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Microsoft, OOXML, ISO, DIN und ein kleiner Skandal
Office Open XML ist ein auf XML basierendes Dateiformat von Microsoft für Büroanwendungspakete, das als offener Standard den problemlosen Daten- und Dateienaustausch ermöglichen soll. Der Standard wurde von dem technischen Komitee 45 (TC45) der Ecma International anerkannt und wird bereits im 2007 Microsoft Office System verwendet. Der DIN Ausschuss hat am 21. August 2007 Open XML mit großer Mehrheit für die IS0 Zertifizierung empfohlen. (SMe/Rko)
   
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Microsoft Corporation
Stammsitz:
Redmond / USA
GF/CEO/MD:
Steven A. Ballmer
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ECM, DMS, Col, WCM, Wf
DMS Expo
Halle 7, Stand D 061 / E 060
 
 
 
 
  
PROJECT CONSULT Kommentar:
Das ist schon ein starkes Stück. Ein - wenn auch großer - Hersteller versucht seinen eigenen XML Standard für Dokumente mit zweifelhaften Methoden bei der ISO Abstimmung durchzusetzen, obwohl es seit Jahren einen Standard gibt, der bereits im Markt eingeführt ist. Auch mit XPS kontra PDF gibt es einen ähnlichen Anlauf. Ende August hatte sich der Ausschuss beim Deutschen Institut für Normung (DIN) mit großer Mehrheit für die Übernahme von Microsofts Dokumentenformat Office Open XML (OOXML) ausgesprochen. Das Verfahren war allerdings dubios. Nachdem die European Computer Manufacturers Association (ECMA) im Dezember 2006 OOXML als eigenen Standard anerkannt hatte, erhielt das DIN einen Antrag auf ein beschleunigtes "Fast Track"-Verfahren für das Dokumentenformat. Noch in 2006 wurde in Windeseile und ohne besonders spezielle Information über die Medien eine Arbeitsgruppe initiiert. Der zuständige Obmann der Arbeitsgruppe nahm neben IBM und Sun fast nur Microsoft-lastige Vertreter in den Arbeitskreis auf. Dazu gehören das Microsoft-Lizenzhaus PC-Ware,  OpenLimit, die für Microsoft Signaturlösungen entwickeln, CIT sowie Dialogika, das für Microsoft an einem "Open-XML-Translator" arbeitet. Aus dem Behördenumfeld und dem Sektor E-Government durften das frühzeitig Windows Vista testende niedersächsische Justizministerium, der kommunale norddeutsche Dienstleister Dataport, die Kommanditgesellschaft Bremen Online Services, die Hamburger Finanzbehörde, das Auswärtige Amt sowie das Bundesinnenministerium Vertreter schicken. Mit dabei war auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB), der 2002 einen Rahmenvertrag über den Erwerb von Softwareprodukten mit Microsoft abgeschlossen hat. Vertreter der Deutschen Telekom und Google wollten gegen den Vorschlag stimmen, durften aber nur als nicht-stimmberechtige Gäste an der Sitzung teilnehmen und ihre Bedenken vortragen. Der Vertreter des DStGB wollte vorzeitig gehen, aber seine Stimme für OpenXML trotzdem geltend machen. Schlussendlich wählten IBM, Sun, das Auswärtige Amt und das Innenministerium mit einem mit Korrekturvorschlägen versehenen Nein. Zwölf andere Ausschussmitglieder gaben ein „Ja“ unter Vorbehalt, eines ein uneingeschränktes „Ja“ ab. Dieses Vorgehen kann man nur als skandalös bezeichnen. Hier ist versucht worden die Interessen einer einzigen Firma in einem Standard umzusetzen, indem die „Geschworenen“ aus dem Lager und Umfeld Microsofts kommen. Mittlerweile formiert sich ein massiver Widerstand gegen das Abstimmungsergebnis. Hier die wichtigsten Gründe gegen OOXML
