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Dokumentenmanagement – Stand der Normung
Gastbeitrag von Heinrich Byzio, EADS, München, Obmann DIN NATG F-1; Mitglied ISO TC10 – IEC TC3 JWG15, E-Mail heinrich.byzio@m.eads.net; und Fritz Reuter, Siemens AG, Erlangen, Projektleiter ISO TC10 – IEC TC3 JWG15, E-Mail fritz.reuter@erls04.siemens.de
Im Rahmen einer gemeinsamen Aktivität des TC 3 der IEC und des TC 10 der ISO wurde vor ca. 3 Jahren ein Projekt gestartet, das darauf abzielte, ein generisches, erschöpfendes und allgemein verbindliches Set von Metadaten für das Management technischer Dokumente bereitzustellen. Dieses Aufgabe wurde der zu diesem Zweck etablierten JWG 15 der o. g. Komitees übertragen. Die aus diesem Bemühen resultierende Norm wurde unter dem Doppellabel ISO/IEC 82045 veröffentlicht. Der Teil 1 dieser Norm liegt bereits vor, der Teil 2 ist in der Endabstimmung; für die Teile 4 und 5 (s. u.) gibt es Entwürfe.
ISO 82045
Die Norm wurde von Beginn an mehrteilig konzipiert, wobei der Teil 1 eine generelle Beschreibung der Konzepte, Methoden, Verfahren und Prozesse und der Teil 2 die Sammlung der definierten Metadaten im Sinne eines Data Dictionarys darstellen. Der Teil 2 umfasst zusätzlich 2 Anhänge, nämlich eine STEP konforme Express-G Modellierung als semantischen und logischen Bezugsrahmen für die Datenelemente und eine Repräsentation der Datenelemente als XML DTD. Die Teile 1 und 2 stellen somit den generischen Teil der Norm dar. Ergänzend hierzu sind spezifische Applikationsstandards geplant bzw. schon in der Erstellung, die nach Bedarf jeweils für spezifische Branchen (z. B. Teil 5 für die Bauindustrie) bzw. spezifische Anwendungsfelder (z. B. Teil 4 für Archivierung) die Anwendung eines adäquaten, angepassten Subsets von Metadaten des Teiles 2 beschreiben.
Der gegebene Ansatz spiegelt die Entwicklung der letzten Zeit wieder, der mit der zunehmenden DV Unterstützung im Anwendungsfeld auch Normen erfordert, die nicht länger die Formate und Repräsentation der Daten standardisieren wie in der Vergangenheit (z. B. Schriftfelder und Zeichnungsköpfe der ISO 7200), sondern mit einem weit generischeren Ansatz auf die Ebene der beschreibenden Daten gehen und versuchen hier ein allgemein nutzbares, elektronisch verfügbares Data Dictionary zu etablieren.
Dieses bietet dann sowohl Systemanbietern als auch Implementierern die Chance, Systeme zu modellieren, die mit dem Rückgriff auf die standardisierten Datenelemente bzw. auf das standardisierte Datenmodell oder Subsets daraus eine gemeinsame Grundlogik haben, also quasi dieselbe Sprache sprechen.
Hiervon profitieren natürlich die Systeme, sie werden generischer und zwar auch und gerade auf der semantischen Ebene, also auf der Ebene, die für die verwendeten Datenelemente ihre Bedeutung bzw. Funktion im Gesamtzusammenhang definiert.
Als Effekt werden damit Schnittstellen, und wir reden hier nicht von der Technik der Schnittstelle, also von Formaten und Funktionen, sondern von der gemeinsamen Semantik für die verwendeten Daten, wesentlich einfacher. Zusätzlich werden aber auch Implementierungen erleichtert, weil mit der Norm eine gemeinsame Sprache für Entwickler, Implementierer und Fachverantwortliche definiert wird; man kann sich auf den selben Referenzrahmen beziehen.
Dies wird sich natürlich insbesondere auch dann ganz besonders auszahlen, wenn – und das ist heute schon fast die Standardsituation – Kommunikation und Austausch mit Partnern notwendig wird.
