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Fehlgeschlagene Projekte – Wer trägt die Schuld?
Artikel von Martin Fichter, Projektleiter bei der PROJECT CONSULT Unternehmensberatung
Einführung
Immer häufiger verlangen Unternehmen nach einer möglichst preiswerten und schnellen Auswahl von Workflow- und EAI-Lösungen. Trotzdem soll die Auswahl zuverlässig unter Gewährleistung der Investitionssicherheit erfolgen. Handelt es sich hierbei angesichts der Vielfalt an Anbietern und Lösungen um einen Widerspruch oder pragmatische Fügung in die Erkenntnis, dass auch die kosten- und zeitintensive Vorbereitung unter Einsatz externer Unterstützung keine zuverlässige Sicherheit oder auch nur höhere Ergebnisqualität gewährleistet?
Fehlgeschlagene Projekte – Wer trägt die Schuld?
Die Fehlerquellen in Projekten decken die gesamte Palette ab, angefangen bei der IT-Strategie und dem Projektmanagement, fortgesetzt über die konkrete Projektplanung, die Vorgehensweise, die Auswahl externer Unterstützung bis zur Bestimmung der Auswahlkriterien und der oftmals stiefmütterlich behandelten Punkte wie Vertragsvereinbarungen und Qualitätssicherung. Fehlerursachen lassen sich ohne Anspruch auf Vollständigkeit wie folgt zuordnen:
Anwenderfehler
Fehler der Anwender sind für diese im Vorfeld häufig nicht erkennbar. Zu sehr sind sie in den eigenen oft über Jahre gewachsenen Denkmustern gefangen, so dass Defizite nicht bemerkt werden.
   
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IT-Strategie
viele Unternehmen gestalten bis heute ihre IT-Strategie nicht aktiv. Statt dessen reagieren sie kurzfristig und fallbezogen auf neue Anforderungen der Fachbereiche
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Projektmanagement
Eine unternehmensweite Abstimmung und Koordinierung aller Projekte stellt mehr die Ausnahme als die Regel dar. Die relevanten Schnittstellen und Erfordernisse der Einzelprojekte werden nicht aktiv untersucht, sondern erst bei auftretenden Schwierigkeiten in den Einzelprojekten
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Auswahl von externen Beratern und Lösungsanbietern
Die Auswahl externer Verstärkung folgt in vielen Unternehmen allen möglichen Kriterien und Unterstellungen, selten aber auf Grund überprüfter Kompetenzen
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Unterschätzung des Projekts 
Die Herangehensweise an Projekte erinnert in manchen Unternehmen zwar an preiswert und schnell, aber statt zuverlässig ist das geeignete Attribut dann doch eher oberflächlich
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Projektbedeutung
Vor allem in großen Konzernen hat sich eine Art „Jugend forscht“-Mentalität etabliert. So werden eine Fülle an Projekten oder Maßnahmen durchgeführt, die einen ernsthaften Produktiveinsatz nicht als zwingendes Ergebnis sondern fast schon als Betriebsunfall zur Folge haben
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Qualitätsanforderungen
In vielen Projekten ist immer wieder zu beobachten, wie der Qualitätsanspruch einen kompletten Lebenszyklus durchläuft. Vergleicht man die Veränderung des Anspruchs mit Automarken, so wird vor Projekt-beginn die Forderung nach einem Bentley (mit Chauffeur) gestellt, nach den ersten Orientierungen und Preisanfragen reduziert sich der Anspruch schnell auf das Niveau eines Mercedes und im weiteren Verlauf auf einen BMW. Dieser „Qualitäts“-Anspruch neigt jedoch dazu, jeglichen Kontakt zur realen Welt zu verlieren, in der sich die praktischen Handlungen nicht selten auf einen Fiat Panda einschießen. Schließlich kommt es ja darauf an, dass die „Kiste“ fährt. Fragen nach der Geschwindigkeit, dem Fahrkomfort, der Ausstattung oder nach der flexiblen Verwendbarkeit in unterschiedlichem Gelände treten in den Hintergrund.
