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Enterprise 2.0: Was ein Unternehmen im 3. Jahrtausend von Obamas Wahlkampf lernen kann
Gastbeitrag von Jörg Wittkewitz,  
Autor, Berater und Herausgeber von
www.digitalpublic.de 
E-Mail:
jw@wittkewitz.de   
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Kennen Sie Employer Branding?  
Es ist der Versuch, mit Marketingunterstützung gute Leute anzuziehen und dafür zu sorgen, dass sie sich wohl im Unternehmen fühlen. Aber es ist nicht so ein Marketing wie man das früher gemacht hat. Es hört zu. Es lässt den Menschen Raum. Diesen Raum kann man schaffen – auch mit Werkzeugen im Firmennetz. Enterprise 2.0 ist in der Folge einfach nur eine Hilfe für Menschen, schneller und präziser mit anderen sinnvoll zum Ziel zu kommen. Mit Menschen. Ohne Datenlogistik und ohne Prozesskorsett.
Jeder halbwegs informierte Mensch hat mitbekommen, dass der amerikanische Wahlkampf im Herbst 2008 vor allem durch den Einsatz Sozialer Netzwerke entschieden wurde. Das ist nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte besteht darin, zu verstehen, dass genau jetzt die Zeit beginnt in der man ohne strategischen Einsatz der vielen Internetnutzer keinen besonders großen Erfolg mehr feiern kann - sei es in der Wirtschaft, der Politik  oder bei anderen gesellschaftlichen Einflussnahmen. Das betrifft Marketing genauso wie Pressearbeit, denn ob Online-PR, Social Media Marketing oder Communitybuilding, es geht nicht nur darum, einfach eine Website für die Suchmaschinen zu optimieren.
Was ist das kommunikative Konzept hinter Obamas Erfolg?
Zunächst unterscheidet sich sein Umgang mit Menschen radikal von dem anderer Politiker, die wir bisher kannten. Denn er kommuniziert nicht nur mit vielen seiner Wähler direkt (er hat ja immer sein Blackberry dabei), er spricht auch durch sie. Das bedeutet, er hat eine enorme Menge an “Botschaftern”, die seine Inhalte weiter tragen. Wer Emanuel Rosen gelesen hat, wird hier das Thema Buzz-Marketing (The Anatomy of Buzz, Emanuel Rosen, Currency 2000) wiederfinden - bei uns ist das als virales Marketing bekannt geworden. Im Groben geht es darum, seine Botschaft über Meinungsführer zu verteilen. Es geht auch darum, dass die Glaubwürdigkeit bei Produktbewertungen von Freunden und Bekannten extrem hoch ist, sogar die Glaubwürdigkeit fremder Internetnutzer ist noch weitaus höher als die von Produktkatalogen, Firmen-Websites oder gar Werbung.
Obama hat im Laufe seines Wahlkampfes über 13 Millionen Verfechter seiner Ideen gewonnen, die seine - und ihre Vorstellungen - weltweit online verbreiten.  Das geschah und geschieht noch mit einer Masse an Tools. Doch dazu im zweiten Teil mehr. Zunächst ein Einschub.
Was sind Grassroots?  
In Amerika entwickelte sich etwas, das als grassroots democracy (Basisdemokratie) bekannt wurde. Es handelt sich um eine ungelenkte Bewegung. Das nahe Ziel ist ein öffentlicher Meinungsbildungsprozess unter Umgehung aller Lobbyeinflüsse! Grundsätzlich soll ein gesellschaftlicher Wandel durch engagiertes und gemeinsames Artikulieren von Bürgerinteressen gegenüber den staatlichen Organisationen erreicht werden. Genau diese Gruppen und Einzelpersonen hat Obama durch seine Onlinekampagne erfolgreich angesprochen. Sie waren schon alle vorher sehr gut über das Internet vernetzt. Seth Godin würde sagen, sie hatten schon einen tribe gebildet. Und genau so eine Gruppe kann von einer Person geführt werden, die dort schnell und umfassend Glaubwürdigkeit erreicht.
Wir halten also fest:
1. Regel:  
Glaubwürdigkeit einer Person muss schnell und weitreichend verankert sein.
Das ist zugleich die schwierigste Aufgabe, denn man kann niemandem Glaubwürdigkeit in einem großen Kreis verschaffen, die er/sie nicht auch im kleinen Kreis der direkten Umgebung schon genießt.
