20090226 (Teil 1) \  Gastbeiträge \  Die digitale Patentakte: Prozessunterstützung bei der elektronischen Patentverwaltung
Die digitale Patentakte: Prozessunterstützung bei der elektronischen Patentverwaltung
Gastbeitrag von Sabine Lonien, Unit Manager EIM und Management Consultant, SEVEN PRINCIPLES  E-Mail sabine.lonien@7p-group.com 
Webseite : www.7p-group.com    
Sabine Lonien war von 1998 bis 2000 Mitglied im
  
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OJECT CONSULT Beraterteam.
Im Zuge fallender Transport- und Kommunikationskosten und dem Abbau von Handelsbarrieren stehen Unternehmen in einem globalen Wettbewerb, der immer stärker wird. Gerade deutsche Unternehmen stehen auf Grund vergleichsweise hoher Lohnkosten unter signifikantem Wettbewerbsdruck. Innovation und Differenzierung haben in diesem Wettbewerb eine entscheidende Bedeutung. Forschung & Entwicklung ist somit eine zentrale Aufgabe für Unternehmen. Eine effektive und effiziente Verwaltung von Patenten kann dabei helfen, Innovationsprozesse zu erleichtern und die Innovationsrente der Unternehmen zu schützen. Die Patentverwaltung ist also ein Beispiel für die Notwendigkeit eines Dokumentenlogistikansatzes. Bisher ist diese aber in den meisten deutschen Unternehmen sehr ineffektiv: Fördergelder der EU und der Bundesregierung bleiben meist ungenutzt, die Kooperation mit Universitäten funktioniert schlecht und ein Großteil der Patenanträge scheitert, weil gleichartige Patente bereits bestehen. Zudem wird eine Vielzahl von Erfindungen mit großem Potenzial nicht angemeldet. Der Patentanmeldeprozess ist in vielen Unternehmen ein sehr langwieriger, interner Prozess, auch, weil die Patentakten in Papierform oft lange interne Transportwege durchlaufen müssen. Es besteht deshalb dringend die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes zur Patentverwaltung.
Dokumentenlogistik – notwendig für eine ganzheitliche Patentverwaltung
Um im internationalen Wettbewerb weiterhin bestehen zu können, zwingen die vergleichsweise hohen Arbeitskosten in Deutschland eine Vielzahl deutscher Unternehmen zu Produkt- und Prozessinnovationen. Frischer Wind in Forschung und Entwicklung wird somit zu einer entscheidenden Kernkompetenz in vielen Branchen in der deutschen Industrie. Bisher behindert aber gerade in Deutschland eine Reihe von Unzulänglichkeiten die Schaffung von Innovationen. So bringt Deutschland im Vergleich zu den angelsächsischen Staaten relativ wenige Patente hervor. Zudem erfolgen Forschung und Entwicklung in deutschen Unternehmen oftmals ohne einen vorherigen Abgleich mit den bestehenden Patentendatenbanken. Die Folge sind signifikante Fehlinvestitionen. Auch werden von der Bundesregierung oder der Europäischen Union gezahlte Forschungssubventionen von deutschen Unternehmen kaum beantragt. Unternehmen entgehen dadurch beträchtliche staatliche Förderungen. Außerdem findet kaum Ideenaustausch mit anderen Unternehmen oder den Forschungsbereichen der Universitäten statt. Synergieeffekte bleiben weitgehend aus.
In Bezug auf die Innovationsfähigkeit von Unternehmen und die langfristige Gewinnoptimierung sind zwei Fähigkeiten von besonderer Bedeutung: Neben dem Vermögen, Innovationen zu schaffen und umzusetzen müssen diese auch gegen Imitationen geschützt werden. Eine effiziente – heißt auch schnelle - und effektive Patentverwaltung im Unternehmen muss beiden Ansprüchen Rechnung tragen.
Mängel in der gegenwärtigen Patentverwaltungspraxis
Grafik 1 zeigt die hohe Komplexität des derzeitigen, zum Großteil papiergebundenen Anmeldungsprozesses, die zu einer hohe Anfälligkeit für Prozessfehler führt und die Anmelde- und Bearbeitungsgeschwindigkeit für Patente vermindert. Das kann zu einer Schmälerung der Innovationsrente führen.
 
 
 
 
 