1. Es gibt schon eine Norm ISO26300, auch Open Document Format (ODF) genannt: eine doppelte Normung erhöht die Kostenbelastung für Wirtschaft, Regierungen und Bürger.
2. Es existiert keine belegte Implementierung der OOXML Spezifikation: Microsoft Office 2007 unterstützt ein Derivat von OOXML, aber kein Dokumentformat, das mit der Spezifikation übereinstimmt
3. In dem Spezifikationsdokument fehlen Informationen, zum Beispiel wie ein autoSpaceLikeWord95 oder ein useWord97LineBreakRules funktioniert
4. Mehr als 10% der Beispiele in der Spezifikation sind nicht XML-valide
5. Es ist nicht garantiert, dass jeder eine Software schreiben kann, die vollständig die OOXML Spezifikation erfüllt, ohne sich einer Patentbedrohung und Lizenzverpflichtungen auszusetzen
6. Die Spezifikation verletzt andere ISO Normen, wie zum Beispiel ISO 8601 (Darstellung von Datum und Uhrzeit), ISO 639 (Namen- und Länderkürzel) oder ISO/IEC 10118-3 (Kryptographischer Hash)
7. Es ist ein Fehler im Tabellenkalkulationsformat, welches ein Einfügen eines Datum vor dem Jahr 1900 unmöglich macht: diese Fehler betreffen sowohl die OOXML Spezifikation als auch Software-Produkte wie Microsoft Excel 2000, XP, 2003 oder 2007
8. Die Norm wäre nicht aus der versammelten Erfahrung und Expertise von allen interessierten Kreisen (z.B. Produzenten, Verkäufer, Käufer, Nutzer und Regulierern) gespeist, sondern nur durch Microsoft allein
Es ist fraglich, ob die getroffene Entscheidung eine wirklich tragbare DIN Norm wäre und in der Praxis akzeptiert würde. Weiter stellt sich die Frage warum sich das DIN oder zumindest Mitarbeiter des DINs so einen Bärendienst erweisen. Das Ansehen des DINs hat bei dem in diesem Fall gewählten Vorgehen sicherlich massiv gelitten. Da nützt es auch nichts, wenn der Betreuer des Arbeitskreises beim DIN in der Presse beteuert "Das Abstimmungsprozedere lief regelkonform und nach Absprache der Ausschussmitglieder ab". Wenn man gewollt hätte, dass ein echter Standard definiert wird, hätte das DIN sicherlich mehr Wert auf ausgewogene Mitgliederstrukturen der Arbeitsgruppe geachtet. Man stelle sich nur vor bei der Festlegung einer DIN-Norm für „Strom aus der Steckdose“ würde das DIN in die Arbeitsgruppe vor allem Vertreter der Atomlobby und nur einige Grüne einladen. Das Ergebnis so einer Abstimmung wäre auch vorhersehbar, selbst wenn das Abstimmungsprozedere einwandfrei verläuft. Ähnliches ist aus Skandinavien und der Schweiz zu berichten. Eine Arbeitsgruppe des schwedischen SIS stimmte am 28. August mit überwältigender Mehrheit für eine ISO-Standardisierung von Microsofts OOXML, nachdem überraschend 23 neue Firmen zu der Abstimmung zugelassen wurden.  Für alle die gegen den Microsoft OOXML als Standard sind bietet sich der Link http://www.noooxml.org/petition-de  an. Dort haben bis zum Start der DMS Expo 2007 mehr als 44.000 Personen weltweit gegen OOXML gestimmt. Sie fordern stattdessen einen Hersteller unabhängigen offenen Standard, den es mit OpenDocument (ODF) schon gibt. China, Indien und Brasilien haben inzwischen gegen einen ISO-OOXML Standard gestimmt und es bleibt zu hoffen, dass Microsoft auf diesem Gebiet nicht das Feld überlassen wird. (RKo)
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