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Collaboration
Leserbrief von Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Peter Mertens, Bereich Wirtschaftsinformatik I, Universität Erlangen-Nürnberg, zur Verwendung des Begriffes „Collaboration“;  
E-Mail:
Peter.Mertens@wiso.uni-erlangen.de.
(...)
Beitrag von Dr. Kampffmeyer im KM Special
In dem an sich lesenswerten Leitartikel wird von Ihnen mehrmals das Wort ‚Kollaboration’ verwendet. Laut Duden bedeutet das „Freiwillige, gegen die Interessen der eigenen Nation gerichtete Zusammenarbeit mit dem Feind“; ähnliche Deutungen findet man in anderen Nachschlagewerken, wobei wiederholt darauf hingewiesen wird, dass die Vokabel durch die Taktik der Nationalsozialisten besonders ‚geschichtsträchtig’ ist.
Hier soll keine Debatte darüber geführt werden, wie ein Autor zu seiner Muttersprache zu stehen habe. Es gehe allein darum, ob der unter Informationstechnikern immer häufiger zu beobachtende gemischt englisch-deutsche „Slang“ zweckmäßig ist.
Die unkritische Übernahme oder falsche Übersetzung von US-Schlagworten (hier: Collaboration, welches im Englischen schlicht Zusammenarbeit bedeutet), führt auf ein grundsätzliches Problem unserer Fachsprache:
Während z.B. im Bereich der Technik oder der Medizin hinter den neuen Begriffen vielfach echte Fortschritte stehen, z.B. was erhöhte Schaltgeschwindigkeiten oder Medikamente mit geringeren Nebenwirkungen angeht, kann man derartige signifikante Fortschritte im Management seltener feststellen. Daher droht die Versuchung, „alten Wein in neuen Schläuchen zu verkaufen“, und es braucht geraume Zeit, bis genügend viele „Kunden“ dies durchschaut haben. Problematisch erscheint es, gut eingeführte deutsche Worte durch amerikanische zu ersetzen. Man mache einmal ein kleines Gedankenexperiment und versuche zu erklären, was das aktuelle Schlagwort „Supplier Relationship Management“ inhaltlich von dem unterscheidet, was ein guter Einkäufer schon immer getan hat! Oder man ergründe, wo der Unterschied zwischen Fertigungssteuerung und „Manufacturing Execution System“ (MES) liegt. Von mir befragt, äußerte ein Unternehmensberater: „Ich habe eine Aktion unter der Überschrift ‚Fertigungssteuerung’ angekündigt - keine Resonanz. Vierzehn Tage später habe ich ´MES´geschrieben und erhielt viele Anfragen“.
Der gleiche Herr schrieb zusammen mit einer Kollegin einen Aufsatz über den Stand von MES. Darauf angesprochen, warum im vorderen Teil des Beitrages MES anders erklärt sei als im hinteren, kam die Antwort: „Meine Kollegin und ich konnten uns nicht einigen, wie wir MES verstehen, da haben wir beide Interpretationen verwendet“. Folgerung: Wir könnten die Effizienz der Arbeit in Praxis und Wissenschaft beträchtlich erhöhen, wenn es gelänge, frühzeitig zu erkennen, ob hinter einem neuen Anglizismus neue Substanz liegt oder nur ein Modewechsel.
Es kann der Fachgemeinschaft der IT-Leute leicht passieren, dass sie von Beobachtern ähnlich belächelt werden wie die Soziologen und Personalwirte, wenn sie Binsenweisheiten so formulieren: „Der Department Head sollte seinen High Potentials einen anderen Career Path öffnen als den Low Performern“ (aus dem Siemens-Konzern). Eine Personalabteilung begründete eine ähnlich formulierte Stellenanzeige so: „Wir wollen jung wirken“ (!). (...)
  
PROJECT CONSULT Antwort:
(...) Die von Ihnen vorgetragenen Bedenken zum Begriff ‚Collaboration’ kann ich sehr gut nachvollziehen.