Fehler externer Berater
Alle haben schon davon gehört, offiziell betroffen war allerdings noch niemand. Gescheiterte Projekte, weil der Termin nicht eingehalten wurde oder Ergebnisse, die keiner braucht und die trotzdem ist das Budget aufgebraucht haben. Die Ursachen hierfür wiederholen sich:
   
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Selbstüberschätzung
es sollen bereits Fälle vorgekommen sein, in denen Berater Aufträge angenommen haben, obwohl sie von der Thematik bis auf die Schreibweise wenig beherrschten
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Qualifikation und Verfügbarkeit 
Gerade in den Bereichen Workflow und EAI treiben die Beratungsleistungen immer wieder erstaunliche Blüten. Da werden Prozessanalysen durchgeführt, obwohl keine Kenntnis von der Funktionsweise von Workflowsystemen vorhanden ist oder Auswahlprozesse geleitet ohne Verständnis von den grundlegenden Unterschieden der einzelnen Produkte. Etwas besser sind da schon die Anwender dran, die ein komplettes Team von Beratern beauftragen. Je größer das Team, um so besser auch die Chancen, dass neben Berufsanfängern auch Personen mit ausreichenden Kenntnissen vorhanden sind.
Fehler der Anbieter
Die Fehler der Anbieter decken sich in vielen Fällen mit denen externer Berater. Darüber hinaus zu nennen ist allerdings noch der folgende Punkt
   
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Verkaufsstrategie
Für Anbieter gilt generell ein Grundsatz: „Unsere Lösung kann alles“. Wenn etwas nicht in Ordnung ist, sind es allenfalls die unmöglichen Anforderungen des Anwenders. Wurde ein Projekt erst einmal an Land gezogen, ist die Qualität der Implementierung nur noch Nebensache. Dass gegebenenfalls sogar ein kompletter Markt für längere Zeit nachhaltig geschädigt wird, ist für das kurzfristig ausgelegte Geschäftsergebnis unerheblich.
Beispiele für Vorgehensweisen in Auswahlverfahren
Die Vorbereitung, Durchführung, Entscheidungsfindung und Nachbereitung von Auswahlverfahren sowie die Abgrenzung zu anderen Teilprojekten oder Meilensteinen erfolgt in Unternehmen sehr unterschiedlich. Viele dieser Vorgehensweisen machen aber auch deutlich, dass ein Scheitern von Einführungsprojekten in diesem Umfeld nicht nur den Anbietern und den Produkten anzulasten ist.
Vorbereitung des Auswahlverfahrens
Wesentliche Defizite sind in der Vorbereitung von Auswahlverfahren festzustellen. Nur sehr wenige Anbieter setzen sich in der gebotenen Intensität mit den Themen Workflow und EAI auseinander. Einer ganzen Reihe dieser Unternehmen ist zudem nicht bewusst, wo die Trennungslinie zwischen diesen Thematiken verläuft.
Zuerst sind die tatsächlichen Problemstellungen, Notwendigkeiten und Anforderungen zu klären. Diese Klärung erfolgt sowohl auf organisatorischer als auch auf technischer Ebene. Im wesentlichen sollte sich eine erste Untersuchung auf organisatorische Schwachstellen konzentrieren, um in einer späteren Phase abschätzen zu können, in wie weit der Einsatz z. B. eines Workflow-Management-Systems (WMS) sinnvoll ist. Umfassende und stark detaillierte Prozessanalysen (Business Process (Re-) Engineering) brachten oftmals kaum verwertbare Ergebnisse. Hinsichtlich der Auswahl und des Einsatzes eines WMS sind sie auf Grund fehlender Kenntnisse von der Funktionsweise solcher Systeme nicht zielgerichtet genug.
Die technische Analyse ist vor allem EAI-Projekten von Bedeutung. Vor allem in Unternehmen mit vielen Eigenentwicklungen sind die jeweiligen Problemstellungen und der gezielte Bedarf von einzelnen Komponenten sehr genau zu untersuchen.
