20030612 \  In der Diskussion \  Effizienter Einsatz von Dokumenten-Technologien = noch mehr Arbeitslose?
Effizienter Einsatz von Dokumenten-Technologien = noch mehr Arbeitslose?
Die Krise der Anbieter für Document Related Technologies (DRT), die in Deutschland sowohl die börsennotierten, mittelständischen und kleineren Anbieter betroffen hat, veränderte auch massiv den Personalmarkt. Waren früher DRT-Spezialisten rare Ware, so wurden in den letzten Jahren bedingt durch Firmenaufgaben, „Mergers&Acquisitions“, Insolvenzen und Straffung der Organisation zahlreiche Mitarbeiter freigesetzt. Wie auch in vielen anderen Branchen suchten sich die guten Kräfte rechtzeitig neue, sichere Jobs. Auf der Managementebene war dies jedoch problematischer: wer wollte schon als ehemaliger Vorstand oder Geschäftsführer einen untergeordneten Posten übernehmen, welcher ehemals als Vertriebsleiter oder Marketingchef beschäftigte Mitarbeiter auf die Position eines „Klinkenputzer“ im Vertrieb zurückfallen? Dies führte zu einer Schwemme an neuen Beratungsgesellschaften und Freiberuflern. Da auch die Anzahl der Projekte, bedingt durch die nunmehr auch offiziell bestätigte Rezession, zurückging, wurden die Kämpfe um Kunden härter. Die Folge: Preis- und Qualitätsverfall. Da die potentiellen Kunden selbst sparen müssen, wurden Qualitätsmängel häufig akzeptiert und der billigste Beratungsanbieter genommen. Da auch Produktanbieter und Systemhäuser am „Beratungskuchen“ partizipieren, die komplette Wertschöpfungskette abgreifen wollen, möglichst ohne unbequemen unabhängigen Berater, verschärft sich die Situation zunehmend. Viele der ehemals in der DRT-Branche Tätigen wechselten daher sogar die Branche oder sind noch immer arbeitslos. Damit sind wir beim eigentlichen Thema: welchen Beitrag leistet die Dokumenten-Technologien-Branche - unabhängig von den Freisetzungen in den Anbieterunternehmen selbst - zur wachsenden Arbeitslosigkeit?
Das größte Einsparpotential liegt beim Personal
Der Einsatz moderner Dokumenten-Technologien kann viele Effizienzverbesserungen und Einsparpotentiale mit sich bringen. Betrachtet man die im Rahmen einer Ist-Analyse ermittelten rechenbaren Kosten, so fallen auf die Einsparungen bei Räumen- und Ablagemedien nur sehr geringe Anteile. Die einsparfähigen rechenbaren Kosten werden außerdem häufig durch die Kosten für neue Infrastruktur, Lizenzen, die Durchführung des Projektes und Wartung neutralisiert. Die Einsparung von Zeit ist ein wesentlicher Faktor, der aber direkt auch mit der Ressource Personal verknüpft ist – mehr in besserer Qualität in kürzerer zeit erledigen kann auch heißen, die gleiche Arbeitslast mit weniger Personal bewältigen. Effizienzsteigerungen, Verbesserungen, medienbruchfreie Zusammenführung aller Informationen, besserer Kundenservice etc., die typischen qualitativen Nutzenmerkmale, sind häufig nicht genau quantifizierbar. Sie sind aber notwendig, um Projekte überhaupt als wirtschaftlich vertretbar zu verargumentieren. So bleibt häufig als wichtigstes bezifferbares Einsparpotential das Personal. Hier werden denn schnell einmal „überflüssige“ Ressourcen im traditionellen Archiven, im Posteingang, in der vorgelagerten Bearbeitung für die Sachbearbeitung, in der Aktenzulieferungslogistik, in der Genehmigungshierarchie, etc. auf dem Papier wegrationalisiert. Wer „virtuelle elektronische Akten“ und softwaregestützten Workflow in seinem DRT-Projekt plant, hat immer auch die Einsparung von Personal im Sinn. Es finden sich daher auch in fast allen ROI Return-on-Invest Planungen größere Positionen, die auf der möglichen Einsparung von Mitarbeitern basieren.
Werden die Einsparpotentiale der  
ROI-Betrachtungen umgesetzt ?
