20080320 \  Gastbeiträge \  Schweizer Messer im Wissensmanagement
Schweizer Messer im Wissensmanagement
Der Einsatz von Wikis in Unternehmen –
ein Blick in die Praxis
Zweiter Teil des Artikels von Uwe Hentschel, Journalist und Herausgeber des DOKmagazin, der Fachzeitschrift für Technologien, Strategien und Services rund um das digitale Dokument in Unternehmen und Organisationen. Der erste Teil ist in der Newsletterausgabe  20080214 erschienen. E-Mail: uwe.hentschel@goodsourcepublishing.de
Managed Wikis
Doch bevor diese Fragen hinreichend beantwortet werden, wollen Unternehmen im „abgesicherten Modus“ ausprobieren, was Wikis leisten. Beispiel Siemens Enterprise Communications. Dessen Produktmanagement beauftragte den Münchener Dienstleister TeamOne, sich Gedanken über eine kostengünstige Internetplattform zu machen. Heraus kam ein MediaWiki auf Linux, Apache-Webserver, MySQL und PHP. „Alle Komponenten“, sagt Horst Reinelt, der bei TeamOne das Projekt mit betreut, „sollten ohne Lizenzkosten einsetzbar sein.“ Das Wiki, in dem sich alles um die Produkte von Siemens Enterprise Communications dreht, hat stark informellen Charakter. Informationen werden schneller kommuniziert und bleiben einsehbar, was bei den bisherigen Plattformen nicht ohne weiteres möglich war. Unter den knapp 600 registrierten Usern sind etwa 200 Mitarbeiter von Siemens, das Wiki verzeichnet im Schnitt 1.000 Besucher am Tag. Beides spricht dafür, dass das Wiki als Schnittstelle zwischen Unternehmen, Kunden, Lieferanten und Anwendern funktioniert. Das Wiki befasst sich vor allem mit technischen Hintergrundinformationen, die den registrierten Nutzern zu Gute kommen und verkürzt die Informationswege, nicht zuletzt durch deren schnelle und unbürokratische Verbreitung. Dass Siemens diesen für das Unternehmen eher unüblichen Weg geht, ein extern gehostetes Wiki zu nutzen, ist nach Einschätzung von Reinelt unter anderem darin begründet, dass auch externe Interessenten eingebunden werden sollen. In diesem Zusammenhang wurde zugleich eine Entwicklungsplattform aufgesetzt, mit der Drittanbieter eigene VoIP-Applikationen ausführen und in dem Wiki dokumentieren können. Praxis und Dokumentation sind damit ideal verknüpft, wovon die Technische Dokumentation, der Support und die Anwender profitieren.
Flexibler Einstieg in den Umgang mit Inhalten
Niedrige Einstiegshürde für den Umgang mit Inhalten, direkte Kommunikationswege im Unternehmen und einfache Einbindung externer Anwender – wie weit reichen die Funktionalitäten eines Wikis wirklich? Sind Wikis nur bessere Content-Aggregatoren, die nicht an Redaktions- und Content-Management-Systeme heranreichen? Oder steht die Funktionsvielfalt der Wikis erst am Anfang? Tomas Benz vom Interdisziplinären Institut für intelligente Geschäftsprozesse in Heilbronn sieht den Vorteil auf der Seite der Wikis: „CMS und Wikis gehen aufeinander zu. Und nicht selten bleiben Wikis im Vorteil, denn sobald sich die Informationsschwerpunkte im Unternehmen ändern, muss ein CMS anders als ein Wiki komplett reorganisiert werden. Man kann nicht immer von vornherein beim Setup eines CMS wissen, was im nächsten oder übernächsten Jahr gebraucht wird. Inhalte fügen sich nun einmal nicht den Regeln eines Systems, das Inhalte stark strukturiert.“ Dass zwischen einem wie gut auch immer evaluierten CMS und den tatsächlichen, erst später im Alltag konkretisierten Anforderungen nicht selten eine Funktionslücke klafft, kann Sissi Closs von der Comet-Firmengruppe bestätigen. Der Full-Service-Dienstleister hat schon früh Wikis in Unternehmen aufgesetzt: „Als Wikis noch keine Alternative waren, hatte man ein System in einer Verpackung ausgewählt, ohne zu wissen, was später gebraucht wird. Dann entsprach das CMS überhaupt nicht dem vorgesehenen Zweck oder das Unternehmen selbst hat sich in eine andere Richtung entwickelt. Heute können die Unternehmen mit dem Einsatz von Wikis bereits im Vorfeld ausreichend Erfahrungen sammeln, um über ihre Inhalte und die daraus resultierenden Anforderungen – und deren technische Umsetzung – Klarheit zu gewinnen.“
