20030612 \  In der Diskussion \  Lost in Cyber Space
Lost in Cyber Space
Irgendwie haben wir uns dran gewöhnt – rund 20% aller Einträge in einer Hitliste einer Suchmaschine führen ins Leere, produzieren den berühmten „404“-Fehler, leiten auf eine andere Seite als erwartet um, oder haben einfach einen ganz anderen Inhalt als man analog zur Suchanfrage erwartet hat. Das Internet entwickelt sich ständig weiter und kaum jemand erwartet heute noch, dass man wirklich alles Richtige und Wichtige findet. Die Flexibilität des Internet hat wesentlich zum Erfolg des World Wide Web beigetragen. Jedoch unter Aspekten der Dokumentation, der Wahrung von Copyrights und Urheberrechten sowie der Sicherheit und Nachvollziehbarkeit von Geschäften ist dies ein nicht tragbarer Zustand. Das Internet befindet sich immer noch in der Phase der Kindheit. Nehmen wir einfach einmal ein paar einfache Beispiele:
Wissenschaftliches Zitieren
Beim wissenschaftlichen Zitieren war die Referenzierung von Beiträgen in der Vergangenheit eindeutig geklärt: Titel des Buches oder der Zeitschrift, Titel des Beitrages oder Kapitels, Autor, Erscheinungsort, Jahr, Ausgabe, Seite etc. Wie nun im Internet einen Beitrag referenzieren? URLs ändern sich, durch Content Management und Personalisierung verändern sich Layout und Gliederung, was heute noch Seite 3 unter einer durchnummerierten Überschrift war kann morgen schon Seite 17 unter einer unnummerierten Zwischenüberschrift sein. Wichtige Angaben zum Erscheinungsort, Verlag, Jahr der Veröffentlichung fehlen meistens. Hilflos geben Diplomanden heute in ihren Arbeiten die URL mit dem Hinweis, wann der Beitrag abgerufen wurde, an. Aber dies erfüllt nicht die Anforderungen einer konsistenten und persistenten wissenschaftlichen Zitierung. Zumindest bei kostenpflichtigen Informationen aus kommerziellen Datenbankangeboten wäre die eindeutige Zitierfähigkeit ein absolutes Muss – ansonsten ist das Angebot nicht sein Geld wert.
Original oder Fälschung ?
Durch Content Syndication finden sich heute nahezu identische Inhalte in unterschiedlichster Form, zitiert, verlinkt oder einfach „geklaut“ auf zahlreichen Websites. Es ist kaum noch feststellbar, was war wann das Original. Abgekupferte Fälschungen haben sogar häufig einen größeren Verbreitungsgrad als die Originale. Auch in Suchmaschinen erscheinen sie häufiger auf den oberen Rängen weil sie vom Speicherdatum jünger sind als die Ursprungsversion. Trotz europäischer Richtlinie und nationaler Gesetze gelten Urheberecht und Copyrights im Internet kaum noch. Auch Versionierung und Historisierung vorangegangener Stände sind offenbar Fremdworte im World Wide Web. Entwicklungen wie Digitale Wasserzeichen oder der DOI, die „ISBN“ für Publikationen im Internet, stehen erst am Anfang und sind in ihren heutigen technischen Ausprägungen in keiner Weise den kommenden Herausforderungen gewachsen. DRM Digital Rights Management und MMRCS Multimedia-Right-Clearing-Systems erfüllen noch nicht die komplexen Anforderungen, die sich durch Rechteübergang, Nutzung nur von Teilen von Informationen, Adaption, unterschiedliche Gültigkeitsbereiche von CopyRights und Urheberrechten, gemeinschaftliche Rechte unterschiedlicher Qualität, etc., etc. ergeben.
Archivierung von Web-Content
Alle reden von E-Business, Akronyme wie G2C, B2B, B2C sind in aller Munde. Über Webseiten wie EBAY wird der Geschäftsverkehr voll elektronisch abgewickelt und in den USA tummeln sich schon 10tausende, die damit ihren Unterhalt verdienen. Wer archiviert die geschäftlichen Transaktionen, wenn es keine Angebote und Rechnungen mehr in Papier gibt? Die elektronische Archivierung von Web-Transaktionen steckt noch in den Kinderschuhen, dürfte aber zumindest die Steuerprüfer sehr interessieren. Ähnliches gilt auch für Unternehmen die bindende, zeitbefristete Angebote in das Internet stellen, ein Kredit zu Sonderkonditionen, eine Hausverkaufsangebot mit Nachlass bei Sofortzahlung, ein unfallfreies Auto für schnell entschlossene. Wenn diese elektronischen Angebote nur eine Kopie eines auch herkömmlich dokumentierten Angebotes sind, entstehen wenig Probleme. Aber immer mehr und immer schneller werden solche Angebote einfach auf die Webseiten gestellt oder sogar dynamisch, personalisiert nur zur Laufzeit generiert. Was passiert, wenn sich ein Käufer auf die günstigeren Konditionen im Internet beruft, aber das Unternehmen nicht mehr nachvollziehen kann, was wann auf der Webseite stand ? Hier gibt es bei der Dokumentation von Internet-basierten Geschäften große Lücken und auch einige Rechtsrisiken. Aber auch der öffentliche Bereich ist hier nicht von Risiken verschont: welchen Charakter hat ein Fragen&Antworten-Katalog oder ein Entwurf, häufig noch ohne Verantwortlichen, Datum und Version publiziert, den ein Ministerium ins Internet stellt? Kann und darf oder muss sich ein Bürger auf eine solche Information beziehen, welchen Rechtscharakter hat sie ?
Mehr Probleme als Lösungen ?
Derzeit produziert das Internet im kaufmännischen und nutzungsrechtlichen Bereich mehr Probleme als Lösungen. Nur durch internationale Standardisierung, einheitliche Rechtsvorschriften und geeignete technische Lösungen zum Schutz von Information, zum Übergang von Rechten, zur Dokumentation historischer Stände, zur eindeutigen Referenzierung persistenter Informationsstände, zur rechtsgültigen Aufzeichnung von Geschäftsprozessen, zur Transaktionsarchivierung und zur Bewahrung des elektronischen Wissens können dem WWW aus dem Kindheitsstadium den Weg zum Erwachsenwerden ebnen. Es bleibt viel zu tun. (Kff)
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