von Dr. Ulrich Kampffmeyer, Geschäftsführer der PROJECT CONSULT Unternehmensberatung GmbH
E-Mail: Ulrich.Kampffmeyer@PROJECT-CONSULT.com
Einführung
Records Management ist im angloamerikanischen Sprachraum ein feststehender Begriff. Er beinhaltet die ordnungsgemäße Verwaltung aller Dokumente, die für die Nachvollziehbarkeit hoheitlicher, rechtlicher und geschäftlicher Aktionen notwendig sind. Basierend auf den Prinzipien ordnungsgemäßer Aufbewahrung und Ershcließung von papiergebundenen Dokumenten hat sich im angloamerikanischen Raum eine Records-Management-Kultur entwickelt, die sich in den Geschäfts¬prozessen und der Archivierungsstrategien wiederspiegelt.
In Deutschland gibt es diese ausgeprägte Tradition des Records Managements nicht. In der freien Wirtschaft haben sich Verfahren des Dokumentenmanagements (im weiteren Sinn) und der elektronischen Archivierung in den letzten 20 Jahren etabliert. Übergreifend wird hier von DMS-Lösungen gesprochen. Zwar gibt es vereinzelt Produkte und Module von ECM- und ERP-Anbietern, die unter dem Begriff „Records Management“ angeboten werden, jedoch wird der Begriff in Deutschland häufig anders benutzt, als international gebräuchlich. Dies ist darauf zurückzuführen, dass in Deutschland anstelle des Begriffes „Record“ vom „Dokument“ gesprochen wird. Im angloamerikanischen werden jedoch „Record“ und „Document“ unterschieden. Dies zeigt sich z.B. auch in der Definition für ECM Enterprise Content Management, die „Document Management“ und „Records Management“ unterscheidet und Records Management im Übrigen auch von der elekronischen Archivierung, im Agloamerikanischen „Digital Preservation“, abgrenzt. Seit 1999 ist ECM Enterprise Content Management die gebräuchliche Bezeichnung für DMS-Lösungen, die Records Management als wesentliche Komponente einbeziehen.
In der öffentlichen Verwaltung Deutschlands wird das Bild der Schriftgutverwaltung durch das DOMEA-Konzept geprägt. DOEMA folgt anderen Prinzipien als das Records Management angloamerikanischer Prägung. DOMEA ist eher prozessorientiert während Records Management im klassischen Sinn sich eher an strukturierter Aktenablage ausrichtet.
Records sind aufbewahrungspflichtige Informationsobjekte, die sich unabhängig vom physischen Format durch ihren Inhalt und ihren Rechtscharakter definieren. So verwaltet das Records Management nicht nur elektronische Dokumente, sondern über Referenzen zum Beispiel auch die Standorte von Aktenordnern. Records Management erlaubt die gemeinsame Verwaltung von physischen und elektronischen Informationen und stellt so eine vollständige Sicht auf alle zusammengehörigen Daten und Dokumente dar. Records Management kümmert sich nicht nur um Aufbewahrungsfristen, sondern sorgt auch für die kontrollierte Entsorgung nicht mehr gültiger oder nicht mehr benötigter Information. Grundlage sind Regelwerke zur Vererbung von Metadaten, Aufbau von Ordnungsstrukturen, Aufbewahrungs- und Vernichtungsfristen, Konvertierungs- und Renditionierungs-bedingungen und vieles mehr.
Records Management dient als eigenständige Lösung oder integrierte Komponente zur geordneten Aufbewahrung von Informationen. War früher Records Management nur ein Thema für Archivare, Dokumentare und Registrare so betrifft diese Technologie heute jeden, der Information erstellt oder empfängt und diese ablegen muss. Gerade angesichts der zunehmenden geschäftlichen Kommunikation mittels E-Mail und der elektronischen Kollaboration und Vorgangsbearbeitung betrifft das Records Management inzwischen fast jeden Mitarbeiter im Unternehmen und in der Verwaltung. Die Auseinandersetzung mit Records Management ist daher gerade in Deutschland wichtig, da dieses Thema noch weitgehend unbekannt ist. Nur mit dem gezielten Einsatz von Records Management lassen sich die zunehmenden Compliance-Anforderungen wirtschaftlich erfüllen.
