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ECM im Zeichen verbindlicher Geschäftskommunikation
Gastbeitrag von Jens Büscher, Geschäftsführer, DocuPortal E-Mail jens.buescher@docuportal.de  
Webseite:
www.docuportal.de 
Eintrag Wikipedia: „Am 19.02.2011 wurde das letzte Mal von einem Mitarbeiter eines Unternehmens die Aussage: ‚Diese Rechnung haben wir nie erhalten‘ getätigt.“
Trotz moderner IT-Technologien durch E-Mail, Fax, Dateisysteme, Schnittstellen, Protokolle und anderen Transfermedien besteht bis heute eine Intransparenz für übergreifende Geschäftskommunikation.
Obwohl alle Technologien zur Verfügung stehen, treffen wichtige E-Mails, wie Rechnungen oder Beschwerden, angeblich nie beim Empfänger ein. Dateien werden beliebig überschrieben, Änderungen sind nicht nachvollziehbar und strukturierte Informationen sind nicht speicherbar. Vorgänge und Dateien sind nicht zu finden. Zuständigkeiten in Unternehmen werden ad hoc definiert oder oftmals unberechtigt geändert. Unternehmens- und behördenübergreifende Prozesse sind kaum möglich und erst recht nicht nachvollziehbar. Die Industrie ist verärgert über Informationen wie Produktionsdaten oder technische Zeichnungen, die ohne Absicherung oder Kontrolle der Leserechte meistens in asiatischen oder osteuropäischen Ländern via Industriespionage fremdverwertet werden.
Gerade in der aktuellen Wirtschaftskrise gönnen sich viele Unternehmen einen Luxus an Intransparenz und Datei- und Informationschaos. Viele Probleme werden durch Enterprise Content Management als Insellösung in Unternehmen und Konzernen gelöst. Vor allem der untere Mittelstand sieht bis heute keinen Einsatzbedarf oder hat nicht die notwendigen Investitionsmittel für ECM-Systeme. Gerade in diesem Bereich entstehen unglaubliche wirtschaftliche Schäden durch fehlende Nachweise von Geschäftskorrespondenz. Das gilt nicht nur für die Geschäftspartner untereinander, sondern natürlich auch für die rechtliche Nachvollziehbarkeit.
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, bedarf es im ECM eines neuen Meilensteins. Das Erstaunliche ist nur -  er wird derzeit nicht von den Unternehmen geprägt!
Europaweit könnten an Stelle der sonst visionär treibenden Kraft der Unternehmen jetzt Behörden diesen Meilenstein mit Vorbildcharakter etablieren. Es geht hierbei um verbindliche und nachvollziehbare Geschäftskommunikation zwischen Personen, Unternehmen und Behörden, sowie um die Weitergabe von ganzen digitalen Akten und die Transparenz zu deren Verbleib und Lebenslauf.
Und so kommt es, dass durch die noch kaum bekannte EU Dienstleistungsrichtlinienverordnung (EU-DLR) Behörden europaweit auf einmal innovativ auf die Einführung von elektronischen Mechanismen wirken, welche die Industrie eigentlich schon längst hätte etablieren müssen. Über die EU-DLR werden Geschäftsvorgänge transparent, sicher und nachvollziehbar im Rahmen von definierten Prozessen durchgeführt. Leider gehen die bisherigen Konzepte für die Einhaltung der EU-DLR nicht weit genug, zudem ist der Zeitraum für die Umsetzung der EU-DLR so irreal kurz gehalten, dass eine durchdachte Umsetzung kaum möglich ist.
Natürlich gibt es auch für Unternehmen innovative Konzepte für nachvollziehbare Geschäftsvorgänge. Ebenso trägt das Konzept der neuen DE Mail zur Vereinfachung der rechtssicheren Kommunikation bei.
Diese Konzepte weisen trotzdem derzeit noch viele Schwächen auf.
Die bisher betrachteten Systeme, z.B. aus dem EU-DLR Umfeld, sind deutlich erkennbar von Technikern entwickelt und entsprechend benutzerfeindlich. Das Ziel muss es sein, dass auch ein älterer Bürger oder Mitarbeiter eine digitale Akte erzeugen und benutzen kann, ohne Experte zu sein. Eine digitale Akte umfasst viele Inhalte, beispielsweise viele Dateien, soll sich aber für die weiteren Ausführungen als eine einzige Datei darstellen. Die digitale Akte wird über einen Client (Web oder Anwendung) optisch entpackt und nach der Bearbeitung wieder zu einer gesicherten Datei, der digitalen Akte, zusammengeführt. Dazu muss beispielsweise ein kostenfreies Benutzerinterface geschaffen werden, welches sich möglichst – analog Adobe Reader – weltweit gleichartig verwenden lässt.
