von Dr. Ulrich Kampffmeyer und Fabian Hammerschmidt, PROJECT CONSULT Unternehmensberatung GmbH, Hamburg
Das Internet ist von seinen kleinen wissenschaftlichen Anfängen im ArpaNet nunmehr in Gestalt des Webs zu einem Massenphänomen geworden. Jeder kennt das Web, immer mehr Menschen nutzen es. Protokolle und Programmierumgebungen haben dem Web ein eigenständiges Gepräge gegeben. Nicht immer logisch und ergonomisch in der Nutzung, jedoch allgemein bekannt und weitgehend akzeptiert. Man hat sich mit den Restriktionen des Webs eingerichtet. Jedoch gibt es immer wieder Anläufe, Verbesserungen und sogar neue Plattformen jenseits des herkömmlichen Webs einzuführen. So ist auch Web 2.0 ein solcher Anlauf, der seine Wurzeln bereits im vergangenen Jahrtausend hat.
Aus technischer Sicht steht der Begriff Web 2.0 für eine Kombination aus Technologien, welche bereits Ende der 1990er Jahre entwickelt wurden, z.B. Web-Service APIs, Ajax und Abonnement-Dienste wie RSS, häufiger und öffentlichkeitswirksamer werden dem Begriff auch Schlagwörter wie Soziales Web, Blogs und Wikis zugerechnet. Eine anerkannte einheitliche Definition von Web 2.0 und welche Technologien dem Begriff zuzurechnen sind, sucht man allerdings vergeblich. So wird der Begriff zurzeit recht beliebig eingesetzt und teilweise als Beschreibung für alles genutzt was im Web neu und interessant scheint.
Eine wichtige Veränderung die sich hinter Web 2.0 verbirgt ist, dass nicht mehr die Programme auf dem Rechner zählen, sondern das Internet selbst die Anwendung wird. Die großen Anbieter wie Microsoft sehen daher Google als berechtigte Bedrohung. Die Bedeutung der lokalen Datenhaltung könnte, im Zuge der zunehmenden Mobilität, immer schneller an Bedeutung verlieren. So ist es dann nicht mehr wichtig wo man ist, sondern wie man auf das Internet zugreift (z.B. WLAN o. UMTS), weil Daten und Content immer und überall verfügbar sind.
Betrachtet man aber die im Zusammenhang mit dem gerne als Marketing-Instrument benutzen Web 2.0 genannten Begriffe genauer, fällt auf, dass es sich nicht um neue Techniken oder Ideen handeln muss, sondern es oft schon länger bekannte Dinge sind, die sich jetzt langsam durchsetzen.
Nimmt man die Perzeption des Begriffes Web 2.0 von O`Reilly als Maßstab, dann würde sich Web 2.0 weniger mit Technologien als mit Kommunikationsformen verbinden lassen: Blogs, Social Communities, Wikis, Content Syndication und neuen Ansätzen von E-Business. Längst gehen diese Ansätze über das bisherige Managen von Webseiten und traditionelles Content Management hinaus. Es stellt sich hier die Frage, ob Content Management Produkte überhaupt für Web 2.0 vorbereitet sind. Dies soll ein Blick auf Technologien und Schnittstellen näher beleuchten.
Ajax
Im Zusammenhang mit Web 2.0 wird auch immer wieder die Technik Ajax Asynchronous JavaScript and XML, die Elemente von JavaScript, XML, CSS und DOM vereint, um interaktive, Desktop-ähnliche Webanwendungen zu realisieren, genannt. Durch die asynchronen Datenübertragung zwischen einem Server und dem Browser muss die html-Seite nicht mit jeder http-Anfrage komplett neu geladen werde. So werden auch Sites realisierbar, die auf den Anwender weniger wie Websites, sonder eher wie lokale Anwendungen wirken (z.B. die Amazon-Suchmaschine A9, der Bilderdienst Flickr oder Google Suggest).
Web 2.0 gewinnt durch AJAX an Momentum. Die Abarbeitung von Prozessen und die Nutzung von Diensten werden durch AJAX beliebig steuerbar. Anwendungen, die bisher nur auf dem Client oder im lokalen Netzwerk über den Client nutzbar waren, werden damit auch im Internet mit Webmitteln bei ähnlich komfortabler Bedienbarkeit nutzbar.
