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Quo Vadis Dokumenten-Management ?
Ein kritischer Blick zurück auf´s Jahr 2001
Von Dr. Ulrich Kampffmeyer, Chef-Berater bei PROJECT CONSULT Unternehmensberatung
Dezember-Stimmung, das Jahr ist fast vorbei. Auch im Markt für DRT Document Related Technologies wird sich nicht mehr viel tun. Den Höhepunkt der Aktivitäten hatten wir bereits mit der DMS-EXPO im September. Also kann man bereits ein Resumee für das vergangene Jahr wagen – was war neu, was war nur Marketing-Getöse. War das Jahr 2000 von der Aufbruchstimmung der Börsengänger, neuen Markttrends und neuen Produkten geprägt, wirkte 2001 dagegen eher müde und deprimierend für die Branche. Doch beginnen wir mit den positiven Ereignissen des vergehenden Jahres.
Innovationen im Knowledge Management
Auch wenn sich der Begriff immer noch nicht fassen lässt, spielten sich ein Großteil der neuen innovativem Ansätze unter diesem Obertitel ab. Die gegen Ende des Jahres erschienene Studie zum Thema Knowledge Management der MetaGroup listet vorrangig DRT- und ECM-Segmente auf, das „wahre Leben“ im Knowledge Management passierte jedoch anderswo. Taxonomie, Semantik und Ontologie erlebte neben der automatischen Klassifikation eine Renaissance. Vordefinierte Thesauri und Nomenklaturen können in Verbindung mit der Auto-Categorisation zu erheblichen Verbesserungen der Informationserschließung beitragen. Die Klassifikationsansätze gehen inzwischen weit über den bekannten Ansatz der Kategorisierung bei der Informationserfassung hinaus. Auswertung von CRM-, Workflow- oder WebSite-besucher-Daten, Analyse des Nutzungsverhaltens von Informationen, Zusammenführung mit DataMining, automatische Generierung von Experten-Netzwerken, Web-basierte Ideen-Foren, Auswertung von Kommunikationsbeziehungen und E-Mails und zahlreiche neue Anwendungsfelder mathematischer Verfahren aus dem Umfeld der Statistik und künstlichen Intelligenz führen neuen Anwendungsfeldern des Knowledge Management, die jenseits der herkömmlichen Marketing aussagen liegen. Der Sprung der Innovationen aus akademischen Elfenbeintürmen und universitären Studierstuben in den Markt ist im vollen Gang.
Boom im Content Management
Im Marktsegment Content Management im weitesten Sinne schießen derzeit die Firmen wie Pilze aus dem Boden. Es geht nicht mehr nur um das Web-Site-Redaktionssystem. Content Management integriert sich in Portale und Middleware, greift auf das IntraNet über und positioniert sich als Enterprise Content Management als universelle Informationsbereitstellungsplattform im Unternehmen. Die Vielfalt der Ansätze ist inzwischen fast unüberschaubar. In diesem Marktsegement werden allerdings nur sehr wenige Anbieter überleben, da sich viele der Funktionen in Standardprodukten wiederfinden werden. Dieses Gebiet sieht auch Microsoft als seine Arena an, so dass in ein zwei Jahren zahlreiche der heutigen Anbieter vom Markt verschwunden sein werden. Besonders nützlich sind Ansätze, wo man zur Gestaltung und Pflege der WebSite oder des Portals kein „HTML-Hackertum“ oder spezielle Redaktions-Software mehr benötigt, sondern aus einer Standard-Textverarbeitung heraus direkt in Intra-, Extra- und Internet-Seiten publizieren kann. Content Management überwältigt langsam aber sicher das herkömmliche Dokumentenmanagement.
Lange Gesichter bei den Börsengängern
Wenn man ein gesundes mittelständisches DRT-Unternehmen ruinieren will, bringt man es an den Neuen Markt. Bereits im Herbst 2000 begann das „große Schlachten“. Die Kurse führten im Jahr 2001 steil nach unten. Im DRT-Marktsegment in Deutschland wurden im Durchschnitt 95% des Börsenwertes aus den guten Zeiten vernichtet. Prozentzahlen sind allerdings wenig aussagekräftig – lag eine Aktie ursprünglich bei 100 EURO und ist heute auf 4 EURO abgesagt, ist selbst eine Steigerung von 100% nur 8 EURO. Der Gang an die Börse hat nur temporär geholfen. Die Unternehmen wurden Opfer ihrer eigenen Euphorie und der quartalsmäßig geforderten Erfolgsmeldungen. Die meisten Anbieter stehen heute an der Wand – unkonsolidierte Produktpaletten, gescheiterte Firmenübernahmen, mangelhafte Positionierung führten im Herbst zu einer mühsam kaschierten Entlassungswelle. Da mit dem Produktvertrieb nicht genügend Geld gemacht werden kann, haben sich viele der Anbieter wieder in das Projektgeschäft gestürzt und in eine ungesunde Wettbewerbsituation zu ihren eigenen Vertriebs- und Realisierungspartnern gebracht. Auch börsennotierte Unternehmen sind nicht vor dem Untergang gefeit. Die Zahlen des letzten Quartals werden vielleicht noch im Weihnachtsrummel verschwinden, zur CeBIT 2002, am Ende des 1.Quartals, trennt sich die Spreu vom Weizen.