Desweiteren konzentrieren sich die betrachteten Systeme zu sehr auf nur ein Transfermedium, beispielsweise E-Mail. Einer digitalen Akte muss es gleichgültig sein, ob sie über E-Mail, USB Stick, Netzlaufwerke, das Internet mit seinen Möglichkeiten oder über Workflows eines Enterprise Content Management Systems transferiert werden. Wichtig ist die Integrität der digitalen Akte. Sie darf nur von eindeutig identifizierten Personen aus einem weltweit standardisierten Verzeichnis im Rahmen von Rechten gelesen oder bearbeitet werden können. Durch die Unabhängigkeit von einem Transfermedium lässt sich eine digitale Akte somit Offline auf dem Notebook bearbeiten, beispielsweise eine Patienten- oder Projektakte.
Genau hier ist einer der neuen Meilensteine des Enterprise Content Management zu sehen, und zwar auf vielfältige Weise:
Standard ECM- oder Records Management-Funktionen sind Bestandteil einer digitalen Akte. So enthält diese nicht nur die Verlaufsinformationen und Aufbewahrungsfristen sondern beispielsweise auch Berechtigungen, Historie und Versionierung. Damit lassen sich Änderungen an Dokumenten rechtlich nachvollziehen. Durch die Definition des Umfangs der API zu einer digitalen Akte werden erstmals von Experten aus Behörden und der Wirtschaft verbindlich die Mindestdefinitionen von ECM- und Records Management-Funktionen bestimmt. Alle darüber hinaus gewünschten Funktionen sind weiterhin der Ausführung durch die Softwareanbieter überlassen.
Daraus ergibt sich zudem, dass eine digitale Akte nicht den Prozess vorgibt oder sich nach Organisationsstrukturen richtet, sondern lediglich ein Protokollmedium für den Inhalt darstellt und den nächsten Empfänger der Akte definiert.
Dadurch werden digitale Akten ein zentraler neuer Bestandteil einer Enterprise Content Management Software oder anderer Systeme wie ERP oder CRM. Deren Anbieter nutzen eine einheitliche API, um auf digitale Akten zugreifen zu können. Die API regelt letztendlich den Zugriff auf den Inhalt der Akte und koordiniert das Speichern von Statusinformationen zu einer Akte in zentralen Online-Verzeichnissen – beispielsweise für den Status „Gelesen“ – und übergibt die digitale Akte an eine andere Person oder Organisation.
Die ECM-Anbieter können, alternativ zum Standard-Client, im Rahmen von Rechten via API auf die Inhalte der digitalen Akte über das Interface des ECM-Anbieters zugreifen, Änderungen eintragen und den nächsten Empfänger festlegen. Gerade hier  bieten sich Workflow-Komponenten an. So kann eine digitale Akte durch die einzelnen Workflows der Behörden und Unternehmen wandern und ist unabhängig von einem speziellen Workflow-Standard. Es ist somit auch unerheblich, ob die digitale Akte ohne Workflow via E-Mail durch ein Unternehmen wandert oder ob die Akte zwischendurch Bestandteil eines von einem ECM-System gesteuerten Workflow war. Wichtig ist: Die betreffenden Personen können über ein zentrales Online-Verzeichnis nachvollziehen, wo sich der Vorgang gerade befindet und welche Verlaufswege er genommen hat. Unternehmens- und behördenübergreifend. Das zentrale Online-Verzeichnis stellt zudem Vertretungsregelungen oder den Zugriff für rechtlich angeordnete Durchsuchungsmaßnahmen durch Sicherheitsorgane der Länder sicher.
Die Technologien sind bereits vorhanden: Digitale Signaturen, Verschlüsselungstechnologien, Cloud Computing für Massen-Storage, Suchtechnologien, DRM-Technologien, Workflows, Transfermedien, Verzeichnisdienste, digitale Ausweise der Bürger oder Signaturkarten. Dazu kommen Standards, um Inhalte komprimiert und strukturiert wieder in einer einzigen Datei zu bündeln (analog OpenXML, OpenDocument, nur dass diese Dateien eine Untermenge der digitalen Akte wären).
Jetzt sollte es an der Zeit sein, alle Technologien zu bündeln und eine neue Ära der digitalen Geschäftskommunikation aufzubauen. Gerade die nächsten Monate werden zeigen, wie wichtig die rechtliche Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen und Dokumenten nicht nur innerhalb von Unternehmen ist, sondern auch in der übergreifenden Geschäftskommunikation. Angefangen von Banken, über Behörden bis hin zu kleinen Unternehmen und den Bürgern. Für eine echte Chance darf dieser Meilenstein nicht durch Kosten und Komplexität erschlagen werden. Sie muss über Motivation durch Einfachheit und Akzeptanz durch Sicherheit gewinnen.
 
 
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