In der Realität sieht es bei dem Umsetzung der Personaleinsparpotentiale häufig anders aus als in den ROI-Betrachtungen. Man braucht zusätzliches qualifiziertes Personal für Administration und Betrieb, zentrale Scanning-Bereiche müssen personell besetzt werden und die Umsetzung von Personal aus dem herkömmlichen Archivbereich und dem Posteingang ist häufig nicht geeignet oder ausreichend, Arbeitsverträge und das Engagement der Personalvertretungen stehen Kündigungen entgegen, es wird manchmal sogar offenbar, dass das auf dem Papier eingesparte Personal vielleicht sogar der wichtigste Wertschöpfungsfaktor des Unternehmens ist. Die vielbeschworenen Einsparpotentiale werden daher eher selten umgesetzt. Ist eine DRT-Lösung vernünftig geplant, kann dies sogar verkraftet werden, da in anderen Feldern die beabsichtigten Verbesserungen erreicht werden. Es wird allerdings immer deutlicher, dass die mit der Einführung von DRT-Lösungen verbundenen Ziele der Personaleinsparung immer aggressiver verfolgt werden. Mit Duldung der Personalvertretungen, die sich zumindest für das ver-bleibende Personal bessere, moderne, qualifiziertere und sicherere Arbeitsplätze versprechen, oder, wenn es sein muss,  gegen die Mitarbeiter. Human- und Sozialverträglichkeit bleiben dabei zunehmend auf der Strecke. Aufgabe jedes DRT-Projektes sollte es daher auch sein, sich um diese Folgen verantwortungsvoll zu kümmern.
Mehr Arbeitslose durch den effizienten Einsatz  
von Dokumenten-Technologien!
Betrachtet man die Veränderungen aus historischer Sicht, so lassen sich einige Zyklen erkennen, die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben. Mit der Mechanisierung der Landwirtschaft wurden im 19. Jahr-hundert Heerscharen von Bauern, Landarbeitern und Tagelöhnern freigesetzt. Diese nahm damals die aufstrebende Industrie auf, sie waren das menschliche Futter der industriellen Revolution. Die industrielle Revolution mündete in die Automatisierung der Industrie. So wurden im 20. Jahrhundert, zunehmend in der zweiten Hälfte, die industriellen Fertigungsprozesse immer mehr automatisiert. Die ursprünglich benötigten Massen von Arbeitern wurden wieder freigesetzt. Sie wurden von der sich entwickelnden Dienstleistungsgesellschaft und von den wachsenden Verwaltungsbereichen zunächst in Teilen aufgesogen. In Deutschland blieb Ende des Jahrtausends bereits ein Bodensatz von mehreren Millionen zurück. Nun steht die Dienstleistungsgesellschaft mit ihren aufgeblähten Verwaltungen selbst zur Automatisierung an. Workflow, Business Process Management, E-Business, E-Commerce, ECM Enterprise-Content-Management, Output-Management, Capture with automatic Classification, Indexing and Routing, alles Document-Related-Technologies, sind hier die Schlagworte.  In Prozessen,  bei denen es um “elektrisch rein, elektrisch verarbeiten, elektrisch raus” geht, spielt der Mensch nur noch eine nachgeordnete Rolle. Er beschränkt sich auf Fehler- und Problemfallbehandlung, vielleicht noch Entscheidungen, vielleicht braucht man ihn auch noch zur rechtskräftigen Absegnung der Ergebnisse, die von Software bereitgestellt werden. Das „papierlose Büro“ entwickelt sich von einer positiv besetzten Vision nunmehr in neuer Gestalt, als „menschenloses, automatisiertes Büro“, zur Apokalypse des Arbeitsmarktes und des Generationenvertrages.