Einer der wesentlichen Ansätze von AJAX ist es die bekannten Probleme des Kommunikationsprotokolls http zu überwinden. Die vollständige Übertragung von Seiten, z.B. beim Ausfüllen von Formularen, ist beim AJAX-Ansatz nicht mehr notwendig – nur noch Änderungen werden übermittelt. Die Asynchronität ermöglicht damit neue Konzepte, auch in Richtung SOA Service orientierter Architekturen, umzusetzen.
Auch AJAX hat noch eine Reihe immanenter Probleme, die vor einer breiten Nutzung noch gelöst werden müssen. Dies erklärt auch die bisher nur sehr zurückhaltende Anwendung dieses technologischen Ansatzes. Die Vorzüge, die AJAX in der Interaktion mit den Nutzern bietet, werden jedoch den Einsatz zukünftig beflügeln. Webbasierte Workflow- und Dokumentenmanagementanwendungen mit hohem Datentransmissionsvolumen und intensiver Interaktion werden von AJAX besonders profitieren.
Durch die Gründung der Open-Ajax-Initiative hat sich auch eine Reihe von namhaften IT-Unternehmen zusammengefunden, welche AJAX in der Open-Source-Community weiter verbreiten wollen. So sollen durch ein gemeinsames Entwicklungs- und Debugging-Framework Kompatibilitätsprobleme beseitigt werden, wodurch Software-Entwicklern ein professionelles Werkzeuge an die Hand gegeben würde. An dem Projekt beteiligen sich bisher IBM, Google, Yahoo, Borland, BEA, Novell, Zend, Laszlo Systems, Zimbra und Red Hat und die Open-Source-Projekte Dojo, Eclipse und Mozilla. Microsoft ist kein Unterstützer der Initiative, weil der Konzern an einem eigenen Rich Client namens „Windows Presentation Foundation“ arbeitet. Ähnlich verhält es sich mit Tibco Systems, das Unternehmen entwickelt momentan ein eigenes Framework zu Erstellung von AJAX-Clients mit dem Namen „General Interface“.
Natürlich bergen die aufgezeigten Vorteile der Entwicklung aber auch auf die Konsequenzen und Gefahren, die sich im Zusammenhang mit Web 2.0 durch das wachsende Wissen auf globalen Servern auftun. Die globale Abrufbarkeit persönlicher Daten wird rapide zunehmen, wodurch Konsum- und Bewegungsprofile im Internet noch detaillierter zusammengestellt werden können. Besonders fraglich wird es wenn globale Kommunikationskonzerne durch Suchmaschinen über Web-2.0-Angebote an detaillierte Nutzer-Daten und Konsum-Profile gelangen, die an anderer Stelle zur Gewinnoptimierung verwertet werden.
Andere Ansätze
Web 2.0 fordert jedoch mit seiner Funktionsweise auch die Anbieter von Content Management Systemen heraus, die Lösungen für die asynchrone Kommunikation bereitstellen müssen. Es geht hier nicht nur um andere Verfahren sondern auch um neue architektonische Ansätze, die mit herkömmlichen Schnittstellen nicht zu bedienen sind. Betrachtet man hier das Umfeld von ECM Enterprise Content Management einmal näher, so stellt man fest, dass hier sehr unterschiedliche Strategien zur Bereitstellung von Inhalten in Web-basierten Anwendungen zu verzeichnen sind. Verschiedene Portalstrategien mit eigenständigen technologischen Ausprägungen stehen hier im Wettbewerb, so z.B. IBM Websphere versus SAP Netweaver versus Microsoft Sharepoint versus ... versus ... Auch Portlet-Standards sind hier nicht immer kompatibel und im Wettlauf um die führende Rolle auf den Desktops der Anwender ist dies wohl auch gewollt. Ansätze zur Vereinheitlichung gab es schon viele:
Ein Interface zur Anbindung ist WebDAV Web-based Distributed Authoring and Versioning, ein offener Standard zur Bereitstellung von Dateien im Internet. An diesem Standard arbeiten drei Arbeitsgruppen der IETF Internet Engineering Task Force, die WebDAV Working Group, die DASL Working Group und die Delta-V Working Group, um auf der Basis von HTTP Netzwerk-Standards zu schaffen, mit denen Dokumente und Dateien im Netzwerk verändert und geschrieben werden können. Aus technischer Sicht handelt es sich bei WebDAV um eine Erweiterung des Protokolls HTTP/1.1, wobei bestimmte Einschränkungen von HTTP beseitigt wurden. So können beispielsweise durch WebDAV ganze Verzeichnisse übertragen werden, während bisher in Online-Formularen häufig nur die Möglichkeit bestand, einzelne Dateien hochzuladen.