Diese sollte immer sehr früh in einer Kampagne passieren. Denn wer schnell startet, hat solange gewonnen, bis jemand auftaucht, der mehr moralischen Kredit inne hat oder besser als Experte anerkannt ist. Es hängt natürlich wie immer vom Thema ab. Bei der Politik ist es die Moral, bei Produkten die unabhängige Expertise. Also Charisma her und sofort starten!
2. Regel:  
Mit Sozialen Netzwerken Einzelne zusammenführen und ihnen trotzdem die eigene Identität erhalten.
Das bedeutet einerseits, dass man die digitalen Werkzeuge sehr offen gestaltet, gleichzeitig aber präzise auf das achtet, was in ihnen vorgeht. Das bedeutet, dass Kritik, die über das übliche Nörgeln, den Neid und den Weltschmerz hinausgeht, offensiv zum Thema einer eigenen Diskussion zu machen. Also fast alle Inhalte, die aus dem Netz kommen, aufzugreifen. Das Personalisieren der Inhalte übernehmen die Verfechter und Gegner schon selber, dafür brauchen sie Freiheit der Rede. Überfrachten Sie also Ihre Kampagne nicht mit den besten und neuesten Tools. Das kann die Freiheit enorm einschränken, weil man neue Werkzeuge erst spielerisch erfahren muss, bevor man mit ihnen die Welt verbessert.
3. Regel:  
Seien Sie da innovativ, wo es nötig und hilfreich ist. Der Rest kommt später.
Online Aktionen - Offline Handlungen
Nachdem Obama gewählt wurde, hat er eine Website gestalten lassen, auf der neue Gesetzesvorlagen oder Verordnung online zur Diskussion stehen. Davor hatte er seine Wahlkampfplattform - sozusagen auf hoher See umbauen lassen - sie wurde zur Website, auf der alle aufgefordert wurden (sie erinnern sich 13 Millionen Online-Supporter), ihre eigenen Ideen für einen Wandel dort online zu stellen und zu diskutieren.
4. Regel:  
Transponieren Sie Online-Kampagnen in die echte Welt
Was hat man davon, wenn viel Page Impressions auf der Website dokumentieren, dass sich die Menschen für eine Idee oder ein Produkt interessieren? Die sogenannte Konversion fehlt, also das Umsetzen in wirtschaftlichen oder politischen Erfolg. Verbinden Sie die digitale Welt sinnvoll mit realen Handlungen. Das kann auch bedeuten, dass sie lokale Gruppen organisieren oder lokale Veranstaltungen mit ihren Ideen und Vorträgen befruchten. Dazu muss man passende Events finden oder selbst starten. Mit den Social Tools haben Sie ihre Verbreitungsplattform. Sie werden sich wundern, wie gerne Onlinebekanntschaften auch offline zusammenkommen wollen! Ein Satz zu Werkzeugen sei erlaubt: Eine große Twitterwand (Beamer mit Twitterfeed), zeigt aktuelle Twittermeldung und so finden sich Online-Twitterpartner auch offline auf einer Messe oder einer Konferenz. Der wesentliche Aspekt liegt hier weniger auf den Werkzeugen als auf einem integrativen Konzept.
Zurück im Firmenalltag
Warum sind Entwicklungen aus dem Web 2.0 interessant für Firmen? Web 2.0 ist eher Evolution und Integration als wirklich neu: Früher sprach man immer von Datennetzen in Bezug auf IT und hinsichtlich der Kooperation von Mitarbeiter von informellen Netzwerken. Die zweite Generation der Wissensmanagementools gefiel sich in der Rolle, diese menschlichen Netzwerke per Software sichtbar zu machen. Sie erinnern sich sicher an die Mitarbeiterwolken, Wissenslandkarten und allerlei andere Visualisierungen von verknüpften Einheiten. Nun werden menschliche und technische Netze verbunden. Die Maschen werden enger.