Die Hybris der politischen Botschaft
Die Automatisierung des Dienstleistungs- und Verwaltungssektors der Wirtschaft und der öffentlichen Hand sind zu Beginn des 3. Jahrtausends die größte Herausforderung für den Arbeitsmarkt. Hier vollzieht sich der gleiche Prozess wie bei der industriellen Revolution, nur dass heute keine Auffangposition in Sicht ist. Betrachtet man in diesem Licht die Anstrengungen der Politik durch E-Government, Verwaltungsreform und Effizienzsteigerung in den Behörden voranzutreiben, natürlich mit Einsatz modernster Software, dann ist auch hier die Konsequenz der Realisierung von Einsparpotentialen den Verwaltungsapparat zu entschlacken, Personal abzubauen. Welche neuen Arbeitsplätze sollen denn Bund, Länder, Bezirke und Kommunen anbieten? Werden alle Mitarbeiter gehalten, geht die Arbeit vielleicht effizienter und schneller, mit besserer Dienstleistungsqualität vonstatten – der Kostenblock des Personals aber bleibt. Nimmt man einmal nur die jüngst bekannt gewordenen Zahlen des Bundesanstalt für Arbeit. Dort beschäftigt sich das Gros der Mitarbeiter mit der eigenen Verwaltung, nicht etwa mit der Vermittlung von Arbeitslosen. Würde hier konsequent re-organisiert, müssten eigentlich eine Reihe der Mitarbeiter den Stuhl wechseln, vom Angestellten hinter dem Schreibtisch zum Arbeitslosen vor dem Schreibtisch.
Ist unser Wirtschaftskonzept am Ende?
Die wachsende Arbeitslosigkeit von Verwaltungsmitarbeitern bringt die soziale Altersabsicherung endgültig in Minus. Die Industrie wird nicht mehr nennenswert neue Arbeitskräfte aufnehmen – neue Fabriken sind weitgehend automatisiert, Fertigungen mit hohem Anteil an manueller Tätigkeit legt man lieber in Billiglohnländer. Der Handel wird nicht mehr nennenswert neue Mitarbeiter aufnehmen – Großmärkte mit wenigen Logistik- und Kassenkräften verdrängen die letzten Kleinbetriebe. Der Dienstleistungssektor wird nicht mehr nennenswert neue Arbeitskräfte aufnehmen – er ratio-nalisiert, automatisiert und ergänzt traditionelle Angebote durch elektronische Services. Besonders dort, wo keine physischen Produkte geschaffen werden, schreitet der Personalabbau voran. Banken und Versicherungen sind ein „gutes“, abschreckendes  Beispiel.
Ist unser Wirtschaftskonzept in Deutschland am Ende, werden wir die Millionen Arbeitskräfte nicht mehr los ? Im europäischen Vergleich ist Deutschland als Wirtschaftsstandort an das untere Ende der Skala abgerutscht. Wo die Politik angesichts leerer Kassen nur noch den Mangel verwalten kann, sind auch keine neuen Konzepte zu erwarten.
Vernichtet elektronischer Workflow, elektronisches Dokumentenmanagement Arbeitsplätze? Diese Frage muss man heute mit „Ja“ beantworten.
Dabei wird allerdings auch Eines übersehen, der Einsatz moderner Informationstechnologie beinhaltet auch Chancen – den Wirtschaftsstandort Deutschland überhaupt überlebensfähig zu machen, durch bessere Qualifizierung auf höherwertige Dienstleistungen und Produkte zu setzen, die Wirtschaft durch neue Vermarktungskanäle zu stärken. Wir müssen mit dem Potential, dass uns besonders DRT Document Related Technologies bieten, verantwortungsvoll umgehen. Nur den Abbau von Personal als Ziel eines Projektes zur Einführung moderner IT zu verfolgen, ist nicht sinnvoll. DRT-Projekte haben viele Aspekte, die über reine Funktionalität, neue Maschinen, neue Software, weit hinausgehen. Immer mehr Menschen werden aus den „modernisierten“ Arbeitsprozessen herausfallen und die Zahl der Arbeitslosen weiter steigen lassen. Aber auch diejenigen, die in diesen „modernisierten“ Prozessen weiterhin tätig sind, werden sich am Rande ihrer Leistungsfähigkeit bewegen, getrieben durch den Takt der Software, ständig gefordert, sich mit neuer Technologie und veränderten Arbeitsbedingungen auseinander zusetzen. Der schnelle Wandel von Technologien überfordert unsere Humandisposition, wir sind noch nicht fit für das Zeitalter der Informationsgesellschaft, wir können die Chancen die uns die Kommunikations- und Informationstechnologie heute bietet, noch nicht adäquat umsetzen. (Kff)
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