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Wikis als Werkzeuge für Wissensmanagement innerhalb von Organisationen
Gastbeitrag von Philipp Neuhaus, Projektleiter Prozess- und Dokumentenmanagement 
GSK Stockmann & Koll
egen
E-Mail:
neuhaus@gsk.de  
Webseite:
http://www.gsk.de/  
Auszug aus der Diplomarbeit zur Erlangung des akadem
ischen Grades eines Diplom-Dokumentars (FH) am Fachbereich Informationswissenschaften im Studiengang  Dokumentation der Fachhochschule Potsdam; 1.7.2008 
Teil 2 des Artikels erscheint
im Newsletter 20090324Newsletter 20090324, Teil 3 im Newsletter April 2009
Wikis
Ein Wiki ist eine frei erweiterbare und von jedem über den Browser bearbeitbare Sammlung von untereinander und mit Dateien und Internetseiten verknüpften Webseiten.1  
Wikis können, je nach Blickwinkel, als Technologie, virtueller Raum, Informations- und Wissensressource, Philosophie oder Gemeinschaft angesehen werden. Als Technologie ist Wiki eine Software, um schnell und einfach Seiten über den Browser zu bearbeiten. Wiki-Seiten sind Räume, die es mehreren Menschen erlauben, gemeinsam Informationen und Ideen zu teilen und so Wissen zu entwickeln. Für Leser über das Intra- oder Internet dienen Wikis als Informations- und Wissensressource. Die Idealform eines Wikis kann aber sogar als Philosophie betrachtet werden: Eine Kombination aus den Ansichten, dass die Weisheit von Vielen den Gedanken Einzelner überlegen ist und, dass alle zusammen in einem System ihre Ideen schnell und einfach miteinander austauschen können. Bei der gemeinsamen Wissensentwicklung entstehen nicht nur Inhalte, sondern auch eine Gemeinschaft. Autoren und Leser eines Wikis werden ebenfalls als Gemeinschaft angesehen, die durch die Thematik und die Normen für die Zusammenarbeit gebildet wird. Ein Wiki wird also erst durch alle diese Aspekte zusammen gebildet.2  
Wikis unterscheiden sich von kollaborativer Software (Groupware, Collaborative Work Systems) oder klassischer Wissensmanagement-Software durch ihre mangelnde Struktur. Und selbst wenn es im Wiki eine Struktur gibt, kann sich diese jederzeit ändern.3 
Wikis als Kommunikationsmedium
Von einem anderen Blickwinkel können Wikis als Kommunikationsmedium angesehen werden. Es handelt sich dabei um eine Form der Kommunikation, die sich nicht so einfach einordnen lässt. Von den Eigenschaften her ist es eine Kombination aus den Kommunikationsformen Dialog, Informationsbesprechung, Workshop, E-Mail, Intranet, Newsletter und Schwarzes Brett.4  Wikis sind so etwas wie ein informelles Kommunikationsnetz. Sie sind unabhängig von bestehenden Hierarchien und ergänzen oder ersetzen formale Strukturen. Meist sind sie nicht so verbindlich, können aber dafür flexibel auf neue Gegebenheiten reagieren. Die Fäden im Kommunikationsnetz sind mehr oder weniger stabile Beziehungsstrukturen oder Kommunikationskanäle und können zwei oder mehrere Knoten miteinander verbinden.5 
 
 
 
Ursprung
Entwickelt wurde das erste Wiki6 1994 von Ward Cunningham, der es als „die einfachste Datenbank, die überhaupt funktionieren kann“ bezeichnete. Das Konzept dahinter fördert eine demokratische Nutzung des Netzes in dem Sinn, dass jeder gleichberechtigt alle Inhalte lesen und bearbeiten kann. Die Erstellung von Inhalten durch technisch weniger versierte Nutzer wird gefördert. 7 
Die Worte „wiki“ und „wikiwiki“ sind hawaiianisch und bedeuten „schnell“, beziehungsweise „sehr schnell“. Im hawaiianischen Sprachgebrauch wird „wiki“ auch für „informell“ benützt. Der Begriff wird sowohl für das gesamte Konzept gebraucht, als auch für konkrete Anwendungen und teilweise ebenso für die dahinter liegende Software. Im Englischen gibt es, im Gegensatz zum Deutschen, immerhin die Unterscheidung zwischen „Wiki“ und „wiki“, wobei Ersteres für das Konzept steht und Letzteres für eine konkrete Ausprägung. 8 
Wikis ermöglichen die Nutzung des Internets, so wie es sich Berners-Lee vorgestellt hatte und funktionieren ähnlich wie sein Prototyp für das WWW, das Programm Enquire.
„The basic ideas of the Web is that an information space through which people can communicate, but communicate in a special way: communicate by sharing their knowledge in a pool. The idea was not just that it should be a big browsing medium. The idea was that everybody would be putting their ideas in, as well as taking them out. […] Also everybody should be excited about the power to actually create hypertext. Writing hypertext is good fun, and being with a group of people writing hypertext and trying to work something out, by making links is a different way of working.”9  
Eigenschaften und Funktionen
Technisch gesehen sind Wikis Server-Client-Applikationen und setzen auf dem HTTP auf.10  Es gibt Wiki-Software in unterschiedlichen Programmier- und Skriptsprachen, wie zum Beispiel PHP, Perl, Java, Ruby oder Python. Manche Wiki-Systeme legen ihre Daten in Datenbankmanagementsystemen ab, andere speichern jede Beitragsseite als Textseite im Dateisystem ab.
Funktional gesehen sind die Hauptmerkmale von Wikis Folgende: 11
   