Zu einer Einschätzung der benötigten Komponenten zählt allerdings auch, dass ihre Funktionsweisen bekannt sind. Um sich ein Urteil hierüber erlauben zu können, ist die interne Klärung von Begrifflichkeiten notwendig. Nur auf dieser Basis können Aussagen von Anbietern zu ihren Produkten einsortiert und beurteilt werden. Weiterhin sollten Anwender im Vorfeld einige Anbieter zu Workshops einladen, um über deren Vorstellung der unterschiedlichen Architekturen und Lösungsphilosophien das eigene Verständnis abzurunden und die Angaben gegen das eigene Systemarchitektur-Konzept zu prüfen.
Erstellung der für ein Auswahlverfahren relevanten Dokumentationen
Einige Unternehmen glauben noch immer, dass sie mit einem oberflächlichen Kriterienkatalog zu einer vernünftigen Systemeinführung kommen. Anwender können nicht davon auszugehen, dass sie mit der Wahl des „Marktführers“ schon richtig liegen werden. Zum einen gibt es bisher keine verlässlichen Marktuntersuchungen, um einen Marktführer eindeutig bestimmen zu können, zum anderen hat jeder Anbieter seine Leichen im Keller liegen.
Jedes Unternehmen sollte Wert darauf legen, eine möglichst detaillierte Dokumentation der Rahmenbedingungen, organisatorischen und technischen Anforderungen sowie einen auf die Anforderungen abgestimmten und aussagekräftigen Kriterienkatalog zu erstellen. Je besser diese Dokumente vorbereitet und erstellt werden, desto besser eigenen sie sich auch als Vertragsbestandteile.
Direkte Auswahl eines Anbieters ohne systematisches Auswahlverfahren
Das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit eines bestimmten Anbieters gipfelt in einigen Fällen in dem Verzicht auf ein Auswahlverfahren. Da gibt man sich lieber von vornherein in die Arme eines liebgewonnenen Anbieters. Der weiß, wie das geht und dazu macht er (vielleicht) auch noch ein attraktives Angebot.
Als Kostensparer erweist sich dieses Modell nur dann, wenn die Lösung im weiteren Verlauf den Status einer Spielwiese oder eines Single-Arbeitsplatzes nicht übersteigen soll.
Auswahlgremien
Der Kreis der Personen, der über die Endauswahl einer Lösung befindet, ist vor allem in Großunternehmen und Verbandunternehmen in einigen Fällen kritisch zu bewerten. Jedes solide durchgeführte Auswahlverfahren sollte Wert darauf legen, dass die Beteiligten über alle Erkenntnisse informiert sind und sich ein fundiertes Bild von der Lösung machen können. Weiterhin sollte der Kreis so zusammengesetzt sein, dass alle Personen sowohl die organisatorischen als auch die technischen und kaufmännischen Faktoren beurteilen können.
Einbindung externer Berater
Die Auswahl und Beauftragung externer Berater bietet wenigstens so viel Freiraum für Fehlentscheidungen.
In einigen Projekten scheint es dabei weniger auf schnelle verwertbare Ergebnisse anzukommen. Einige Unternehmen scheinen sich sogar als Akademie für ihre Berater zu betrachten, in dem sie ihnen Zeit, Lektüre, Workshops oder die Teilnahme an Kongressen quasi als Beitrag zur Erwachsenenbildung finanzieren.
Erwarten Anwender entgegen dieser Beispiele einen echten Nutzen durch die Beauftragung eines Externen, sollten sie dessen Qualifikation genau prüfen. Dabei sollte das Augenmerk vor allem auf die persönliche Kenntnisse und Erfahrungen des angebotenen Mitarbeiters gelegt werden.
Erweist sich die separate Kostenbetrachtung als Falle?
Langfristig erfolgreiche Auswahlverfahren sind ohne Aufwände, egal ob sie vorrangig intern oder für Externe entstehen, nicht möglich. Zu dem Auswahlverfahren zählen sowohl die vorbereitenden Maßnahmen wie notwendige Untersuchungen und konzeptionelle Arbeiten als auch nachbereitende Maßnahmen wie die Vertragsverhandlungen und die Qualitätssicherung. Für jede Phase des Auswahlprozesses sind die Maßnahmen und die mit ihnen verbundenen Aufwände zu prüfen. Wird auf die vorbereitenden Maßnahmen verzichtet und nachbereitende Maßnahmen vorerst nicht beachtet, also ein Auswahlverfahren im engsten Sinne durchgeführt, ist die Wahrscheinlichkeit einer Fehlentscheidung entsprechend hoch.
