20070917 \  Artikel \  Records Management in der Pharmaindustrie
Records Management in der Pharmaindustrie
von Christoph Jeggle, PMP, CDIA+, E-Mail: Christoph.Jeggle@PROJECT-CONSULT.com. Christoph Jeggle ist Seniorberater bei PROJECT CONSULT.
Auf den ersten Blick ist Records Management keine branchenspezifische Disziplin. In der  Norm ISO 15489 wird unter Records Management die als Führungsaufgabe wahrzunehmende, effiziente und systematische Kontrolle und Durchführung der Erstellung, Entgegennahme, Aufbewahrung, Nutzung und Aussonderung von Schriftgut einschließlich der Vorgänge zur Erfassung und Aufbewahrung von Nachweisen und Informationen über Geschäftsabläufe und Transaktionen verstanden. Das ist zunächst einmal eine branchenneutrale Beschreibung, die allgemein zutrifft. Sie gilt damit auch für die Pharmaindustrie. Die Besonderheiten, die für das Records Management in der Pharmaindustrie gelten, sollen im Folgenden dargestellt werden.
Dafür ist es notwendig, sich einige spezifische Bereiche der Pharmaindustrie anzuschauen. So gibt es den Bereich der Forschung und Entwicklung, der sich in die nichtklinische und klinische Forschung aufteilt und den Bereich der Herstellung von pharmazeutischen Produkten. Diese Bereiche werden durch drei Leitfäden geregelt:
   
 1.
Good Laboratory Practice (GLP)
 2.
Good Clinical Practice (GCP)
   
 3.
Good Manufacturing Practice (GMP)
Alle drei Leitfäden sind von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) entwickelt und veröffentlicht worden.
Obwohl diese drei Leitfäden keineswegs die einzigen Regelungen für die Pharmaindustrie darstellen – hier seien z.B. noch die Regelungen der  21 CFR Part 11 für den amerikanischen Rechtsraum erwähnt – bieten sie doch eine Möglichkeit, die Besonderheiten von Records Management in der Pharmaindustrie zu identifizieren.
Die „Gute Laborpraxis (GLP) ist ein Qualitätssicherungssystem, das sich mit dem organisatorischen Ablauf und den Rahmenbedingungen befasst, unter denen nichtklinische gesundheits- und umweltrelevante Sicherheitsprüfungen geplant, durchgeführt und überwacht werden sowie mit der Aufzeichnung, Archivierung und Berichterstattung der Prüfungen.“ In diesem System wird festgelegt, dass folgende Informationen zu archivieren sind:
a) „Prüfplan, Rohdaten, Rückstellmuster von Prüf- und Referenzgegenständen, Proben und Abschlußbericht jeder Prüfung;
b) Aufzeichnungen über alle nach dem Qualitätssicherungsprogramm vorgenommenen Inspektionen sowie das Master Schedule;
c) Aufzeichnungen über die Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie praktische Erfahrung des Personals, ferner die Aufgabenbeschreibungen;
d) Aufzeichnungen und Berichte über die Wartung und Kalibrierung der Geräte;
e) Validierungsunterlagen für computergestützte Systeme;
f) Chronologische Ablage aller Standardarbeitsanweisungen;
g) Aufzeichnungen zur Kontrolle der Umweltbedingungen.“
Bei den meisten der hier aufgeführten Informationen handelt es sich um Dokumente, wie sie auch aus anderen Branchen bekannt sind. Es ist es aber wert, einen besonderen Blick auf Rohdaten, Rückstellmuster und Proben zu richten.
Zunächst zu den Rohdaten. Sie sind definiert als „alle ursprünglichen Aufzeichnungen und Unterlagen der Prüfeinrichtung oder deren überprüfte Kopien, die als Ergebnis der ursprünglichen Beobachtungen oder Tätigkeiten bei einer  Prüfung anfallen.“ Da die Quellen solcher ursprünglichen Aufzeichnungen sehr unterschiedlich sein können und von automatisch erzeugten Berichten von Analysegeräten bis zu handschriftlichen Aufzeichnungen reichen, kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese Daten elektronisch vorliegen. Zum Teil können sie auch als Papier aufbewahrt werden. Eine Anforderung an Records Management ist daher, dass dort elektronische neben physikalischen Objekten verwaltet werden können. Eine ausschließlich elektronische Archivierung reicht nicht aus. Dabei reichen die physikalischen Objekte von Papierdokumenten bis zu tiefgefrorenen Proben. Das Records Management System muss in der Lage sein, die Lagerorte einschließlich der Lagerbedingungen (Temperatur z.B.) und der Aufbewahrung des Archivguts in Aufbewahrungscontainern verwalten zu können. Zusätzlich kann bei den Rohdaten nicht davon ausgegangen werden, dass das Datenformat in irgendeiner Form standardisiert ist. Oft handelt es sich um Messdaten, die sich in einer Datenbank befinden. Da diese als solche kaum in die Verwaltung eines Records Management Systems genommen werden können, werden diese häufig in Reports ausgedruckt und als Papier oder auch als elektronische Kopie dieses Ausdrucks aufbewahrt. Unter Umständen ist es allerdings problematisch, dass die Daten in der Form nur einen Teil der Rohdaten wiedergeben und nicht mehr auswertbar sind. Daher werden die Daten in der Praxis meist in den Datenbanksystemen gelassen, solange diese Systeme zur Verfügung stehen. Das schließt auch eventuell notwendige Migrationen mit ein. Die Verweildauer in den Datenbanksystemen entspricht aber häufig nicht den vorgeschriebenen Aufbewahrungszeiten, so dass am Ende nur noch die oben genannten Ausdrucke als Rohdaten zur Verfügung stehen.
Ebenfalls muss die Archivierung von Proben und Prüf- und Referenzgegenständen verwaltet werden. Das geschieht meistens über ein eigenes System. Dabei wäre es durchaus sinnvoll, ein Records Management damit zu betrauen, so dass die Daten und Objekte zu einer Studie innerhalb eines Systems gefunden werden können.
Die Good Clinical Practice befasst sich mit der Durchführung von klinischen Studien in den unterschiedlichen Phasen beginnend mit First-in-man, bei der die Substanz das erste Mal bei einem Menschen angewendet wird, bis hin zu den breit angelegten Studien, in denen Patienten mit der neuen Substanz behandelt werden. Bei der Good Clinical Practice ist die Liste der Dokumente, die aufzubewahren sind, sehr lang. Neben der bereits bei der GLP beschriebenen Problematik der Datenformate ergibt sich hier eine neue Herausforderung. Die Länge der Aufbewahrung ist abhängig von dem letzten Antrag auf Markteinführung, der innerhalb der Länder, die sich auf GCP geeinigt haben – und das sind die Europäische Union, Japan und die USA - gestellt worden ist. Da diese Anträge unter Umständen nicht gleichzeitig gestellt werden, ergibt sich daraus, dass zum Zeitpunkt der Archivierung nicht bekannt ist, wie lange die Dokumente aufbewahrt werden müssen.
Diese notwendige Flexibilität muss durch das Records Management System abgedeckt werden. Der einfachste Weg wäre dabei, die Aufbewahrungszeit so lang zu wählen, dass die Aufbewahrungsfristen auf jeden Fall eingehalten werden, allerdings auch signifikant überschritten werden. Eine Aufbewahrungszeit von 99 Jahre würde z.B. wahrscheinlich immer passen. In der Praxis ist es allerdings nicht erwünscht, die notwendigen Aufbewahrungszeiten signifikant zu überschreiten. Das hängt mit den Kosten zusammen, die die Aufbewahrung der Dokumente mit sich bringen. Im Fall der Pharmaindustrie ist damit nicht nur der Aufwand für die Lagerung der Dokumente gemeint. Im Fall eines möglichen Rechtsstreits über die Folgen der Verwendung eines Medikamentes verursachen vorhandene Unterlagen in jedem Fall hohe Kosten, da die Unterlagen von beiden Parteien gesichtet werden müssen. Z.B. die damit verbundenen Anwaltskosten sind erheblich. Es besteht daher ein Interesse, den Umfang der Unterlagen auf das vorgeschriebene Maß zu reduzieren.
Das bedeutet aber auch, dass auch eventuell vorhandene Kopien von Dokumenten nicht länger aufbewahrt werden. Damit ergibt sich die Anforderung an das Records Management System, nicht nur das Originaldokument, sondern auch Kopien und Renditions verwalten zu können.
Die Good Manufacturing Practice ist das Qualitätssicherungssystem bei der Herstellung von pharmazeutischen Produkten. Dabei müssen chargenbezogene Dokumente wie
   