Web 2.0 ist insofern anders, da es alle Ebenen miteinander verknüpft:
Die offiziellen und informellen menschlichen Netzwerke, Online-Anwendungen mit gut dokumentierten Schnittstellen oder Cloud Computing (Das Web ist der Computer), die webbasierten Inhalte der größten Wissensdatenbank der Welt - das Web - mit einer Uptime von über 5000 Tagen per Mashup (Einbinden bestehender Webinhalte) oder gar die webbasierten SOA-Dienste (Entflechten von Inhalt, Funktion und Operation). All dies findet zusammen unter den hinlänglich bekannten Netzwerkvorteilen wie Beteiligung mit niedrigen Zugangshemmnissen und kurzen Feedbackschleifen, benutzergenerierte Inhalte, kleine Einheiten mit vielen Verknüpfungen und der Möglichkeit, spontan lose Verbindungen einzugehen.
Enterprise 2.0 in der Praxis - Kundenmanagement online
Force.com liefert Customer Relationship Management als SaaS, also als Software as a Service. Das bedeutet, dass man Funktionalitäten mietet und sozusagen eine Anwendung aus der Steckdose erhält. So können sich Abteilungen oder Einzelpersonen Funktionen mieten, die sie sonst weder kennen würden noch nutzen könnten, da der Einzelpreis einer großen CRM-Lösung oft das vorhandene Budget übersteigt. Zugrunde liegen zwei Ideen, die man ihrerseits innerhalb eines Firmennetzes gut fruchtbar machen kann.
   
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SOA (service oriented architecture): Einzelne Dateneinheiten, essentielle Funktionen und geschäftliche Operationen werden atomisiert und ja nach Geschäftsvorfall so “orchestriert”, dass sie einen Prozess abbilden. Dieser Ansatz ist nicht neu und auch noch nicht perfekt realisiert worden. Die grundlegende Idee ist jedoch das gemeinsame Arbeiten der Fachabteilungen und der IT an einer Formulierung grundsätzlicher Netzknoten wie Datenbasis, Beteiligte, Anwendungen und den Kanten zwischen den Knoten wie Funktionen, Operationen und Beziehungen.
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Man bezahlt nur das, was man auch wirklich braucht. Im Softwarebereich erwirbt der Käufer zumeist enorme Softwarepakete, nutzt jedoch nur 15% der Funktionen.
Wie oben bereits angedeutet, besteht eben in dem Zusammenspiel vernetzter Menschen und Anwendungen genau dann ein geschäftlicher Vorteil, wenn der benutzergenerierte Inhalt ins Spiel kommt: sei es der Bescheid einer Sachbearbeiterin in der Sozialversicherung oder der Marketingplan in der Industrie. Aus dem Dokumentenmanagement - neudeutsch Enterprise Content Management - wissen wir, wie wichtig die Bearbeitung des Eingangskorbes ist. Vor allem, wenn ein Kollege krank ist und mir das System alle zu einem Vorfall nötigen Inhalt pro aktiv zuliefert ohne dass ich nach Inhalten suchen müsste. Der Schritt zu Enterprise 2.0 erweitert dieses Konzept nun um Inhalten aus allen Quellen, Bewertungen aus dem Web, zugehörige Inhalte aus Feldern aus x Datenbanken auf y Servern, die nicht selten untereinander in n:n-Relationen verbunden sind und natürlich - last but not least - irgendwelche Dokumente, die in Verzeichnissystemen abgelegt sind, deren Name man heute nicht mehr kennt, weil die Betriebssysteme vor dem großen Web boom um 2000 entwickelt wurden.
Firmenkultur im Wandel
Wo im Web 2.0 noch die Komplexität in den Verlinkungen und dem Bewerten des Taggings (Verschlagworten) lag, jeder Nutzer kann beispielsweise bei Social Bookmarkingdiensten wie Qitera frei alle Inhalte bestimmten Begriffen zuordnen, liegt bei Enterprise 2.0 das Augenmerk auf der Zeit- und Bedeutungsschiene gleichermaßen. Mit smarten Datenspidern von Firmen wie 30 Digits kann man jederzeit aus dem Stand alle Daten zueinander in Beziehung setzen, ohne eine komplizierte semantische Ontologie einsetzen zu müssen. Aber was ist mit den Alten? Und damit meine ich sowohl vergessene Dokumententypen aus der Zeit vor dem Web und ältere Mitarbeiter, die Angst haben, all Ihr Wissen in sozialen Netzwerken preiszugeben, weil sie dann ihre uniqe selling points, also ihre einzigartige Erfahrungen weggeben, da sie in einigen Firmen um ihr Zukunft bangen müssen. Das Stichwort Unternehmenskultur ist an dieser Stelle ein zentraler Hebel, der nicht einfach in eine allgemeine Corporate Social Responsabilty (CSR) Task Force weiter delegiert werden sollte. Mitarbeiter machen das vernetzte Arbeiten im dritten Jahrtausend nur dann wirklich erfolgreich, wenn dies mit smartem Wachstum passiert, das nach dem Vorbild des Smart Growth Manifesto von Umair Haque umgesetzt wird. Ein wesentlicher Aspekt des Erfolges liegt daher in einer gemeinsamen Neubestimmung von Führung- und Leitungsfunktionen. Es geht hier nicht um plumpe Weisheiten aus den Neunzigern à la Peter Drucker, das Wissen nicht managebar ist oder das Wissen sich verdoppelt, wenn es geteilt wird.
