Da in der heutigen Zeit wissenschaftliche Erkenntnisse, historische Dokumente und kulturelle Leistungen immer häufiger nur noch in digitaler Form vorliegen, muss man sich über die Probleme, die bei der Langzeitarchivierung elektronischer Informationen auftreten, verstärkt Gedanken machen. Neben dem physischen Verfall der Medien ist die schnelle Weiterentwicklung der Technik zum interpretieren der gespeicherten Informationen, und damit einhergehend das schnelle veralten von eingesetzter Technik, eine ernsthafte Bedrohung für den Informationserhalt. Organisationen, die sich mit der Archivierung von Informationen beschäftigen, müssen die Authentizität, Integrität, Vertraulichkeit und Verfügbarkeit digitaler Information sicherstellen und Vertrauenswürdigkeit nicht nur erlangen, sondern auch nach Außen darstellen können.
Die nestor-Arbeitsgruppe „Vertrauenswürdige Archive - Zertifizierung“ hat deshalb Kriterien zur Bewertung der Vertrauenswürdigkeit eines digitalen Langzeitarchivs in organisatorischer und technischer Sicht identifiziert und in einem Kriterienkatalog festgehalten. Die Erstellung des Katalogs erfolgte in enger Zusammenarbeit mit „Gedächtnisorganisationen“ und Produzenten von Information sowie weiteren Betroffenen und Experten, um eine hohe Praxistauglichkeit zu erreichen. Die funktionalen Entitäten und das Informationsmodell der OAIS Open Archival Information System (ISO 17421) wird so oft es geht als Grundlage zur Strukturierung des Kriterienkataloges genutzt, um eine gemeinsame Begriffsbasis zu erhalten.
Die Arbeitsgruppe hat nun auch die englische Übersetzung des nestor Kriterienkataloges für vertrauenswürdige digitale Langzeitarchive veröffentlicht. (SMe)
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| PROJECT CONSULT Kommentar:
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Das nestor-Projekt hat sich an einer ganzen Reihe von Initiativen beteiligt. Die Arbeitsgruppe „Vertrauenswürdige Archive“ hat dabei gleich mehrere schwierige Themen adressiert. „Vertrauenswürdigkeit“ ist eine Eigenschaft, die nicht nur bei Archiven sondern generell auch beim Thema Compliance eine Rolle spielt. Nicht erst das Archiv muss vertrauenswürdig sein sondern auch der Prozess in dem die zu archivierenden Objekte entstehen, bearbeitet und verwaltet werden bevor sie an das Archiv übergeben werden. Damit wäre der Ansatz vertrauenswürdiger Archive nicht nur für Museen, Bibliotheken und öffentlich-rechtliche Archive interessant sondern eigentlich auch für die Privatwirtschaft. Das Ergebnis der Arbeit, das jetzt auch in englischer Übersetzung vorliegt, kann sich sehen – es ist ein deutlicher Fortschritt zu den Vorgängern aus dem RLG-Umfeld festzustellen. Der Ansatz findet sich nicht erst bei nestor sondern ist ein Baustein in einer internationalen Initiative für „Trusted Digital Repositories. Als Vorgängerdokument eudn Referenzen werden von der RLG Research Libraries Group die Dokumente „Trusted Digital Repositories Attributes and Responsibilities: An RLG-OCLC Report. Mai 2002; http://www.rlg.org/legacy/longterm/repositories.pdf; und die Checkliste der RLG „RLG Audit Checklist for the Certification of Trusted Digital Repositories“ (31.08.2005) sowie Vorschläge der DINI-Arbeitsgruppe (Deutsche Initiative für Netzwerkpublikation; Elektronisches Publizieren, DINI-Zertifikat für Dokumenten- und Publikationsserver) zitiert. Die nestor-Initiave fügt sich in dieses internationale Rahmenwerk ein. Es kombiniert den Ansatz von Kriterienlisten mit der Idee eines Zertifizierungsverfahrens wie bei DINI. Zertifizierung klingt immer gut da Zertifizierung Sicherheit und natürlich auch Vertrauenswürdigkeit suggeriert. Entscheidend ist immer die Frage, was wird zertifiziert: Produkte? Der Einsatz von Produkten in einer Installation? Die gesamte Umgebung einer Installation einschließlich Richtlinien, Prozessen und Personal? Die Mitwirkenden am Dokument finden sich übrigens auch in zahlreichen anderen Initiativen wieder (häufig die gleichen Namen und die gleichen Institutionen in den unterschiedlichsten Projekten im Themenumfeld, aber auch in sich thematisch überschneidenden Projekten). Auch bei diesem Dokument lag der Schwerpunkt auf Bibliotheken, großen Archiven, Universitäten und öffentlich-rechtlichen Institutionen. Der nestor-Kriterien-katalog (derzeit in Version 8, die längere Zeit zur Diskussion im Internet stand) soll Grundlage der Zertifizierung werden. Die Kriterien im Textteil sind sehr allgemein gehalten und referenzieren eine Vielzahl anderer Projekte mit ähnlichen Themenstellungen. Die Checkliste sorgt dafür, dass man nichts vergisst - aber etwas Überprüfbares oder gar Zertifizierbares findet sich dort kaum. Immerhin stellt das Dokument eine gute, sozusagen „high-level“ Anleitung dar, wie mit Archiven zukünftig umzugehen ist. International gibt es ähnliche Initiativen, die sich übrigens auch an OAIS bzw. der ISO 17421 orientieren. Es muss sich nun zeigen, ob die Ideen für ein vertrauenswürdiges Archiv aus Deutschland auch international Anerkennung finden. Die englische Übersetzung ist hierfür der Schlüssel. Immerhin wurde die Förderung von nestor verlängert, so dass das Projekt die Chance hat seine Ideen auch weiterhin in internationale Initiativen einzubringen. Dieser Tage werden bei einem Arbeitstreffen auch die bisherigen Kommentare und Reaktionen wie z.B. der RLG-Arbeitsgruppe in Chicago diskutiert. Das Thema vertrauenswürdige Archive wird sicher auch Gegenstand der Europäischen Konferenz zum Erhalt digitaler Ressourcen am 20. und 21. April 2007 in Frankfurt sein. Spannend wird es werden, wie das Zertifizierungsverfahren aussehen soll – und ob es sich angesichts anderer Initiativen durchsetzen wird. (Kff)