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Jeder Nutzer ist eingeladen, über seinen ganz normalen Browser Seiten zu bearbeiten oder zu erstellen. Auf jeder Seite gibt es einen „Bearbeiten“-Button, über den Seiten sofort bearbeitet werden können. Das funktioniert in der Regel über einen einfach zu bedienenden WYSIWYG-Editor. Alle Versionen jeder Seite werden gespeichert, wodurch Änderungen transparent werden und (auch wieder von jedem) rückgängig gemacht werden können.
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Wikis fördern die bedeutungsvolle Assoziation von Seiten untereinander. Die Erstellung von Verknüpfungen ist sehr einfach und es wird angezeigt, ob die Seite, auf die verlinkt wird, überhaupt existiert. Es gibt keine defekten Verknüpfungen innerhalb eines Wikis.
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Ein Wiki ist keine sorgfältig erstellte Webseite für Besucher, sondern versucht, den Besucher in den Prozess der Erstellung und Zusammenarbeit zu involvieren.
Im Folgenden werden typische Merkmale und Funktionalitäten von Wikis zusammengefasst: 12 
   
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Wikis bestehen aus Webseiten, die über einen normalen Browser angezeigt werden können.
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Die Seiten können einfach mit einem Browser über das Intra- oder Internet bearbeitet werden. Das kann entweder mit einer Markup-Syntax13  oder mit einem WYSIWYG-Editor erfolgen.
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Interne und externe Verknüpfungen können besonders einfach erstellt werden. Es können auch Verknüpfungen zu Wiki-Seiten, die es noch nicht gibt, angelegt werden. Diese werden in der Anzeige etwas anders dargestellt und angelegt, sobald diese Verknüpfung angeklickt wird.
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Seiten können (beinahe) in Echtzeit aktualisiert werden. Änderungen werden sofort angezeigt, nachdem die Seite gespeichert wurde. Manche Wikis bieten allerdings auch die Funktionalität, dass Seiten erst freigegeben werden müssen, nachdem sie verändert wurden.
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Wikis werden im Kollektiv bearbeitet. Die ursprüngliche Philosophie von Wikis ist, dass jeder alles ändern kann. In vielen Wikis können allerdings die Rechte eingeschränkt werden, so dass zum Beispiel nur Nutzer, die als Autoren angemeldet sind, Bearbeitungen vornehmen dürfen. Nichtsdestotrotz sind Seiten in Wikis in der Regel nicht das Werk Einzelner, sondern einer Gemeinschaft von Autoren.
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Wikis merken sich Änderungen. In fast allen Wikis gibt es eine automatische Versionsverwaltung. Das bedeutet, jede Version jeder Seite wird gespeichert und kann bei Bedarf wieder hergestellt werden. Über Benutzername, IP-Adresse oder Ähnliches bleibt nachvollziehbar, wer welche Änderung vorgenommen hat.
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In den meisten Wikis gibt es eine Liste mit den Seiten, die zuletzt bearbeitet wurden. Dadurch können Nutzer auf dem Laufenden bleiben, wie sich das Wiki entwickelt und welche Themen aktuell sind.
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Einige Wikis bieten die Funktionalität, dass sich Nutzer per E-Mail oder RSS-Feed automatisch über Änderungen einzelner Seiten benachrichtigen lassen können.
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Üblicherweise beinhalten Wikis eine Suchfunktion und bieten teilweise auch Navigationshilfen an.
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Die meisten Wikis haben eine einfache Berechtigungsstruktur. Üblicherweise können für das Wiki oder sogar für einzelne Seiten Leser, Autoren und Administratoren festgelegt werden. Administratoren haben die Privilegien, Rechte zu vergeben und Seiten oder Versionen permanent zu löschen.
Eine andere Besonderheit von Wikis ist die Rückverweis-Funktion (backlink). Mit dieser können Verknüpfungen auf alle Seiten, die auf eine bestimmte Seite verweisen angezeigt werden.
Vorteile von Wikis
Wikis unterstützen das Konzept der Wissensreifung14. Über den gesamten Lebenszyklus von der Idee und den ersten persönlichen Notizen bis hin zum fertigen, ausformulierten Dokument kann das Wissen in einem Wiki gemeinschaftlich entwickelt und in Form gebracht werden.
Das Aufgreifen, Verstehen, Verarbeiten, Verdichten und Neu-Ordnen anderer Gedanken stellt eine erhebliche intellektuelle Leistung dar. Durch diesen erhöhten Reflexionsgrad kann die Qualität von Texten in Wikis deutlich erhöht werden. Der Arbeitsaufwand dieser neuen Art der Schreibkultur sollte jedoch nicht unterschätzt werden. 15 
Im Vergleich zu herkömmlichen Webseiten sind Wikis wesentlich einfacher, bequemer und schneller zu handhaben. Wikis sind flexible Arbeitswerkzeuge, am ehesten mit Papier und Bleistift vergleichbar. In der folgenden Grafik werden einige Analogien zwischen diesen Werkzeugen aufgezeigt:
Vergleich von Wikis mit Papier und Bleistift
Die Unterschiede zum Papier sind hauptsächlich Vorteile:
   