Wie kann man also eine offene Umgebung schaffen, die Produktivität und Flexibilität ermöglicht und sichert. Change Management is on the way - but how? Normalerweise sind Mitarbeiter beschäftigt, eben genau das zu erreichen, was von ihnen erwartet wird. Wie sollte es also einsichtig werden, dass das Teilen und Mitteilen von Meinungen und Bewertungen nicht bloßer Zeitfresser ist, sondern einen essentiellen Teil des geschäftlichen Erfolgs ausmacht. Nehmen wir eine Technologie wie Twitter, die schnell und einfach kurze Nachrichten innerhalb der Firmen verschicken würde über die aktuellen Aufgaben die jeder bearbeitet. Wenn eine Suchmaschine alles durchsuchen würde und auf dieser Grundlage der eigenen Statusnachrichten Verbindungen zwischen entfernten Abteilungen, Mitarbeitern und Projekten darstellen könnte mit Thesauri oder ähnlichem, würde schnell klar werden, dass die berühmten geschlossenen Zirkel in Online-Projekt-management-Plattformen mehr inhaltlichen Input von außen bekämen. Noch schlimmer sind die Wissensdatenbanken, die sich nur für diejenigen öffnen, die ihrerseits Inhalte einliefern. Das ist ein Offenbarungseid im modernen Wissensmanagement.
Praxis Twitter
Stellen Sie sich einen extrem sprachbegabten vielbeschäftigten Projektleiter vor, der etwas schreibfaul ist und nur widerwillig seine E-Mails beantwortet, weil er es eben muss. Wenn er mit seinem geliebten iPhone im Taxi, im Zug oder bei Meetings eben ein paar Ideen, oder Hinweise in die Firma twittert, findet er schnell Follower (Leser), die nie etwas von ihm in einer Datenbank sehen würden. Aber aufgrund seiner Kurznachrichten wird er zum nächsten Brainstorming in die Niederlassung in Amsterdam eingeladen und kann dort in 10 Minuten ein seit Monaten festgefahrenes Projekt in eine neue Richtung lenken.
Dabei ist die Technologie nur ein Vehikel, dass möglichst allen charakterlichen Typen der Kooperation (siehe auch Belbin-Bögen) ihre Eigenheiten belässt und nur die Geschwindigkeit einiger und die Vielseitigkeit anderer sinnvoll für diejenigen nutzbar macht, die die Substanz eines Projekts nach vorne bringen. Und das sind oft mehr als die direkt Beteiligten. Beide Arten, das Leben zu begreifen, profitieren enorm von vielkanaligen Kontaktplattformen. Übrigens: Frauen lieben Twitter. Und sie haben bisher wenig laicht zugängliche Plattformen gehabt, sich im Web zu unterhalten. Mit diesem Werkzeug kann sich das ändern.
