Von Felix v. Bredow
Berater der PROJECT CONSULT Unternehmensberatung GmbH
Nachdem Microsoft lange Zeit einen großen Bogen um das Thema Dokumenten-Management gemacht hat, ist dieses im Rahmen der aktuellen Knowledge Management Strategie ein immanenter Bestandteil geworden. Zusammen mit der aktuellen .Net-Strategie präsentiert sich Microsoft als Infrastrukturanbieter, der im heutigen Internet-getriebenen Zeitalter keine Wünsche offen läßt. Dagegen positioniert sich auch Lotus. Was seit längerem unter der Bezeichnung Raven Knowledge Management Suite angekündigt worden ist, wird nun in einer abgespeckten Form als Knowledge Discovery System angeboten. Diese beiden Ansätze sollen im folgenden Beitrag gegenübergestellt und die möglichen Auswirkungen auf den DRT-Markt reflektiert werden.
Einleitung
Der DRT-Markt wird zunehmend von mehreren Seiten in die Zange genommen – von den großen ERP-Anbietern, von den Datenbankanbietern, von den Portal-Technologie-Anbietern usw. Nun erfolgt ein weiterer Angriff aus dem unteren Marktsegment, der Groupware und Office einschließt. Die Folgen sind klar – der Markt wird sich weiter und schneller konsolidieren. Allein die Marketingmaschinerie von Microsoft wird hierfür schon sorgen und spätestens die Folgeversionen des heutigen Sharepoint Portal Servers werden die Frage eindeutig beantworten – „wozu benötigt man noch zusätzliche Dokumenten-Management-Produkte ?“
Die Microsoft Knowledge Management Plattform
Das Dokumenten-Management-Segment war für Microsoft immer ein Bereich der gerne Partnern überlassen worden ist. Doch seit der Einführung des Sharepoint Portal Servers (vormals Tahoe) scheint Microsoft gerade mit Nachdruck in dieses Segment vorzudringen. Microsoft begreift Knowledge Management als Managementdisziplin, die intellektuelles Kapital als ein Wirtschaftsgut und einen strategischen Wettbewerbsfaktor ansieht. Daher sind die wesentlichen Bestandteile eine lernende Organisation, effektive Prozesse und moderne Technologie. Gemäß Microsoft stellen Einzelpersonen, also die Mitarbeiter eines Unternehmens, die wichtigste Ressource in den heutigen Unternehmen dar. Das primäre Ziel besteht daher in der Konzentration und Weitergabe intellektueller Inhalte eines Unternehmens an die Mitarbeiter, die mit ihren täglichen Entscheidungen über Erfolg und Mißerfolg des Unternehmens entscheiden.
Betrachtet man die obige Plattformarchitektur, die die strategische Produktphilosophie von Microsoft für das Knowledge Management wiederspiegeln soll, genauer, so kann man schnell feststellen, daß Microsoft seinen eigenen Ansprüchen (noch) nicht gerecht wird.
In der untersten Ebene stellt Microsoft eine enge Verbindung zwischen relationalen Systemen und dem WebStore dar. Die relationale Komponente soll sicherlich durch den eigenen SQL-Server repräsentiert werden, der gleichzeitig weitere Funktionalität in Richtung Content Management erhalten wird, da die Produktpalette des erst kürzlich übernommenen Anbieters Ncompass integriert werden soll. Mit dem WebStore ist der neue Sharepoint Portal Server gemeint. Doch gerade diese Komponente läßt sich zur Zeit noch nicht effektiv mit relationalen Systemen verbinden. Weiterhin verfügt der Sharepoint Portal Server über Funktionen die sich an ganz anderer Stelle in der Abbildung verbergen. Auch die Datenhaltung weiterer Systeme ist in dieser Abbildung nicht berücksichtigt worden. Hier fehlen z. B. Exchange oder das herkömmliche Filesystem.
Die Knowledge Dienste werden im Wesentlichen durch den neuen Sharepoint Portal Server zur Verfügung gestellt. Aber auch die Content Management Komponenten von Ncompass müssen hier angesiedelt werden. Zusätzlich sind in diesem Bereich sicherlich auch Exchange-Bestandteile einzusortieren.