 
Abb. 1: Herkömmlicher Patentanmeldungsprozess
Durch den Gebrauch physischer Papier-Dokumente wird auch eine Parallelisierung der Bearbeitungsprozesse und folglich deren Beschleunigung erschwert. Das Vorliegen von mehreren Akten zu einem Thema an verschiedenen Orten auf unterschiedlichen Trägern zwingt zur parallelen Pflege und Änderung der Dokumente. Dies erhöht das Risiko unvollständiger, unterschiedlicher und fehlerhafter Aktenversionen. Das Bewegen und Archivieren der physischen Akten verursacht außerdem erhöhte Personalkosten und reduziert die Bearbeitungsgeschwindigkeit – zwischen 15 und 25 Prozent der Arbeitszeit werden allein für Ablage und Verwaltung „verbraucht“.
Die digitale Patentakte als ganzheitlicher Dokumentenlogistikansatz in der Patentverwaltung
Beim Einsatz einer digitalen Patentverwaltung wird der beschriebene Prozess grundsätzlich beibehalten. Er umfasst weiterhin neben der Erfindungsmeldung das Weiterleiten an die Patentabteilung, das Prüfen der Patentierungsmöglichkeiten sowie Recherche und Erarbeitung eines Anmeldeentwurfs durch den Patentanwalt. Danach erfolgen das Abstimmen mit den Fachabteilungen und das Einreichen des Patentantrages beim Patentamt. Parallel zu diesem Prozess kann die Weiterbearbeitung des Patents durch die Fachabteilungen erfolgen. Anders als bei rein papiergebundenen Prozessen wird direkt nach dem Empfang und der Sortierung der Erfindungsmeldung in der unternehmensinternen Poststelle die Umwandlung in ein elektronisches Dokument ausgelöst. Die entsprechenden Dokumente werden dann in digitaler Form über einen integrierten Workflow an den verschiedenen Arbeitsplätzen bereitgestellt. Alle weiteren Prozessschritte inklusive Archivierung und Ablage aktenbezogener Emails erfolgen nun in elektronischer Form.
Voraussetzung für die digitale Patentverwaltung ist ein Dokumenten Management System (DMS) als Basisplattform (siehe Grafik 2). Das DMS verwaltet sämtliche aktenbezogene Anträge, Erfindungsmeldungen, Emails, sowie alle anderen aktenbezogenen Dokumente. Eine Patentdatenbank wird direkt mit dem DMS gekoppelt. An das DMS ist ein Dokumentenspeicher angeschlossen, der die Indexwerte der Dokumente verwaltet und die Dokumente zu einem definierten Zeitpunkt archiviert. Über eine DMS-Oberfläche (webbasiert oder als fat-client) sind die Patentakten anschließend von den Arbeitsplätzen abrufbar und bei Berechtigung zu bearbeiten. Während die Einzelheiten der Digitalisierung der unternehmensinternen Prozessschritte vom Unternehmen selbst festgelegt werden, setzt die Verbindung zu den Patentbehörden allerdings die Kompatibilität der beteiligten Systeme voraus.
 
Abb. 2: Funktion eines DMS im Patentanmeldeprozess
Rechtliche Implikationen für die digitale Patentverwaltung
Bei den aufgezeigten Prozessen der digitalen Patentverwaltung ergibt sich aus den rechtlichen Rahmenbedingungen eine Reihe von Voraussetzungen, die beim Umsetzen der Prozesse berücksichtigt werden müssen. So müssen einige Dokumente in physischer Form für den Zweck der Beweislegung archiviert werden. Zudem ist ein revisionssicheres Archivieren steuerlicher Dokumente entsprechend der Erfordernisse des HBG und der Abgabenordnung erforderlich. Die Einhaltung der Grundsätze ordnungsmäßiger DV-gestützter Buchführungssysteme ist ebenfalls notwendig.
Bewertung einer digitalen Patentverwaltung
Die digitale Patentverwaltung bietet entscheidende Wettbewerbsvorteile für das Unternehmen: Der Zeitgewinn beim digitalen Abruf der Patentakten und der Parallelisierung von Arbeitsprozessen durch Mehrfachzugriff beschleunigt die Arbeitsprozesse und führt zu einer Minderung der Personalkosten. Der Patenschutz ist auf diesem Wege schneller gewährleistet und erhöht die Innovationsrente für die Unternehmen. Zudem sind die Patentakten schneller auffindbar, wodurch die kostenintensive Suche weitgehend entfällt. Weiterhin steigt die Reaktionsfähigkeit bei der Anfrage von Kunden, Behörden oder den internen Abteilungen. Die Reduktion auf ein einzelnes, elektronisches Ablagesystem verringert deutlich das Fehlerrisiko und schafft eine erhöhte Ablagetransparenz. Überdies setzt die Digitalisierung teure Bürofläche frei, auf der sich sonst Aktenberge stapeln. Dennoch stehen den vielen Vorteilen eines digitalen Prozesses auch einige Einschränkungen entgegen: Viele Mitarbeiter bringen der digitalen Patentverwaltung bislang nur geringe Akzeptanz entgegen. Bei der Digitalisierung der Prozessschritte unter Einbezug externer Akteure kann es außerdem zu Kompabilitätsproblemen kommen. Aufgrund der mangelnden Beweisfähigkeit digitaler Dokumente sind die Kosteneinsparungsmöglichkeiten begrenzt, die gängigen Compliance-Richtlinien in vielen Fällen noch eine physische Archivierung fordern. Die Zeit des Papiers ist also noch nicht vorbei.
Ausblick
Das Digitalisieren der Patentverwaltung bietet einen möglichen Ansatz für Verbesserung. Trotz rechtlicher Bedingungen und den entsprechenden Implikationen für die Umsetzung einer digitalen Patentverwaltung ergibt sich eine Reihe von gewichtigen Vorteilen. In den nächsten Jahren ist zudem zu erwarten, dass die angesprochenen Restriktionen im Zuge des technologischen und sozialen Wandels in ihrer Bedeutung abnehmen, dafür aber insgesamt „elektronikfreundlicher“ werden. Folglich ergibt sich für die digitale Patentverwaltung ein noch größeres Potenzial. (SL)
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