20090226 (Teil 1) \  Gastbeiträge \  Beweisqualität elektronischer Dokumente
Beweisqualität elektronischer Dokumente
Gastbeitrag von Dr. Ivo Geis, Rechtsanwalt  E-Mail: geis@ivo-geis.de  
Website:
http://www.ivo-geis.de 
1.0    Einleitung
Die elektronische Dokumentation wächst ständig. Zwei Ursachen treiben diese Entwicklung: die Vernetzung der Unternehmen durch die E-Mail-Kommunikation und die Transformation der Papierdokumente in elektronische Dokumente. Das elektronische Dokument ist in das Zivilrecht durch die Rechtswirksamkeit der elektronischen Erklärung nach dem Grundsatz der Formfreiheit integriert. Die hierdurch entstehenden rechtswirksamen elektronischen Dokumente unterliegen im Rechtsstreit der freien Beweiswürdigung des Gerichts, die durch die Integrität des elektronischen Dokuments während der elektronischen Archivierung bestimmt wird. Für diese Integrität sprechen die Grundsätze ordnungsmäßiger Archivierung, die im Handelsrecht und Steuerrecht entwickelt worden sind und einen allgemein gültigen Wert haben (2.0). Sind die Dokumente mit einer dem Signaturgesetz entsprechenden qualifizierten elektronischen Signatur des Ausstellers versehen, so ist das elektronische Dokument einer Urkunde gleichgestellt (3.0.). In der Praxis der E-Mail-Kommunikation hat sich dieses Sicherheitsverständnis nicht durchgesetzt, sondern ein Verständnis, dass wenig beweissichere Techniken ausreichend sind (4.0).
2.0    Archivierung elektronischer Dokumente und
        Beweisqualität
Die Qualität der elektronischen Archivierung (2.1) entscheidet über deren Beweisqualität (2.2).
2.1    Grundsätze der ordnungsmäßigen Archivierung
Das Bundesfinanzministerium hat mit den „Grundsätzen zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen“ (2.1.1) und mit den „Grundsätzen ordnungsmäßiger DV-gestützter Buchführungssysteme“ (2.1.2) die Anforderungen an die Archivierung elektronischer Dokumente bestimmt.  Das Transformieren von Papierdokumente durch Scannen in elektronische Dokumente stellt besondere Anforderungen, dass alle Informationen übernommen werden (2.1.3).
2.1.1 Grundsätze zum Datenzugriff und zur
        Prüfbarkeit digitaler Unterlagen
Um den Datenzugriff zu ermöglichen, muss nach § 147 Abs. 2 Nr. 2 AO sichergestellt sein, dass die Daten während der Dauer der Aufbewahrungsfrist jederzeit verfügbar sind, unverzüglich lesbar gemacht und maschinell ausgewertet werden können. Damit sind originär digitale Unterlagen auf  maschinell verwertbaren Datenträgern während der gesamten Aufbewahrungsfrist zu archivieren. Nach Abschnitt III.1 Satz 2 GDPdU sind originär digitale Unterlagen die in das Datenverarbeitungssystem in elektronischer Form eingehenden Daten und die im Datenverarbeitungssystem erzeugten Daten;  maschinell verwertbare Datenträger sind maschinell lesbare und auswertbare Datenträger. Wenn originär digitale Unterlagen auf maschinell verwertbaren Datenträgern zu archivieren sind, dann dürfen sie nicht, so die Schlussfolgerung des Bundesfinanzministeriums, ausschließlich in ausgedruckter Form oder auf Mikrofilm aufbewahrt werden. Im Ergebnis bedeutet dies, dass der Steuerpflichtige zur elektronischen Archivierung der E-Mail-Kommuni-kation verpflichtet ist.
2.1.2 Grundsätze ordnungsmäßiger DV-gestützter
        Buchführungssysteme
Mit der Aufbewahrung entsprechend den  “Grundsätzen ordnungsmäßiger DV-gestützter Buchführungssysteme” (GoBS), soll die elektronische Dokumentation gegen Änderungen geschützt werden. Zulässig und damit ordnungsmäßig im Sinne der handelsrechtlichen und steuerrechtlichen Aufbewahrungsvorschriften sind alle Speichermedien: die CD-Rom, die nicht wiederbeschreibbare Platte, die wiederbeschreibbare Platte und das Speicherband. Entscheidend für die Ordnungsmäßigkeit sind die hardwaremäßigen, softwaremäßigen und organisatorischen Sicherheitsfunktionen, die für das jeweilige Speichermedium gesondert ausgeprägt sein können. Unter den Speicherformaten gilt jedenfalls für Textdateien das Format PDF/A als die ideale Lösung, da dieses Format eine ausgeprägte Integritätsfunktion hat. Eine Konvertierung von Worddateien in PDF/A-Dateien ist zulässig, da der Inhalt der Datei nicht geändert wird. Um den Zugriff auf das Dokument sicherzustellen, muss das Dokument mit einem Index versehen sein, unter dem es aufgefunden werden kann. Diese Sicherheit des Zugriffs ist bei den Massen archivierter E-Mails ein kritisches Problem. Hierfür werden Lösungen mit dem System der Metadaten angeboten.