Definition Records Management
Die Begriffe „Record“ und „Records Management“ sind in Normen wie der ISO 15489 „Records Management“ und in zahlreichen Standards der Privatwirtschaft und der öffentlichen Verwaltung definiert.
Die Definitionen und Prinzipien der ISO 15489 können international als maßgeblich betrachtet werden. Gegenstand dieser Norm ist die Verwaltung und Aufbewahrung von Unterlagen, die bei privaten Unternehmen oder bei öffentlichen Einrichtungen im Zuge der Geschäftstätigkeit bzw. der Aufgabenerfüllung entstehen. Die Bestimmun¬gen der Norm gelten unabhängig von der physischen Beschaffenheit und der logischen Struktur der Unterlagen; sie umfassen daher ebenso herkömmliche Papierregistraturen wie die Verwaltung digitaler Dokumente mit Hilfe elektronischer Systeme. Der begleitende Internationalen Fachbericht (Technical Report) dient der Implementierung der Norm in die Praxis der Schriftgutverwaltung.
Definition „Record“
Englischsprachige Definition „Record“ (ISO 15489, Part 1):
“Information created, received, and maintained as evidence and information by an organisation or person, in pursuance of legal obligations or in the transaction of business. ”
Deutsche Übersetzung des Begriffs „Record“ (DIN 15489, Teil 1):
„Information, die erzeugt, empfangen und bewahrt wird, um als Nachweis einer Organisation oder Person bei rechtlichen Verpflichtungen oder zum Nachvollzug einer geschäftlichen Handlung zu dienen.“
Nach Auffassung des Autors, gilt für ein Record:
“Ein Record ist abgegrenzt und definiert durch seinen gesetzlichen und beruflichen Wert. Er ist ein beständiges, dauerhaftes, verbindliches und konsistentes Informationsobjekt, unabhängig von seinem physischen Format. Abhängig von den Inhalten, angereichert mit Zusammenhangs- und deskriptiven Informationen, ist ein Record durch eine eindeutige Kennzeichnung und seine Klassifikation bestimmt.“
Neben dem Begriff Record gibt es zahlreiche weitere Begriffe für elektronische Informationen wie Content, Documents, Media Assets und andere Informationsobjekte, die eine Abgrenzung von der Record in elektronischen Verwaltungssystemen notwendig machen. Records können daher nur durch ihre speziellen Eigenschaften definiert werden, die sie von anderen informationsobjekten unterscheiden. Die wichtigsten Eigenschaften sind:
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| · | Betriebswirtschaftlicher Wert |
| · | Gesetzlicher Wert |
| · | Kontext |
| · | Integrität |
| · | Unveränderbarkeit |
| · | Authentizität |
| · | Konstrollierte Metadaten |
| · | Konsistenz |
| · | Deklaration und Klassifikation |
| · | Aufbewahrungspflicht |
Definition „Records Management“
Die Diskrepanz zwischen der bedeutung der Begriffe „Record“ und „Document“ wird bei der Definition von Records Management noch deutlicher. Die Übersetzung lautet „Schriftgutverwaltung“ und macht es besonders im Umfeld elektronischer Records Management Systeme schwer von der Papierorganisation auf die virtuelle elektronsiche Welt mit deutlich mehr Möglichkeiten zu transponieren.
Englischsprachige Definition „Records Management“ (ISO 15489, Part 1)
“Field of management responsible for the efficient and systematic control of the creation, receipt, maintenance, use and disposition of records, including processes for capturing and maintaining evidence of and information about business activities and transactions in the form of records.”
Deutsche Übersetzung „Schriftgutverwaltung“ (DIN 15489, Teil 1)
„Als Führungsaufgabe wahrzunehmende effiziente und systematische Kontrolle und Durchführung der Erstellung, Entgegennahme, Aufbewahrung, Nutzung und Aussonderung von Schriftgut, einschließlich der Vorgänge zur Erfassung und Aufbewahrung von Nachweisen und Informationen über Geschäftsabläufe und Transaktionen in Form von Akten.“
Positiv ist der dabei der Ansatz, Records Management als Führungsaufgabe zu definieren. Dies macht die Bedeutung des Records Management deutlich. Problematisch ist dagegen die Übertragung „Schriftgut“, da diese an Papiergut denken läßt. Der Begriff „Akte“ ist häufig mit dem Begriff „Bürokratie“ assoziiert. Passender wäre eine neutralere Übersetzung als „Ordner“ gewesen.