Wiki als Schnittstelle von unstrukturierten und strukturierten Inhalten
Nach 40-50 an der Hochschule und annähernd 20 in Unternehmen eingerichteten Wikis schätzt Tomas Benz deren Potenzial positiv ein: „Das Funktionsspektrum reicht vom QM-Handbuch im Projekt-Wiki über Ticket-Systeme mit interner Eskalation und einer in das JSPWiki integrierten Programmierumgebung, um datenbankbasierte Anwendungen und Wikis als Web-Applikationen an ERP-Systeme anzukoppeln. Der Einsatzbereich ist wie bei niederkomplexen Wikis immer noch das Intranet und Extranet, nur die Umsetzung der Ziele geht schneller und preiswerter als mit anderen Systemen.“ Die Firma Aptus-IT beispielsweise stellt das Interface ihrer Manufacturing Execution Systeme (MES) auf eine Wiki-basierte Technik um. Damit wird die Software-Dokumentation in der gleichen Art und Weise erstellt wie die Oberfläche für die Rückmelde-Terminals, Handhelds und der Produktions-Management-Software namens Factory Explorer. Die unstrukturierten Daten der Dokumentation verschmelzen mit den strukturierten Daten der relationalen Datenbanken unter einer webfähigen Oberfläche. Ähnliches ist beim Maschinenbauer MBO zu beobachten, der Falzmaschinen für die Druckindustrie herstellt. Basierend auf den Daten des ERP-Systems, haben dort haben über 400 Unternehmen über das Web Zugriff auf ihre eigene, nur für sie sichtbare Bewertung als Lieferant. In diesem sogenannten „Application Wiki“ erinnert bis auf die URL nichts mehr an das gewohnte look-alike. Wikis haben also durchaus das Potenzial für geschäftskritische Anwendungen, auch in der Industrie. Stefan Landwehr von Dienstleister Abacus alpha GmbH: „Wir haben beispielsweise ein Wiki um Assistenten für die Vergabe von Referenzkennzeichen (EN 61346) und Document Classification Code (EN 61355) erweitert. So wird eine strukturierte Namensgebung für Seiten erzielt und die spätere Auswertung der hochgeladenen Projekt-Dokumente möglich – ohne Ballast für die Anwender."
Die Technologie wäre soweit, die Unternehmenskultur noch nicht
Bleibt die abschließende Frage, was den Einsatz von Wikis bremst. Die einhellige Meinung der Gesprächspartner: Die Technologie ist viel weiter, als viele Unternehmen glauben, es hängt im Wesentlichen an der Unternehmenskultur, ob Wikis genutzt werden oder nicht. Denn wo Wissen zu behalten mehr Vorteile verspricht als Wissen zu teilen, werden Wikis definitiv eine Bedrohung der Wissenden sein. Wikis in Unternehmen – das ist zuallererst eine Frage der zukünftigen Gewinner und Verlierer. Wer von dem, was Wikis bewirken, profitiert und wer nicht. So gesehen, stellen Wikis in starren Strukturen durchaus ein Risiko dar. Und eine Chance.
Anm. d. Redaktion: Dieser Artikel ist zuerst in der Ausgabe 1 der Fachzeitschrift „technische kommunikation“ erschienen, der Fachzeitschrift für Technische Dokumentation und Informationsmanagement.
 
© PROJECT CONSULT Unternehmensberatung GmbH 1999 - 2016 persistente URL: http://newsletter.pc.qumram-demo.ch/Content.aspx?DOC_UNID=eb596e0f1fec4a860025744000314594