Zentraler Bestandteil des Knowledge Desktops wird zweifellos der Internet Explorer sein. Interessanter ist hier die Frage was sich hinter den Knowledge Tools verbergen soll. Hier kann vermutet werden, daß alle weiteren Desktop Applikationen wie Office und Outlook gemeint sein sollen. Aber auch die schon lange propagierte Toolsammlung Digital Dashboard muß zu diesem Kreis gezählt werden. Doch stellt sich auch hier das Problem, daß diese Komponenten nicht so eindeutig, wie in der Abbildung dargestellt, eingeordnet werden können
Warum diese Schicht als oberste dargestellt wird, kann nicht ganz nachvollzogen werden. Gemeint ist hier aber die Strategie, Betriebsystemvarianten für alle möglichen Plattformen anbieten zu können. Daher liegt es also auch nahe, diese mit einheitlichen Schnittstellen zur Kommunikation auszustatten. Dennoch sind, ausgegangen von der obigen architektonischen Darstellung, Betriebssystemschnittstellen eher als Basisdienste zu verstehen und sollten daher auch als eine der unteren Schichten dargestellt werden.Insgesamt ist also festzustellen, daß Microsoft der eigenen Strukturierung nicht gerecht wird. Die angebotenen Komponenten lassen sich nicht eindeutig zuordnen. Dieses birgt schon aus dem Grund Schwierigkeiten, daß sich Microsoft eigentlich als Anbieter von Komponenten zur individuellen Gestaltung von Knowledge Management Lösungen versteht. Weiterhin ist verwunderlich, daß Microsoft in seinen Aussagen immer wieder die Prozeßkomponente in den Vordergrund stellt, obwohl diese aber eigentlich nicht zu den Stärken gehört.
Das Lotus Knowledge Discovery System
Das Knowledge Discovery System KDS umfaßt unter dem Leitmotiv „Personen, Orte und Dinge“ Produkte, Dienstleistungen und methodische Verfahren zur Realisierung von Knowledge Management Lösungen. Erwähnenswert ist, daß KDS auf Domino/Notes Komponenten aufbaut, diese aber nicht zwingend voraussetzt. Einer der Kernbereiche von KDS ist das Portal K-Station, das Funktionen zur Erstellung und Verwaltung von Profilen über Benutzer und Interessengemeinschaften bereitstellt. Zudem bietet KDS virtuelle Orte, an denen Personen und Inhalte zusammengebracht werden. K-Station soll Anwendern helfen, relevante Informationen zu suchen und zu finden sowie sämtliche Informationen zu verwalten, die zu einer Aufgabe, einer Arbeitsgruppe oder einem Projekt gehören. Dieses Portal läßt sich individuell konfigurieren und erweitern. Dadurch kann beispielsweise ein Anschluß an ERP-Systeme oder auch weitere virtuelle Interessengemeinschaften hergestellt werden. Mit ähnlichen Zielen hat IBM das Enterprise Information Portal (EIP) angekündigt. Unter Verwendung von DB2-Technologien, der Einbindung der EDMSuite, ContentConnect sowie Domino Extended Search wurde die Grundlage für Lotus KDS sowie für weitere KM-Anwendungen, die mit Hilfe eines Knowledge Management Toolkits entwickelt werden, geschaffen. Auch Lotus hat dabei die Geräte-unabhängige Kommunikation in das Gesamtkonzept einbezogen. Durch die integrierte Sametime-Erweiterung Everyplace Quick Start wird nun auch die plattformunabhängie Kommunikation z.B. per WAP möglich.
Damit weicht die Philosophie seitens Lotus zum Thema Knowledge Management ein wenig von der Microsoft Darstellung ab. Bei Lotus steht nicht die Einzelperson alleine im Vordergrund. Diese unterschiedlichen Betrachtungsweisen des Themas liegen in der Geschichte der beiden Unternehmen begründet. Während bei Lotus schon immer der kollaborative Groupware-Aspekt im Vordergrund stand, sind die Ursprünge des Knowledge Managements bei Microsoft eher in der Erzeugung von Informationen begründet. Für diese Informationen ist es heute nicht mehr ausreichend, daß die erzeugende Person diese auf Grund einer meist sehr individuellen Ordnung im Dateisystem verwaltet und, wie es in der Vergangenheit war, meist in ausgedruckter Form oder per eMail an weitere Personen verteilt hat. Während also heute für Microsoft die Verfügbarkeit der in den eigenen Systemen erzeugten Informationen im Vordergrund steht, ist für Lotus der vorrangige Aspekt, alle denkbaren Informationsquellen zu erschließen und individuellen Benutzergruppen zur Verfügung zu stellen.