Praxis Blog
Das Höchste im Online Marketing ist ein Corporate Blog, das in der Technorati-Hitliste der besten Blogs zu einem Themenbereich hohe Relevanz erreicht hat. Den Nutzen so einer Anwendung der offenen Tür ist gar nicht zu überschätzen. Denn der am schnellsten wachsende und effizienteste Markt weltweit ist Search Advertising (lt. Studie J.P.Morgan”Nothing But The Net” 2009). Wenn Firmeninhalte also im sogenannten organischen, also unbezahlten Bereich, großer Suchmaschine erscheinen, dann ist das ein extremer und nachhaltiger Gewinn, denn das Netz vergisst nichts. Einmalige Bezahlung und langfristiger Gewinn an Glaubwürdigkeit, Reputation und eben Umsatz. Das ist nichts Neues für einige Leser. Warum aber sollte so eine Maßnahme im Firmennetz weniger erfolgreich sein? Weil Ihre Geschäftspartner nichts über ihre Firma wissen wollen? Weil Ihre Mitarbeiter lieber den Newsletter am Montagmorgen lesen wollen, wenn sie noch halb im Wochenende schlummern, anstatt nach dem Mittagessen im Kommentarbereich Neuerungen mit zu diskutieren? In einem Blog haben Führungskräfte aller Levels drei große Chancen, Kudos zu erwerben.
1.  Sie können wirklich gut schreiben, also unterstellt man ihnen auch, dass sie ein Thema von Grund auf durchschauen und über rhetorische Brillanz verfügen.
2.  Führungskräfte beherrschen die Diskussion über Kommentare. Damit achten Sie die Meinung anderer und setzen sich mit guten und hilfreichen Einwendungen aktiv auseinander oder bestehen souverän böse anonyme Anfeindungen. Beides sind unerlässliche Kompetenzen im dritten Jahrtausend.
3.  Ihre zukünftigen Führungskräfte können sich zu einem Thema vor der Belegschaft bewähren und die HR-Abteilung hat ein Assessment Center (AC), dass in ganz großer Runde die praktischen Kenntnisse von potenziellen Mitarbeitern nachlesen kann, inklusive der anschließenden Fachdiskussion. Besser kann QM im Personalwesen nicht auf alle Schultern verlagert werden. Wer weiß denn besser als die Fachabteilung, oder jemand Schmu aus der MBA-Schmiede wiederkäut oder wirklich von praktischer Arbeit reflektierte Perspektiven einnimmt. 
Praxis Wiki
Angesichts von Sozialen Netzwerktools wie drupal, elgg oder silverstripe kann ich den Einsatz von Wikis nur noch in dokumentarischen Umgebungen in Technologiefirmen als sinnvoll erkennen - also beim Maschinenbau oder im Flugzeugbau, wo es erwiesen hilfreiche Realisierungen gibt. Mir persönlich fehlt bei Wikis die wesentliche Komponente des social web, nämlich die niedrigschwellige Möglichkeit der Kommentare. Ich finde übrigens nichts Verwerfliches an anonymen Kommentaren - vor allem solange die Unternehmenskultur nicht selten offene Kritik übel ahndet. Ohne sachliche Würdigung kritischer Stimmen fahren aber viele Projekte vor die Wand. Ds ist einer der Gründe, warum Wikis nicht nur aufgrund des Alters immer seltener in  Artikeln über Web/Enterprise 2.0 auftauchen. Aber angesichts der enormen Anhäufung enzyklopädischen Wissens bei Großprojekten mag es gut erprobt und sinnvoll sein. Für mich ist es zu stark Web 1.0. Aber genau das haben ja etliche Erweiterungen und Module zu bekannten Wikis (siehe TWiki) schon aufgegriffen und die ursprünglichen Programme erweitert. Nur deswegen stehen Wikis hier immer noch. Anders ist die Sache bei Confluence von Atlassian, dort wird versucht, dem Wildwuchs der unübersichtlichen Anhänge in vielen Projektdokumentationen mit grundlegenden DMS-Funktionalitäten zu begegnen. Aber damit sind wir schon sehr nahe an eGroupware und Konsorten.
Praxis Mashups
Die aus meiner Sicht wichtigsten Impulse gehen von Mashups und Widgets aus. Beides sind im Grunde nur Container für Daten und Anwendungen, die in Portale oder Websites integriert werden und dem Nutzer eine weitgehende Individualisierung seiner Oberfläche im Browser liefern. Und das ist hinsichtlich meiner einführenden Auflistung - neben den benutzergenerierten Inhalten (siehe Unternehmenskultur) - der wahre neue Aspekt von Enterprise 2.0.  All die Versuche von Herstellern wie TIBCO etc. mit dem Enterprise Bus, also einem einheitlichen Zugriff auf Daten und Applikationen, scheiterten mehr oder weniger pompös. Auch SOA ist da keineswegs ein leuchtendes Beispiel. Die aktuellen Gründe sehe ich in dem Fokus auf Geschäftsprozesse.