Ein anderer Ansatz sind die JSR Standards 170 und 283 die unter der Leitung von Day Software entwickelt wurden. Der JSR Java Specification Request 170 Standard definiert eine einheitliche Schnittstelle für Programmieranwendungen API Application Programming Interface für den Zugriff auf einen Content-Speicherort. So sollte das Zusammenwirken von Applikationen und Content Repositories grundlegend vereinfacht und sichergestellt werden, damit Unternehmen ihre geschäftsrelevanten Inhalte unternehmensweit effizient ablegen und verwalten können.
JSR 283 löst nunmehr JSR 170 ab. Auch JSR 283 wurde von der Content Management Firma Day entwickelt, die das Standardisierungsgremium treibt. Eigentlich war JSR 283 als Ergänzung von JSR 170 gedacht, brachte jedoch so viele Veränderungen mit sich, dass man heute den jüngeren Standard als Ersatz für JSR 170 betrachten muss. Zu den Erweiterungen zählen neben einer umfangreicheren Verwaltung der Benutzerrechte auch neue Funktionen zur Bewirtschaftung von Workspaces und Node-Typen. Damit soll JSR 283 die Verwaltung von Metainformation vereinfachen und Internationalisierung von Content unterstützen.
Alle diese Interfaces scheinen aber wenig geeignet, die notwendige Funktionalität zur Einbindung von Content Management Systemen in echte Web 2.0 Anwendungen zu ermöglichen. Nur wenige Anbieter rüsten sich derzeit mit Funktionalität, die ihnen den Zugang in die Welt des Web 2.0 ermöglichen. Ein derzeit noch recht einsames Beispiel ist lediglich Stellent. Hier gehören Wikis und Blogs bereits zum ECM-Inventar.
Ausblick
Die Idee des Web 2.0 und die damit verbundenen neuen Ansätze zur Nutzung und Präsentation von Inhalten im Internet werden auch eine Reihe von Anpassungen in den gängigen Web Content Management und Enterprise Content Management Systemen nach sich ziehen. Web 2.0 wird so nicht nur die Internetnutzung in den nächsten Jahren stark beeinflussen, sondern auch die Schnittstellen und Arbeitsweise von Content Management Systemen. Vorteil von Web 2.0 ist, dass es auf die Wünsche der Anwender besser Rücksicht nimmt in Bezug auf die so genannte „Usability“. Man könnte auch sagen, dass sich die User mit Web 2.0 das Web wieder zurückholen. Ein an den Bedürfnissen der Anwender ausgerichtetes Web wird den Desktop auf einem lokalen oder vernetztes Arbeitsplatzrechner weiter ersetzen und die Grenzen zwischen den Medien verschwimmen lassen.
Betrachtet man in diesem Zusammenhang die „4 i“ der Nutzung des Internets, wie sie PROJECT CONSULT im Jahr 2001 formuliert wurden (i1 Image: einfache Präsenz im Internet ohne Interaktion; i2 Information: Bereitstellung von Information im Internet; i3 Interaktion: Interaktion mit den Nutzern des Internet-Angebotes; i4 Integration: Zusammenführung des Internetangebotes mit den Inhouse-Lösungen), befinden uns mit Web 2.0 erst im „i3-Stadium“. Mit Web 2.0 wird aber der Schritt zur Verlagerung von Anwendungen in das Internet, sei es öffentlich, sei es als geschlossene Firmenseite, getan.
Web 2.0 ist damit auch ein Angriff auf bestehende Paradigmen wie z.B. auf die von Microsoft bereitgestellten Betriebssysteme, Serverprogramme und Anwendungssoftwarepakete. Web 2.0 ermöglicht die Verlagerung der lokalen Arbeitsumgebungen in das Internet – ein wichtiger Ansatz; wichtiger als dass, was zur Zeit als „Web 2.0 Hype“ in Bezug auf Blogs, Communities oder Wikis geschrieben wird. Nahezu alle Analysten sind sich einig, dass Suchmaschinen der neuen Generation, Wikis, RSS, Community Software und webbasierte Office-Produkte immer mehr Einfluss auf den ECM-Markt gewinnen. Web 2.0 technologisch betrachtet hat damit die Chance unsere Welt zu verändern wie seinerzeit mit die ersten PCs, das Betriebssystem Windows und das Internet. Mit dem Web 2.0 machen wir den nächsten entscheidenden Schritt in die Zukunft der Informationsgesellschaft.