Betrachtet man die Darstellung der Knowledge Architektur von Lotus, so wird deutlich, daß der Discovery Server als zentraler Bestandteil als Middleware gewertet werden kann. Genau dieser Ansatz ist auch die Stärke dieser Lotus Applikation. Zum einen können die unterschiedlichsten Backend-Systeme angesprochen werden und zum anderen können durch Profiling-Mechanismen User-Gewohnheiten beobachtet werden, wodurch die aus den Backend-Systemen stammenden Informationen konsolidiert und zielgerichtet zur Verfügung gestellt werden können. Somit lassen sich aber auch Informationen ermitteln, welcher Mitarbeiter wie oft bestimmte Informationen abruft und bearbeitet. Hier kommen wir mal wieder in einen äußerst kritischen Bereich, der Betriebsräte aufschrecken könnte, da diese Mechanismen auch als Kontrollinstrumente mißbraucht werden könnten. Eine andere Problemstellung könnte sein, daß Experten durch diesen Ansatz schnell erreichbar werden. Diese so erzeugte Visibilität von Einzelpersonen muß nicht immer ein Vorteil sein. Zum einen kann dieses zur Folge haben, daß diese Personen nicht mehr zu ihren eigentlichen Aufgaben kommen, zum anderen, daß sie sich gegen diesen Ansatz wehren und daher versuchen werden, als Experten nicht erkannt zu werden.Bei einer solchen Konstellation, die die unterschiedlichsten Repositories in ein ganzheitliches Konzept einbezieht, stellt sich weiterhin immer wieder die Frage, wie Personen nur die Informationen zu sehen bekommen, für die sie auch dedizierte Rechte zugewiesen bekommen haben. Lotus versucht sich dieser Problemstellung mit seinem eigenen Directory Server zu stellen. Doch muß in diesem Fall deutlich gemacht werden, daß die meisten herkömmlichen Repositories Schwierigkeiten haben, mit unterschiedlichen Verzeichnisdiensten zusammenzuarbeiten, wenn diese auch über die standardisierte LDAP-Schnittstelle kommunizieren. Daher kann vermutet werden, daß Unternehmen KDS vorrangig dort einsetzen werden, wo schon von vornherein eine auf Lotus-Komponenten basierende Infrastruktur vorliegt. Zusätzlich werden dann weitere Informationsquellen angeschlossen, die keine kritischen Informationen beinhalten. Somit ist auch KDS noch von einem ganzheitlichen Einsatz entfernt. Durch die bisher nur am Rande zu beobachtende Aussage, Lotus wird mit KDS auch zum Anbieter von CRM Customer Relationship Management und SCM Supply Chain Management verschärft sich die Berechtigungsproblematik zusätzlich. Microsoft stellt einen sehr viel demokratischeren Ansatz in den Vordergrund. Alle Dokumente, die publiziert werden, sind entweder im Internet, im Intranet oder im Extranet zugänglich.
Um die in den unterschiedlichen Quellen gehaltenen Informationen schnell verfügbar halten zu können, arbeitet die Lotus Lösung mit den so genannten K-Maps. Diese sind lebende Systeme, welche mit der Organisation wachsen, indem alle Benutzeraktivitäten verfolgt werden und automatisch Inhaltskategorien aufgebaut und aktuell gehalten werden. Es kann jedoch erwartet werden, daß die dort gehaltenen Inhalte schneller wachsen, als dies üblicherweise Organisationen tun. Langfristig ist hier dann ein ähnliches Verhalten zu erwarten, wie dieses auch bei anderen selbstlernenden Mechanismen beobachtet wird. Irgendwann tritt dann der Effekt des Übertrainierens auf, der zur Folge hat, daß Informationen nicht mehr eindeutig zugeordnet werden können und sich die erwarteten Vorteile damit in das Gegenteil umkehren.