Positionierungswirrwarr
Jedes Jahr neue Begriff – Knowledge Management, Collaborative Commerce, Enterprise Content Management, eBusiness, Business Intelligence ... die rannten den Ankündigungen der Analysten hinterher. Da sich die Marktsegmentierung ständig änderte und die angekündigten Wachstumszahlen der Anbieter sich gegenseitig hochschaukelten, gibt es derzeit keine seriösen Zahlen über installierte Lösungen und Marktpotentiale. Kaum ein Anbieter kann seine Produkte richtig positionieren. Setzt man auf die neuen Schlagworte, bekommt man vom Kunden häufig eine Abfuhr, weil die Erwartung mit den Produkteigenschaften nicht übereinstimmt. Besinnt man sich auf traditionelle Werte und wirbt mit Archivierung, Workflow und Dokumentenmanagement, wird man sofort in die Ecke „altertümliche Lösungen gedrängt. Dabei machen die traditionellen DRT-Anbieter immer noch über 76% ihres Geschäftes mit simplen Archiv-, Dokumentenmangement-, COLD- und Archiv-Lösungen. Dieses Positionierungswirrwarr hilft weder Anbietern noch potentiellen Kunden. Letztere hielten sich in 2001 mit Kaufentscheidungen zurück – die Rezession, mangelnde Sicherheit bei der Einschätzung der Überlebensfähigkeit und das verwirrende Marketinggetöse haben den DRT-Markt in eine Phase der Stagnation getrieben. Die Analysten kommen nicht mehr hinterher, ihre Zahlen nach unten zu korrigieren.
Hilfe vom Gesetzgeber
Eigentlich hatte es in zwei Marktsegmenten gute Aussichten und Unterstützung des Gesetzgebers gegeben - die Änderung der HGB AO im Juli 2000 und die Novellierung  des Signaturgesetzes. Um die GDPdU, die Verwaltungsrichtlinie für die Finanzbehörden zur Änderung des HGB, hatte mit großer Verspätung zur DMS-EXPO viel Marketing-Getöse gegeben. In ihrer Einschätzung sind viele Anbieter über das Ziel hinausgeschossen – es braucht halt nicht jeder ein aufwendiges elektronisches Archivsystem. Den erwarteten Umsatzaufschwung hat es nicht gegeben. Die Anwender warten ersteinmal ab. Ähnlich sah es auch bei der elektronischen Signatur aus. Die europäische Richtlinie wurde in das deutsche Signaturgesetz umgesetzt. In Deutschland gilt die qualifizierte Signatur, die sich auch international langsam durchsetzt. Die verschiedenen technischen Standards der Signatur werden derzeit harmonisiert. Dennoch ist die Akzeptanz im Markt noch keinesfalls gegeben. Auch wenn immer wieder deutlich gemacht wird, dass es kein sicheres E-Business ohne elektronische Signatur, wird sehr zurückhaltend installiert. Viele Fragen der Akzeptanz, Kompatibilität und langzeitigen Verfügbarmachung sind dem Anwender noch zu ungesichert.
Integration heißt jetzt EAI
Enterprise Application Integration war eines der am häufigsten zitierten Themen – die Zusammenführung unterschiedlicher Komponenten und Anwendungen in einer Lösung. Portale,  Workflow, Content Management, Directory Services ... all dies fließt unter dem Schlagwort EAI zusammen. Es gibt eine Reihe von Werkzeugen und Integrationsprodukten, jedoch ist EAI immer noch die individuelle Integration, das herkömmliche Projektgeschäft der Systemintegratoren. Lediglich die Ansätze und Programmierumgebungen haben sich dem Wandel angepasst. Neben Host- und Client/Server gewinnen Portale und webbasierte Lösungen als Plattform an Bedeutung. Neben die Diskussion um Com+ oder Corba trat zunehmend die Nachfrage nach JEBs, Java Enterprise Beans. Workflow erlebte unter dem Vorzeichen EAI eine Renaissance, ohne dass die herkömmlichen Workflow-Produkte dem Anspruch einer EAI-Umgebung gerecht werden.