Aus dem oben Gesagtem erschließt sich nun auch die Hauptstoßrichtung der Norm. Sie zielt nicht so sehr darauf, verbindlich den (allein seligmachenden) Prozess für Dokumenten Management festzulegen, als vielmehr, die gängigen Konzepte als Referenzrahmen darzustellen und vor allem, ein Referenzinformationsmodell und die daraus abgeleiteten Datenelemente mit einer verbindlichen Semantik und einer standardisierten Ausprägung zur Verfügung zu stellen.
Internationale Normung als „Landkarte“ zur Orientierung
Die Norm gibt also in gewissen Sinne eine Landkarte zur Orientierung in einem unwegsamen Gelände vor, ob sich der Nutzer mit dem Auto, dem Fahrrad oder zu Fuß bewegt oder ob er deutsch oder englisch spricht bleibt dabei zunächst einmal gleichgültig, er wird sein Ziel finden und die Zielfindung ist vorhersehbar und reproduzierbar, d. h. unabhängig voneinander werden verschiedene Nutzer denselben Zielpunkt mit hoher Sicherheit erreichen.
Das hohe Potential, das damit in dieser Norm steckt ist sicherlich bisher von der Fachwelt noch nicht hinreichend wahrgenommen worden, es bleibt aber zu hoffen, dass, da die Norm noch sehr neu ist, sich dieses Bewusstsein mit der Zeit herausbildet.
Eine Herausforderung bleibt allerdings noch zu lösen. Eine Norm, die den Anspruch erhebt, ein verbindliches Data Dictionary für Dokumenten Management darzustellen, erfordert neue Wege in der Form wie sie betreut und auf Stand gehalten wird. Es kann hier nicht sein, dass sie als Liste in Papierform vorliegt und alle paar Jahre Anpassungen in Form von Änderungen zur Norm veröffentlicht werden. Hierbei ist eine wesentlich höhere Dynamik erforderlich.
Es ist deshalb beabsichtigt, das Data Dictionary bei Bedarf, entsprechend den positiven Erfahrungen innerhalb der IEC mit ersten bereits vorhandenen ähnlicher Implementierungen (s.u.), in Form einer Datenbank zur Verfügung zu stellen und die entsprechenden Änderungen nicht über die gängigen Verfahren der Normenänderungen abzubilden, die durchaus Laufzeiten von 2-3 Jahren für ihre Freigabe haben, sondern ein weit dynamischeres Verfahren zu etablieren, das sicher stellt, dass notwendige Änderungen innerhalb weniger Wochen verfügbar sind.
IEC 60617 und 60417
Entsprechende erste Erfahrungen mit dem Einsatz von Datenbank-getriebenen Normen, die damit Pilotfunktionen innerhalb IEC und ISO wahrnehmen, sind bei der IEC bereits vorhanden. So sind die Normen IEC 60617 (Graphical Symbols for diagrams) und IEC 60417 (Graphical symbols for use on equipment) bereits als Datenbankapplikationen verfügbar und weitere sind im Zulauf. Die Norm ist dabei jeweils der tagesaktuelle Inhalt der Datenbank. Zusätzlich wird jedoch seitens der IEC mindestens 2 mal jährlich ein Schnappschuss der Datenbank im pdf Format bereitgestellt, damit man sich darauf z.B. vertraglich beziehen kann.
Das hier aber in gewisser Weise immer noch Neuland im Normungssektor beschritten werden muss und dass dies dann natürlicherweise auch eine politische Dimension im Sinne eines Präzedenzfalles für ein neues Normungsparadigma hat, ist eine der Konsequenzen dieses Vorgehens. Das Ergebnis wird aber auch einen Hinweis darauf geben können, ob das Normenwesen bereit und in der Lage ist, sich den neuen Anforderungen einer stark dynamisierten Umwelt zu stellen und mit adäquaten Verfahren und Methoden zu begegnen.