Ausblick
Da Microsoft seiner eigenen Strategie auch in absehbarer Zeit nicht gerecht werden wird, bleibt für andere DRT-Anbieter noch genug Raum, um zu überleben. Dennoch kann davon ausgegangen werden, daß die Impulse, die Microsoft in den Markt sendet, die heutigen Anbieter dazu veranlassen werden, über ihre eigene Produktstrategie und -weiterentwicklung neu nachzudenken. Vor allem Anbieter im unteren Segment wie z. B. A.I.S., DocMan oder EASY müssen sich grundlegende Gedanken machen, wie sie ihre Zukunft gestalten wollen. Noch haben diese Anbieter einen Vorsprung von zwei bis fünf Jahren vor Microsoft, doch wer es heute scheut, die richtigen und meist unbequemen Entscheidungen zu treffen, der wird nach Ablauf dieser Frist das Nachsehen haben. Im Lotus Umfeld sah es lange so aus, daß diese Company mit der eigenen Knowledge Mangement Strategie auf dem richtigen Weg war. Die ursprüngliche Notes/Domino Produktpalette wurde kontinuierlich ausgebaut und bietet inzwischen sehr mächtige Werkzeuge, um der eigenen Knowledge Management Philosophie gerecht werden zu können. Doch so erfolgreich Lotus auch mit seinem Ansatz ist, so schwierig gestaltet sich die Zusammenarbeit mit dem Mutterhaus IBM. IBM ist es ein Dorn im Auge, daß die Tochter Lotus mit steigendem Erfolg auch zunehmend nach Unabhängigkeit strebt. Sicher sollten bei einer derartigen Konstellation Synergieeffekte gesucht und genutzt werden. Doch sieht es zur Zeit eher danach aus, daß IBM sich lieber die innovativen Ideen aus dem Hause Lotus einverleiben möchte, als sich das Erwachsenwerden der eigenen Tochter einzugestehen. Aus diesem Grund taucht auch in der Produktdemo von KDS der IBM Content Manager auf bzw. ist die wesentliche Erweiterung der neuen Domino/Notes Version 5.05 eine bessere Kommunikation mit IBM’s eCommerce Plattform Websphere.
Bei dem Versuch, einen direkten Vergleich der beiden Ansätze anzustellen, wird man feststellen, daß Beobachter die Lotus Lösung als Leistungsfähiger erachten. Dennoch ist ein direkter Vergleich schwierig. Eben dieser Personenkreis zählt eher Anbieter wie Autonomy, Tacit oder Plumtree zur direkten Konkurrenz zu KDS. Hinderlich wird für Lotus sein, seinem Kundenkreis überhaupt erst einmal die Komplexität der eigenen Lösung und den daraus zu gewinnenden Nutzen verständlich zu machen.
Natürlich ist die DRT-Branche zu Recht aufgeschreckt. Nicht nur wegen des Markteintritts von Microsoft, sondern auch bezüglich der Ankurbelung des damit verbundenen „Wettrüstens“. Mit dem Discovery Server hat Lotus gerade noch rechtzeitig seine Produktpalette ergänzt, um dem Sharepoint Portal Server Paroli bieten zu können, auch im mySAP- und Oracle-Umfeld wird man bald mit noch mehr Funktionalität rechnen können. Durch die Kombination unterschiedlicher Technologien rüsten auch die traditionellen Anbieter ihre Produktpakete auf. Dabei fürchten die Anbieter weniger die derzeit noch unvollständig ausgeprägte Funktionalität des Microsoft-Produktes als die Vermarktungs- und Werbemacht des Softwaregiganten. Viele setzen jedoch auch die Hoffnung darauf, daß Microsoft nun endgültig den Massenmarkt für Archivierungs-, Workflow-, Knowledge-Management- und Dokumenten-Management-Technologien mobilisiert. Es wird jedoch nicht jedes heute am Markt plazierte Unternehmen dem steigenden Wettbewerbsdruck standhalten können.
Der Dokumenten-Management-Markt wandelt sich immer mehr in einen Content-Management-Markt, welcher ohne Zweifel ein wichtiger Bestandteil von Knowledge Management darstellt, in dem die Unterschiede zwischen den traditionellen und den Webtechnologien verschwinden. Microsoft zielt genau auf diesen sich entwickelnden Markt - und nicht auf die traditionellen Technologien. Es wäre für die DRT-Branche falsch, sich jetzt zurückzulehnen. Durch Produkte wie Lotus Discovery Server und Microsoft Sharepoint Portal Server werden wieder viele Funktionen, die in der Vergangenheit Unique Selling Points (Alleinstellungsmerkmale) waren, in betriebssystemnahe und weit verbreitete Office-Umgebungen überführt. Die Frage in der Anwenderschaft wird daher immer lauter – wozu braucht man extra Dokumenten-Management-Clienten, weitere Zusatzsoftware, aufwendige Projekte zur Einführung von Knowledge- oder Workflow-Management.