Records Management weist eine Reihe typischer Eigenschaften auf, die es auch vom Dokumentenmanagement abgrenzen:
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| · | Abbildung von Aktenplänen und anderen strukturierten Verzeichnissen zur geordneten Ablage von Informationen, |
| · | Thesaurus- oder kontrollierte Wortschatz-gestützte eindeutige Indizierung von Informationen, |
| · | Verwaltung von Aufbewahrungsfristen (Retention Schedules) und Ver-nichtungsfristen (Deletion Schedules), |
| · | Schutz von Informationen entsprechend ihren Eigenschaften, z.T. bis auf einzelnen Inhaltskomponenten in Records, |
| · | Nutzung international, branchenspezifisch oder zumindest unternehmensweit standardisierter Meta-Daten zur eindeutigen Identifizierung und Beschreibung der gespeicherten Informationen |
Weitere Begriffe und Definitionen zum Records Management
Records Management ist zunächst einmal unabhängig von den Medien der Records und der Form der Verwaltung. Records Management kann auch mit einem „Zettelkasten“ betrieben werden. Electronic Records Management (ERM) bezieht sich auf die Strukturierungs-, Verwaltungs- und Organisationskomponente zur Handhabung von Aufzeichnungen. ERM ist nicht mit elektronischer Archivierung deutscher Prägung gleichzusetzen, obwohl viele Ansätze sich hier wiederfinden.
Ein Electronic Records Management System ist in erster Linie eine Anwendung für das Verwalten von elektronischen Records, obgleich es auch für die Verwaltung von physischen Records wie Papierdokumenten und Aktenordnern genutzt werden kann. Hierbei werden nur Einträge als Datensatz in der Datenbank des Records Management Systems gespeichert, die auf physische Ablageorte verweisen. Es handelt sich im Grundsatz um ein Registratur- oder Katalogsystem. Werden in einem Records Management System direkt gespeicherte elektronische Records zusammen mit Verweisen auf physische Records verwaltet, spricht man von einem hybriden Records Management. Letzteres ist notwendig, wenn es gilt, elektronische wie auch physische Records unter den gleichen Bedingungen und nach den gleichen Regeln zu verwalten, zu erschließen und zu vernichten. Besonders unter dem Gesichtspunkt der Vollständigkeit der Aufzeichnungen ist bei gemeinsamer Nutzung elektronischer und papiergebundener Dokumente ein hybrides Records Management unerlässlich.
Beim Records Lifecycle Management (RLM) handelt es sich um die Verwaltung des Lebenszyklusses nach der Dokumentenerstellung und vor der Langzeitarchivierung. Das Records Lifecycle Management beinhaltet in der Regel ein Dokumenten¬management System für die Erzeugung, Bearbeitung und Verwaltung von Dokumenten bevor diese zu einem Record deklariert und in das Records Management überführt werden. Ferner wird eine Archivierungskomponente genutzt, die die langfristige, unveründerbare Verfügbarkeit aller Records sicherstellt. Im RLM RLM wird das angebundene Archiv vom Records Management verwaltet, das gleichzeitig als Zugangskomponente für das Archiv dient.
Das Akronym EDRMS wird im englischen Sprachraum für ein kombiniertes „Electronic Document and Records Management System“ benutzt. Dieser integrative Ansatz, der die Verbindung von dynamisch ausgelegten Dokumentenmanagement-lösungen zusammen mit eher statischen Records Management und Archivsystemen verbindet, ist für eine durchgängige und konsistente Nutzung sinnvoll. EDRMS-Lösungen sind in der Regel auch als nachgeordnete oder integrierte Systeme mit Fach- und Office-Anwendungen verknüpft. Records Management wird so zum Bestandteil der Softwarelösungen, mit denen die Mitarbeiter ständig am elektronoschen Arbeitsplatz arbeiten. Direkt integrierte Lösungen bieten aus Prozesssicht, durch die Möglichkeit der automatischen Übernahme von Indexdaten aus dem Bearbeitungskontext und durch die Intergation in eine einheitliche Benutzeroberfläche erhebliche Vorteile gegenüber eigenständigen „Stand-alone“ Records Management Systemen.