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räumliche Unabhängigkeit
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bessere Lesbarkeit der Schrift
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Texte können direkt digital weiterverarbeitet werden
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gleichzeitige Verfügbarkeit einer Seite durch beliebig viele Leser
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Möglichkeit der Volltextsuche
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geringerer Papierverbrauch
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Mehrwert durch Verknüpfungen
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automatische Erfassung von Datum und Autor
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Nachvollziehbarkeit und Umkehrbarkeit von Änderungen
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automatische Sortierbarkeit nach verschiedenen Kriterien wie Seitenname, Autor (Ersteller oder letzter Bearbeiter), Änderungsdatum und eventuell Schlagwort.
Überdies können Wiki-Seiten bei Bedarf auch einfach ausgedruckt werden.
Gartner, Inc., ein führendes IT-Forschungs- und Beratungsunternehmen, hat im Sommer 2006 festgestellt, dass die Wiki-Technologie den „Gipfel der übertriebenen Erwartungen“ und bald auch die „Talsohle der Desillusionierung“ überwunden hat und dann in die Phase kommt, wo sie realistisch genutzt und produktiv eingesetzt wird. Es wird geschätzt, dass die Wiki-Technologie von der breiten Masse in zwei bis fünf Jahren angenommen wird.16 
(Der Beitrag wird im Newsletter 20090324Newsletter 20090324 fortgesetzt)


1
Vgl. Klobas, Jane E. (2006): Wikis, from social software to social information space. In: Klobas, Jane E. (Hg.): Wikis: Tools for Information Work and Collaboration. Oxford: Chandos Publishing Ltd , S. 3.
2
Vgl. ebd., S. 13 f.
3
Vgl. ebd., S. 7.
4
Vgl. Mast, Claudia (2006): Unternehmenskommunikation. Ein Leitfaden. 2., neu bearb. und erw. Aufl. Unter Mitarbeit von Simone Huck und Monika Hubbard. Stuttgart: Lucius & Lucius (UTB Betriebswirtschaftslehre, Kommunikationswissenschaft), S. 189-211.
5
Vgl. ebd., S. 215 f.
6
Portland Pattern Repository, siehe: http://c2.com/cgi/wiki?WelcomeVisitors   (zuletzt geprüft am 22.02.2009).
7
Vgl. Leuf, Bo; Cunningham, Ward (2005): The Wiki Way. Quick collaboration on the Web. 6. printing. Boston: Addison-Wesley, S. 15.
8
Vgl. ebd., S. 14.
9
W3C (1999): Transcript of Tim Berners-Lee's talk to the LCS 35th Anniversary celebrations, Cambridge Massachusetts, 1999/April/14. Online verfügbar unter http://www.w3.org/1999/04/13-tbl.html, zuletzt aktualisiert am 14.04.1999, zuletzt geprüft am 22.02.2009.
10
Vgl. Leuf, Bo; Cunningham, Ward (2005): The Wiki Way. Quick collaboration on the Web. 6. printing. Boston: Addison-Wesley, S. 15.
11
Vgl. ebd., S. 16.
12
Vgl. Klobas, Jane E. (2006): Wikis, from social software to social information space. In: Klobas, Jane E. (Hg.): Wikis: Tools for Information Work and Collaboration. Oxford: Chandos Publishing Ltd., S. 7-11.
13
Zum Beispiel muss man bei der Wiki-Software TWiki an den Anfang und das Ende eines Wortes jeweils einen Unterstrich setzen, damit es kursiv angezeigt wird. Für mehr Beispiele, siehe: http://twiki.org/cgi-bin/view/TWiki/TextFormattingRules (zuletzt geprüft am 22.02.2009).
14
Siehe: Maier, Ronald; Schmidt, Andreas (2007): Characterizing Knowledge Maturing. In: Gronau, Norbert (Hg.): 4th Conference Professional Knowledge Management (WM 07), Potsdam, Germany, 2007. Experiences and visions. Berlin: GITO-Verl. (4. Konferenz Professionelles Wissensmanagement), S. 325–334.
15
Vgl. Ebersbach, Anja; Glaser, Markus; Heigl, Richard; Warta, Alexander (2008): Wiki. Kooperation im Web. 2. Aufl. Berlin: Springer (Xpert.press), S. 478.
16
Vgl. Gartner (2006): Gartner's 2006 Emerging Technologies Hype Cycle Highlights Key Technology Themes. Online verfügbar unter http://www.gartner.com/it/page.jsp?id=495475, zuletzt aktualisiert am 09.08.2006, zuletzt geprüft am 22.02.2009.
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