Lean Management, also das Kostendrücken innerhalb und entlang von Wertschöpfungsketten mit dem Damoklesschwert der Geschäftsprozessoptimierung ist ein Ausweis des Managements des 20 Jahrhunderts, das Firmen wie Fließbänder steuerte. Wenn man aber in die Entstehung der Fließbänder schaut, so beginnt diese mit der überall vorhandenen Energie namens Elektrizität. Die neue überall erhältliche Substanz sind jedoch Daten und die gehorchen anderen Gesetzen. Vor allem deswegen, weil mit Daten nicht wie einst die Elektrizität Maschinen antreibt, sondern menschliche Entscheidungen und Handlungen. Das alte tayloristische Optimieren anhand des Vorbilds Fließband, dass BWL seit Jahrzehnten lehrte, gehört nun als Unterabteilung in die Robotik, als Theorie für Management von Menschen sind diese Erkenntnisse obsolet geworden. Es ist einfach kontraproduktiv für die moderne Arbeitswelt. Da Teilhabe, Innovationen und Wissen nur einer in Unternehmenskultur ohne Lean Management gedeihen kann, erscheint das Thema Mashups und Widgets in diesem Kontext zunächst zusammenhanglos. Wir überlegen uns ein Beispiel:
Stellen Sie sich vor, sie integrieren ein widget eines Lieferanten für Büroartikel, mit dem ihre Mitarbeiter unter Angabe der Kostenstelle von ihrem Firmennetz aus Bestellungen bis 150 EUR tätigen. Oder sie erstellen ein Mashup aller Online-Kataloge von Büroartikelversendern, die Onlineshops haben. Am besten ist wohl beides, oder? Übersicht über alle Anbieter und dann ein oder zwei widgets derjenigen, die oft günstig sind und zuverlässig kooperieren. Übertragen Sie das Beispiel mal auf Plattformen, auf denen Sie immer Freelancer suchen oder globale Einkaufsplattformen. Und jetzt drehen Sie die Perspektive: Projekte und Abteilungen innerhalb von Firmen liefern deren Kompetenzen innerhalb des Firmennetzes per Mashup (Inhalte) oder per Widget (kleine Funktionen). Jetzt können alle mit den Füßen abstimmen, wer seine Angebote so gut und präzise auf die Kollegen abstimmt, dass sie gut benutzbar sind. Es entsteht eine Servicementalität innerhalb der Firma.
Man merkt schnell, Enterprise 2.0 hat eine Menge Potenzial. Man braucht Erfahrung, um zu erkennen, welche Technologien den einzelnen Abteilungen im Büroalltag helfen - aber diese sind schnell installiert und ausprobiert, und werden bei Nichtgefallen ersetzt. Demokratische Strukturen müssen sich entwickeln, um die Schätze des gemeinsamen Lebens und Arbeitens zu heben. Beides ist sehr produktiv und vor allem nachhaltig. Wer seine Firma nicht gerade übermorgen verkaufen will, sollte die Chancen prüfen.
Zum Schluss noch ein Zitat von Hal Varian, Professor an der School of Information Management and Systems sowie an der Haas School of Business und der volkswirtschaftlichen Fakultät der University of California sowie Googles Chefvolkswirtschaftler:
“Sie haben immer dieses Problem, durch Jasager und Leute umgeben zu sein, die alles für Sie vorverdauen wollen. In traditionellen Organisationen gibt es ganze Armeen von Leuten, die Information verdauen und sie dann den Entscheidungsträgern nach oben reichen. Aber das ist nicht der Weg, wie es noch weitergehen sollte: Denn heutzutage sind Information über alle Hierarchieebenen - für jeden in einer Organisation verfügbar. Und was Sie gewährleisten müssen, ist, dass Leute Zugang zu den Daten haben, damit sie ihre täglichen Entscheidungen treffen. Und das kann viel leichter getan werden, als es in der Vergangenheit möglich werden konnte. Und es ermöglicht wirklich den modernen Mitarbeitern, effektiver zu arbeiten.”
Eine der schönsten und kürzesten Zusammenfassungen zum Thema kommt von einem der drei Väter von Enterprise 2.0 JP Rangaswami von BT: 
http://de.sevenload.com/pl/kwWlGjO/500x408/0
 
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