Ausblick
Ein Grundproblem der Akzeptanz und Verbreitung liegt bereits in der Begrifflichkeit. Viele Informationsobjekte, die wir in Deutschland als Dokumente bezeichnen, sind von ihren Eigenschaften her im angloamerikanischen Gebrauch eigentlich Records. Der begriffliche Übergang von Dokument zu Record fällt manchmal auch im angloamerikanischen Sprachraum schwer. Dies liegt daran, dass Records heute bereits sehr früh beim Verfassen oder beim Empfang eines elektronischen Informationsobjektes entstehen können. E-Mails, Word-Dateien, Content von Webseiten, Inhalte von Teamrooms können auf Grund ihrer rechtlichen oder geschäftlichen Bedeutung sehr früh eine Record werden ohne dass dies dem Benutzer oder Empfänger voll bewusst ist. Lag das Records Management ähnlich wie die Verwaltung von Archiven früher in den Händen von Spezialisten, die erst am Ende des Lebenszyklus eines Dokumentes dieses in eine ordentliche Verwaltung überführten, ist heute jeder Empfänger von Nachrichten und jeder Ersteller von Dokumenten im Prinzip derjenige, der eine Entscheidung über „Record ja/nein“ treffen müsste. Dies ist in den meisten Organisationen kaum leistbar. Erschwerend kommt hinzu, dass sich der Wert der Information über die Zeit ändert. Ein heute wichtiges Dokument kann in Kürze überholt sein, ein als unwichtig angesehenes Dokument kann aber wiederum in ein paar Jahren eine besondere Wichtigkeit erlangen. Records müssen außerdem immer in ihrem Kontext, ihrem Verhältnis zu anderen Records und zu den jeweiligen Geschäftsprozessen stehen. Ein Record allein hat nur begrenzte Aussagekraft. Erst wenn es in der Sequenz der Geschäftstätigkeit mit anderen Records zusammen betrachtet wird, erschließt sich die Bedeutung. An dieser Stelle ist es übrigens unerheblich, ob wir von Records oder Dokumenten sprechen. Es geht um das grundsätzliche Verständnis vom Wert der Information und der durchgängigen Dokumentation der Geschäftstätigkeit.
Ein zweites Hindernis für Records Management ist die Architektur von Dokumentenmanagement- und Archivsystemen. Vorangestellt sei die simple Erkenntnis, dass Records Management nicht Archivierung ist. Elektronische Archive können Records Management sinnvoll bei der unveränderbaren Archivierung von Records und ihren Kontextinformationen unterstützen, aber Records Management ist vom Medium unabhängig und man kann im Prinzip selbst mit einem Zettelkasten zur Verwaltung von Aktenordnern Records Management betreiben. Records Management konzentriert sich auf die ordnungsgemäße Verwaltung von Informationsobjekten. Es hat nicht den Anspruch ein vollständiges elektronisches Dokumentenmanagement- oder gar Enterprise-Content-Management-System nachzubilden. Records Management ist eher eine Komponente solcher Systeme. Die Nutzung eines Records Management Systems, wie z.B. durch MoReq2, den europäischen Standard für elektronisches Records Management, definiert, kann über traditionelle Aktenpläne oder virtuelle Akten erfolgen. Beim Records Management moderner Prägung sind die Visualisierung und die Verwaltung sowie die Speicherung der Objekte selbst sauber getrennt. Auch eine aufwändige hierarchische Struktur der Verwaltung muss sich nicht dem Endnutzer präsentieren sondern kann sogar über eine einfache Suchmaske „a la Google“ mit nur einem Feld genutzt werden. Records Management bildet auch keine Geschäftsprozesse nach sondern klinkt sich immer dort ein, wo Informationsobjekte entstehen, die als Record verwaltet werden müssen, oder wo Records in einem Prozess zielgerichtet bereitgestellt werden sollen. Alleinstehendes Records Management traditioneller Prägung wird hier zukünftig durch integrierte Komponenten und Dienste abgelöst werden. Die Standardisierung von Metadaten zur Beschreibung der Records sichert dabei die übergreifende Nutzung in verschiedensten Anwendungen von der Textverarbeitung über E-Mail bis zu CRM und ERP.
Records Management muss und wird weitgehend automatisiert werden müssen, um den neuen Anforderungen an die Anwender, dem Informationswachstum und den rechtlichen Anforderungen an die Dokumentation elektronischer Prozesse gerecht werden zu können. (Kff)