 ·
„Spezifikationen;
 ·
Probenahmeverfahren;
 ·
 Prüfverfahren und Prüfprotokolle (einschließlich analytischer Arbeitsblätter und/oder Laborjournale);
 ·
Analysenberichte und/oder -zertifikate;
 ·
 soweit erforderlich, Daten aus der Überwachung der Umgebungsbedingungen;
 ·
 soweit zutreffend, Protokolle über die Validierung der Prüfmethoden;
   
 ·
 Verfahrensbeschreibungen für und Protokolle über die Kalibrierung von Geräten und Wartung der Ausrüstung“
aufbewahrt werden. Die Aufbewahrungsdauer ist dabei abhängig vom Zeitpunkt der Ausstellung der Bescheinigung, dass eine bestimmte Charge gemäß den Rechtsvorschriften und den Anforderungen, die bei der Zulassung des Medikamentes festgelegt worden sind, hergestellt worden ist. Und sie ist abhängig vom Verfallsdatum der Charge. Auch hier ist dadurch die Bestimmung der Aufbewahrungszeit nicht so einfach zu standardisieren wie es z.B. bei steuerrelevanten Unterlagen möglich ist.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Records Management in der Pharmaindustrie hinsichtlich der Datenformate, der zu archivierenden Objekte und der Verwaltung der Aufbewahrungszeit besondere Anforderungen stellt. Da diese Anforderungen auch in anderen Branchen bestehen, ist es nicht notwendig, Records Management Systeme speziell für die Pharmaindustrie zu definieren. Records Management Systeme im vollen Sinne des Begriffs sollten diese Anforderungen abdecken können. (CJ)
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