Capture entwickelt sich zu einem eigenen Marktsegement
Information Capturing, die Erfassung von gescannten Dokumenten, E-Mails und anderen Datenströmen entwickelte sich in 2001 zu einem eigenen, starken Marktsegment. Nur noch wenige Anbieter entwickeln eigene Komponenten. Die meisten kaufen ComponentWare oder komplette Subsysteme ein und integrieren diese. Neben die reine Erfassung tritt die automatische Klassifikation. Im Scanning-Umfeld wurden die OCR/ICR-Verfahren, besonders durch die Kombination mehrere Engines erheblich verbessert. Der Abgleich mit vorhandenen Stammdaten gehört inzwischen in fast jedes Produkt-Portfolio. Die größten Fortschritte wurden jeder bei der Klassifikation und Kategorisierung zur Indizierung und Weiterleitung von Dokumenten gemacht. Auch im Bereich der Integration mit Groupwareumgebungen wie Lotus Notes/Domino und Microsoft Outlook/Exchange waren neue Lösungen zur Überwindung der Attachment-Problematik am Markt zu finden. Die intelligenten Capture-Lösungen adressieren den Flaschenhals der Informationserfassung und sind daher aus Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten von großer Bedeutung. Neben einigen inzwischen konsolidierten und effizient einsetzbaren Produkten gibt auch in diesem Markt inzwischen zahlreiche neue Anbieter, die dem Anwender die Qual der Wahl bescherten.
Konsolidierung des Anbietermarktes
Aber nicht nur neue Anbieter machten 2001 von sich reden, auch viele der bekannten Unternehmen im DRT-Markt. Bei letzteren waren es häufig negative Schlagzeilen. Eine Reihe von Anbietern musste aufgeben. Produkte verschwanden ganz vom Markt oder wurden von Wettbewerbern oder Integratoren noch gerade so eben aufgefangen. Besonders bei der Langzeitarchivierung führt dies zunehmend zu kritischen Situationen für Anwender. Migrationsprojekte werden in Zukunft häufiger auf der Tagesordnung stehen. Ältere Archive müssen dabei sogar umkopiert werden, wenn es die Anbieter versäumt haben, geeignete Schnittstellen zur Integration in andere Anwendungen oder die Nutzung in übergreifenden, Repository-unabhängigen Lösungen vorzubereiten. Dies ist bei vielen der am Markt angebotenen Archivprodukte ein Problem. Die Systeme sind häufig proprietär. Wie erwartet setzte die Konsolidierung des Anbietermarktes bereits Ende 2000 ein und wird in 2002 einen Höhepunkt erreichen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass am internationalen Markt gemessen in Deutschland eine besondere Situation herrscht. Kein anderes europäisches Land hat soviel eigenständige Archiv- und DMS-Anbieter wie Deutschland. Selbst im viel größeren amerikanischen Markt gibt es weniger Anbieter. Der deutsche Markt ist deutlich überbesetzt. Bei zu geringem Umsatz kann die Weiterentwicklung und die langfristige Verfügbarhaltung nicht mehr gewährleistet werden. Firmen wie A.I.S., Autodigit oder Gentriqs haben es nicht geschafft. Der Markt wird sich noch von weiteren Produkten verabschieden und mancher Anbieter wird nur noch als Integrator überleben.
2001 ein schlechtes Jahr ?
Auf den ersten Blick – ja. Die hochgesteckten Erwartungen, dass nach der Jahr-2000-Umstellung sich alle Anwender auf Themen wie Dokumenten-Management oder Workflow stürzen würden, hat sich nicht erfüllt. Im Fokus der Anwender sind heute andere Themen. Dennoch ist der Markt gewachsen, zwar nicht mit 25% pro Jahr, aber im Vergleich zum Vorjahr deutlich im Plus. Die machte auch die wichtigste Messe der Branche, die DMS-EXPO in Essen deutlich. Die Erweiterung des Spektrums, wie sie mit DRT Document Related Technologies definiert wurde, hat auch neue Marktsegmente erschlossen. Bei Portalen, Transaktionsarchivierung, CRM, SCM und anderen Themen sieht der Anwender keine Archiv-, Workflow- oder Dokumenten-Management-Lösungen mehr – sie arbeiten als Dienste im Hintergrund der führenden Anwendungen. Im Jahr 2002 wird sich der Trend zur Bereitstellung von Komponenten, Enabling-Modulen und Server-Diensten noch mehr verstärken. Die Branche hat dann endgültig ihr eigenständiges Gesicht verloren und ist Bestandteil der allgemeinen IT-Infrastruktur geworden.
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