" in Deutschland geben wenig Anlaß zu der Hoffnung, daß sich Unternehmen vor allem in wirtschaftlich kritischen Zeiten nicht dazu hinreißen lassen, die eigene Geschäftslage auf Kosten des im Umlauf befindlichen Geldvermögens aufzubessern. Betrachtet man die Anfälligkeit und Reaktion der Börse auf kurzfristige Meldungen bezüglich einer Branche oder einem Unternehmen, ist auch in bezug auf private Währungen mit heftigen Kauf- bzw. Verkaufbewegungen inklusive sämtlicher Folgeerscheinungen zu rechnen. Hinzu kommt das größte Risiko privater Währungen: Der Konkurs von Unternehmen, Fusionen oder Übernahmen. Im Gegensatz dazu werden Staaten durch internationale Sicherungssysteme aufgefangen und gestützt. Es ist nicht davon auszugehen, daß sich Staatengemeinschaften in gleichem Maße auch zur Rettung privater Unternehmen bereiterklären werden.
Die wachsende Aufgeschlossenheit gegenüber elektronischen Medien und die Bereitschaft der Anleger, Vermögenswerte in Erwartung höherer Gewinne in risikoreichere Anlageformen einzubringen, läßt langfristig auf eine Herausgabe privater Währungen schließen. Ob diese Entwicklung jedoch, wie von Charles Cohen prophezeit, innerhalb der nächsten zehn Jahre realisiert wird, ist eher unwahrscheinlich. Wie bereits im Bereich der elektronischen Signatur werden es sich die Staatengemeinschaften nicht nehmen lassen, rechtliche Rahmenbedingungen für die Verwendung privater Währungen festzuschreiben. Eine breite öffentliche Nutzung ohne jegliche rechtliche Absicherungen wird voraussichtlich nicht stattfinden. Auch hier lassen sich Parallelen zur Entwicklung der elektronischen Signatur anführen. Da bereits bei Handelsgeschäften Vorbehalte bezüglich Haftungsfragen und Rechtssicherheit der Geschäfte auftreten, werden die Anforderungen in Verbindung mit der Umschichtung von Vermögen noch um ein Vielfaches höher sein. Unabhängig davon in welchem Zeitraum diese Entwicklung stattfinden wird: Durch die Tatsache, daß sich die Leiter der großen Zentralbanken weltweit ernsthaft mit den möglichen Auswirkungen privater Währungen auseinandersetzen, wird die Ernsthaftigkeit dieser Entwicklung bestätigt.  (MF)
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