Normen für die technische Dokumentation
Es soll in diesem Zusammenhang noch auf einige weitere Normungsansätze hingewiesen werden, die im Kern darauf abzielen, u. a. die Rechtssicherheit für technische Dokumente und Informationen zu erhöhen.
Hierbei sind als wesentliche Problemfelder zu nennen:
   
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die Tatsache, dass immer häufiger die im technischen Umfeld erforderlichen Dokumente/Informationen nur noch als Daten vorliegen, ohne dass es weiterhin eine adäquate analoge Repräsentationsform von ihnen gibt (z. B: 3D CAD Daten);
   
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die elektronische Freigabe dieser Informationen,
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die revisionssichere Archivierung dieser Informationen.
Für die elektronische Freigabe technischer Dokumente/Informationen hat der NATG F-1 des DIN einen Normenentwurf zur Diskussion gestellt, der Qualitätskriterien für die elektronische Freigabe solcher Objekte festlegt. Dieser Ansatz reflektiert die im Anwendungsfeld immer noch uneinheitliche und intransparente Lage nach Erlass des Signaturgesetzes und des ergänzenden Gesetzes zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts. Ziel dabei ist, eine Norm bereit zu stellen, die allgemeine Qualitätskriterien für elektronische Freigaben definiert und somit diese auditierbar und zertifizierbar macht. Technischer Dokumente/Informationen werden als Augenscheinsobjekte, die der richterlichen Beweiswürdigung unterliegen in ihrer Beweisqualität dadurch wesentlich angehoben, wenn sie bzw. die sie konstituierenden Prozesse normgerecht sind und somit den Stand der Technik repräsentieren. Interessant ist dies vor allem auch in den Fällen, in denen systemseitig bereits vorhandene Freigabemechanismen (z. B. in Workflow bzw. EDM/PDM Systemen) genutzt werden sollen und aus Kosten- und/oder Effizienzgründen nicht flächendeckend mit qualifizierten bzw. akkreditierten Signaturen gem. Signaturgesetz gearbeitet werden soll oder kann. Somit ergänzt und appliziert diese Norm die o. g. Gesetze und versucht für das Anwendungsfeld klarere Verhältnisse zu schaffen und bestehende Risken zu minimieren.
OAIS und LOTAR
Zur Archivierung wird ein ähnlich gearteter Ansatz gefahren, nämlich Festlegungen und Verfahren an den Stellen zu normen, wo keine eindeutige rechtliche Definition vorliegt oder Unsicherheiten über ihre Anwendbarkeit bestehen. Hier ist der o.g. Ansatz des Teils 4 der ISO/IEC 82045 zu nennen, der in Detaillierung und Ergänzung zum Teil 1 der Norm den Archivierungsprozess und die dabei benötigten Datenelemente im Blickwinkel hat und somit andere vorhandene Ansätze wie z. B. OAIS (Open Archival Information System) oder das u. g. Projekt LOTAR ergänzt.
Das Projekt LOTAR (Long Time Archiving and Retrieval of Product Data within Aerospace Industry) schließlich ist innerhalb der AECMA (Dachverband der europäischen Luftfahrtindustrie) aufgesetzt und zielt auf die STEP-basierte Langzeitarchivierung von CAD, CAx und PDM (Product Data Management) Daten ab. Der Schwerpunkt liegt hier somit mehr auf der technischen Realisierung sowie standardisierten Formaten. Als AECMA Norm wird dieser Ansatz in der nächsten Stufe dann zu einer EN Norm werden.
Seitens der Europäischen Union ist die Thematik des Dokumentenmanagement und der langfristigen Archivierung insbesondere im Kontext der Produkthaftung ebenfalls erkannt worden. Hier ergibt sich einige der wenigen Möglichkeiten auf bereits vorliegende Konzepte aus internationalen Normungsgremien zurückgreifen zu können.
Anmerkung der Redaktion: die beiden Autoren freuen sich über Kommentare und Anregungen zu den laufenden Standardisierungsaktivitäten.
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