Leider liegt mir die gedruckte Ausgabe des von Ihnen erwähnten Artikels aus der KM Spezial (noch) nicht vor. In meinem Manuskript ist von ‚Collaboration’ im Zusammenhang mit Wissensmanagement und Enterprise Content Management die Rede. Ich habe in meinem Manuskript bewusst die englische Schreibweise benutzt und nicht ‚Kollaboration’ mit ‚K’. Daher halte ich es für legitim, in diesem eindeutigen Sachzusammenhang auch von ‚Collaboration’ zu sprechen, da es sich hier nicht um den umgangssprachlichen deutschen Begriff der leider negativ besetzten ‚Kollaboration’ sondern einen von der Softwaretechnologie geprägten Begriff handelt.
Die Branche für Dokumenten-Technologien leidet zugegebener Maßen unter Anglizismen. Der Begriff ‚Collaboration’ kommt aus den USA und ist dort als allgemein anerkannter Fachterminus für die durch Software unterstützte Zusammenarbeit bekannt. Der Begriff stellt eine Weiterführung und auch eine gewollte Absetzung vom Kunstwort ‚Groupware’ dar. Ihre Vorschläge, ‚Kooperation’ oder ‚Zusammenarbeit’ zu benutzen, sind hier angesichts der Eigenschaften dieser Produkte sicherlich zu kurz gesprungen und dürften beim Leser, der sich zum Thema Knowledge Management informieren möchte, eher zu Fragezeichen führen. Collaborative Systeme sind Lösungen, die Eigenschaften von Groupware, Workflow, Dokumentenmanagement, Knowledge Management, Video-Conferencing, etc. vereinen. Sie stellen eine Produktkategorie im weiten Feld des ECM Enterprise Content Management dar. Informationen zu diesem Umfeld finden Sie auch auf unserer Webseite www.PROJECT-CONSULT.com (z. B. unter dem direkten Link http://www.project-consult.com ) und in meinem neuen Buch ‚Dokumenten-Technologien: Wohin geht die Reise?’. Die Mehrzahl der Anbieter im ECM-Marktsegment benutzt den Begriff ‚Collaboration’ zur Klassifizierung ihrer Systeme und trägt so bereits seit einigen Jahren zur Verbreitung des Begriffes maßgeblich bei. Anbietern, Beratern und Analysten geht es hier darum, eine möglichst eindeutige Zusammenstellung von bestimmter Funktionalität mit einem Begriff zu fassen (für den es noch nicht einmal eines der sonst üblichen Akronyme gibt).
Ein Eindeutschen des Begriffes ‚Collaboration’ als ‚Zusammenarbeit’ halte ich daher in diesem Technologie-geprägten Umfeld nicht für sinnvoll. Gerade wenn Begriffe aus den USA, die mit bestimmten  Produkteigenschaften  oder Funktionalität assoziiert sind, ins Deutsche übertragen wurden, führte dies zu Missverständnissen. Es sei hier auf die inhaltliche Diskrepanz z. B. von ‚Workflow’ und ‚Vorgangsbearbeitung’ hingewiesen. Ob die Benutzung von fremdsprachlichen Termen in der deutschen Sprache nun gut oder schlecht ist – französische Verhältnisse, wo um jeden Preis alles in die Muttersprache umgesetzt wird, möchte ich nun wahrlich nicht befürworten. Wir werden bei PROJECT CONSULT trotz der historisch bedingten Belastung des Begriffes ‚Kollaboration’ beim Fachbegriff ‚Collaboration’ mit ‚C’ bleiben. (...)
Anm. d. Red.: Auszug aus der Antwort-E-Mail von Dr. Ulrich Kampffmeyer auf die ursprüngliche E-Mail von Herrn Prof. Peter Mertens. Anreden, Einleitungen und Grußformeln wurden in beiden Schreiben entfernt. (FH)
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