2.1.3 Die Transformation von Papierdokumenten in
        elektronische Dokumente
Der Archivierungsvorgang beginnt mit dem Scannen der Papierdokumente und setzt sich in die Phase der Aufbewahrung fort. Entscheidend für den Scannvorgang ist, dass die Informationen des Papieroriginals in die elektronische Form übernommen werden. Dies soll nach den GoBS (Textziffer VIII. b Nr. 1) durch eine Organisationsanweisung sichergestellt werden, in der geregelt ist wer scannen darf, zu welchem Zeitpunkt gescannt wird, ob eine bildliche oder inhaltliche Übereinstimmung mit dem Original erforderlich ist, wie die Qualitätskontrolle auf Vollständigkeit und wie die Protokollierung von Fehlern zu erfolgen hat.
2.2    Ordnungsmäßige Archivierung als Indiz für die
        Beweissicherheit
Durch die Archivierung originärer elektronischer Dokumente nach den Anforderungen der Ordungsmäßigkeit werden Indizien für die Integrität und damit die Beweissicherheit der elektronisch archivierten Dokumente begründet. Durch die Technologie der Speichermedien, der Speicherformate, der Metadaten und des Scannens entsteht ein technisch und organisatorisch komplexes Archivierungssystem. Wegen dieser Komplexität sollte regelmäßig das System geprüft und das Ergebnis der Prüfung dokumentiert werden, um in einem Rechtsstreit mit dieser Dokumentation die Ordnungsmäßigkeit der Archivierung und damit die Integrität des streitigen Dokuments beweisen zu können. Hierdurch besteht Beweissicherheit im Rahmen der freien Beweiswürdigung. Urkundenqualität wird nur erreicht, wenn der Aussteller seine elektronische Erklärung mit einer qualifizierten elektronischen Signatur abgegeben hat.
 
3.0     Der Beweiswert elektronischer Signaturen
Das Justizkommunikationsgesetz vom 28.10.2004, das am 1. April 2005 in Kraft getreten ist, honoriert mit § 371a ZPO qualifizierte elektronische Signaturen für elektronische Dokumente mit höchster Beweisqualität (3.1). Diese beweisrechtliche Qualität hat der qualifizierten elektronischen Signatur nicht zum Durchbruch verholfen. In der Massenkommunikation per E-Mail und durch den Click auf Websiten begnügen sich die Anwender mit geringwertigeren Sicherheitstechniken (3.2).
3.1    Die Beweisqualität der qualifizierten
        elektronischen Signatur
Für elektronische Dokumente gelten nach § 371a Abs. 1 S. 1 ZPO die Vorschriften zur Beweiskraft privater Urkunden entsprechend. Damit sind diese Dokumente zwar Objekte des Augenscheins, begründen aber in entsprechender Anwendung des § 416 ZPO vollen Beweis dafür, dass die in ihnen enthaltenen Erklärungen von dem Aussteller abgegeben und damit authentisch sind. Diese Regelung gilt für qualifizierte elektronische Signaturen angezeigter Zertifizierungsdienste (§ 4 Abs. 3 SigG)  und akkreditierter Zertifizierungsdienste (§ 15 SigG). Für akkreditierte Zertifizierungsdienste gilt eine weitere beweisrechtliche Vergünstigung. Der beweispflichtigen Partei kommt die Sicherheitsvermutung des § 15 Abs. 1 Satz 4 SigG zugute. Nach dieser Vorschrift wird im Wege des Anscheins vermutet, dass die durch die Bundesnetzagentur bestätigte technisch-organisatorische Sicherheit des Zertifizierungsdienstes für die qualifizierte elektronische  Signatur besteht.
3.2     Die Beweisqualität geringerer
         Sicherheitstechniken
In der ökonomischen Wirklichkeit des Internets ist ganz offenbar Urkundenqualität nicht ein gesuchter Standard rechtsgeschäftlichen Handelns. In der Massenkommunikation per E-Mail werden einfache elektronische Signaturen nach § 2 Nr 1 SigG wie die Identitätsangabe und die eingescannte Unterschrift verwendet. Diese Signaturen weisen auf eine bestimmte Person hin und haben damit eine Authentizitätsfunktion. Sie sichern aber nicht den Text und machen damit nicht Verfälschungen erkennbar. Dieser Mangel an Integrität kann durch die elektronische Archivierung nach den Grundsätzen der Ordnungsmäßigkeit ersetzt werden, wie zuvor unter Ziffer 2.0. ausgeführt. In wenigen Fällen setzen Unternehmen im Geschäftsverkehr mit Kunden und Lieferanten fortgeschrittene elektronische Signaturen nach § 2 Nr. 2 SigG ein. Für den Beweiswert dieser Signaturen spricht, dass sie von einem Zertifizierungsdienst ausschließlich dem Signaturschlüssel-Inhaber zugeordnet sind und damit seine Identifizierung ermöglichen. Für die Integrität spricht, dass sie mit Mitteln erstellt werden, die der Signaturschlüssel-Inhaber unter seiner alleinigen Kontrolle halten kann, mit den Daten, auf die sie sich beziehen, verknüpft sind und damit eine nachträgliche Veränderung der Daten erkennbar machen.
4.0    Ergebnis:
        ein neues Verständnis der Beweissicherheit
Der Gesetzgeber bietet mit der qualifizierten elektronischen Signatur Urkundenqualität und damit höchste Beweisqualität. Dieser Standard hat in der Welt der elektronischen Kommunikation nur geringe Resonanz gefunden. Die elektronische Massenkommunikation ist durch die E-Mail-Kommunikation mit Identitätsangaben geprägt, die als einfache elektronische Signaturen nach § 2 Nr. 1 SigG nur geringe Beweisqualität haben. Es scheint für das Internet typisch zu sein, dass diese beweisrechtliche Schwäche die Nutzung für private und geschäftliche Zwecke nicht einschränkt.
 
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