Dem Argument, dass sich die Unterschiede der Produkte auf ein zu vernachlässigendes Maß reduziert haben, ist in einigen Fällen zuzustimmen. Allerdings werden solche Aussagen oft genug getroffen, ohne zu differenzieren, um welche Komponenten es sich handelt. So gibt es hinsichtlich des Lösungsangebotes sowohl unter den klassischen Workflowanbietern als auch unter den EAI-Anbietern erhebliche Differenzen hinsichtlich der Erfüllung von Leistungsanforderungen bzgl. Performance und Transaktionsvolumen sowie der Homo- bzw. Heterogenität der Lösungen.
In der überwiegenden Zahl der Fälle hat sich die kurzsichtige Betrachtung des Auswahlverfahrens im nachhinein nicht ausgezahlt. Die Kostentreiber, die die Einsparungen im Auswahlverfahren überkompensieren, sind u.a.:
   
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es wird eine zu große Lösung ausgewählt
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es wird eine zu kleine Lösung ausgewählt, so dass der gewünschte Einsatzumfang nicht erreicht wird oder zusätzliche Hardwarekosten entstehen
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es werden Komponenten ausgewählt, die durch „geringfügige“ Anpassungen der eigenen Applikationen nicht notwendig gewesen wären
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es wird eine Lösung ausgewählt, die auf Grund ihrer Architektur wesentliche Anforderungen nicht abdeckt es werden Projektteams mit unzureichend ausgebildeten Mitarbeitern zusammengestellt
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es wird eine Lösung ausgewählt, deren langfristiges Überleben nicht gewährleistet ist
Welche Maßnahmen sparen wirklich Geld?
Grundsätzlich gilt, je besser ein Auswahlverfahren vorbereitet wird, um so höher sind die Chancen auf eine leistungsfähige Lösung und eine erfolgreiche Projektdurchführung. Zu einer guten Vorbereitung zählt die adäquate Untersuchung der Problemfelder, der technischen und organisatorischen Rahmenbedingungen und der daraus resultierenden Anforderungen. Weiterhin sollte sich jeder Anwender so weit mit der Thematik beschäftigen, bis er sie zum einen überblickt und zum anderen die unterschiedlichen Lösungsansätze versteht.
Die Ausschreibungsunterlagen sollten in einer Form erstellt werden, die vernünftige Auswertungsmöglichkeiten bietet. Herkömmliche Kriterienkataloge helfen hier nicht mehr weiter. Jeder Anbieter kann heute bei fast jeder funktionellen Frage sein „Ja-Kreuz“ machen. Um zu verwertbaren Antworten zu kommen, muss sich das ausschreibende Unternehmen schon etwas mehr einfallen lassen. Gleichzeitig sollte daran gedacht werden, dass die Unterlagen zum späteren Vertragsbestandteil gemacht werden.
Auch Aspekte der Investitionssicherheit, Zukunftssicherheit des Anbieters bzw. der Lösung und des Projekterfolgs sind abzusichern. Vor allem die Absicherung des Projekterfolges beruht nicht allein auf der technischen Leistungsfähigkeit sondern zunehmend auf den verfügbaren personellen Ressourcen.
Wie viele Projekte bereits in der Vergangenheit immer wieder gezeigt haben, hat sich die Kostenersparnis im Auswahlverfahren durch überproportionale Kostensteigerungen bereits während der Implementierungsphase nicht ausgezahlt. Die Gründe für zum Teil explodierende Folgekosten reichen von dem notwendigen Aufwand zur Erstellung individueller Anpassungen über zusätzlichen Hardwarebedarf bis zu proprietären Lösungskomponenten, die spätere Erweiterungen nicht unterstützen.
Weitere Kapitel
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