20090226 (Teil 2) \  Gastbeiträge \  Wortmüll aus der ECM-Werbung
Wortmüll aus der ECM-Werbung
Gastbeitrag von Elisabeth Grenzebach,  
Inhaberin der Agentur Wortwir
tschaft 
E-Mail:
egr@gmx.info 
Webseite:
www.wortwirtschaft.de  
Tue Gutes und sprich darüber. Klappern gehört zum Handwerk. Warum sonst geben wir so viel für Marketing aus? Nur: Viele klappern, ohne etwas zu sagen. Dabei sollte gerade Werbung nicht von der Stange sein. Doch die Werbenden ersticken im Einheitsbrei. Die fünf häufigsten Fehler.

Fehler eins: Alle sind führend und innovativ
Werbung soll differenzieren, doch viele Hersteller schreiben das Gleiche. Zunächst schmücken sich viele ECM-Anbieter mit dem Attribut »führend«: »marktführend«, »weltweit führend« oder »international führend«. Auch die Imponiervokabel »innovativ« gehört zum Grundwortschatz. Denn: In der IT sind führende Unternehmen auch innovativ. Wie sie das machen? Mit innovativen ECM-Lösungen, innovativen Angeboten, innovativem Produktportfolio oder einfach Innovationen. Weshalb die Hersteller schnell zu Innovationstreibern avancieren. Wer herausragen möchte, muss deshalb den Superlativ bemühen. Das »innovativste« Unternehmen und die »führendste« Software oder die »optimalste« Hardware. Zurecht nennt man dies Schreistil. Wen kümmert es, dass die Adjektive »führend« und »optimal« bereits Superlative sind und sich deshalb nicht steigern lassen. Dass zudem jeder Superlativ zum Widerspruch reizt – wusste schon Bismarck und strich ihn deshalb unbarmherzig aus den Texten seiner Mitarbeiter.
Das Wort Innovation hat schon lange jegliche Innovationskraft verloren. Die Kunde können und wollen »innovativ« nicht mehr hören. Und wer sucht schon ein innovatives Angebot? Die meisten sind mit reibungslos funktionierenden Lösungen zufrieden.
Fehler zwei: Selbstverständlichkeiten breittreten
Selbstverständlichkeiten zu verklausulieren, ist hoch im Kurs: »XY beobachtet als neutrales Beratungsunternehmen den Gesamtmarkt seit Jahren objektiv.« Gratulation! Endlich neutrale und auch noch objektive Berater! Ein anderes Beispiel: Unternehmen, die immer wieder beteuern, dass sie professionell arbeiten. Natürlich mit professionellen Werkzeugen, mit professionellen Mitarbeitern und mit professionellen Lösungen. Doch je häufiger ein Unternehmen betont, dass es professionell arbeitet, desto unglaubwürdiger wird es.
Fehler drei: Mit Wiederholungen langweilen
Beliebt sind auch Wiederholungen: »Der Verein vertritt die überwiegende Mehrheit der Unternehmen.« Überwiegende Mehrheit? Ist nicht eine Mehrheit per se überwiegend? Auch die vielen »Projektvorhaben« sind doppeltgemoppelt. Ein Projekt ist ein Vorhaben. Gern schreibt man von »Workflow-Prozessen«. Ist ein Workflow kein Prozess? Genauso ist der »Fachexperte« nur eine schöne Dopplung. Der Fach-Fachmann. Oder: »Unsere Lösungen gehören zum horizontalen, branchenunabhängigen Leistungsangebot, das sich an alle Branchen und alle Kundensegmente richtet.« Ein Satz voller Wiederholungen – vielen Dank.
Geschwätzigkeit hat in Sachtexten nichts verloren. Wiederholungen zeigen nur, dass der Texter den eigenen Worten nicht traut. Warum sollte es der Leser tun?
Fehler vier: Wortwurst überstopfen
Besonders beliebt in der Enterprise-Content-Management-Branche ist das Buchstabenaneinanderreihungsspiel. In der Welt der Technik ist der Trend zu überlangen Substantivbildungen besonders ausgeprägt. Inzwischen texten wir mit Leichtigkeit Vierer- und Fünferbildungen. Im Falle von Enterprise-Content-Management setzt sich ja schon der Standardbegriff aus drei Wörtern zusammen. Wer sich profilieren will, muss also mindestens noch ein Wort anhängen: Enterprise-Content-Managment-Lösung, Enterprise-Content-Management-Portfolio-Vorstellung. Da lob ich mir den Bildschirmschoner. Natürlich wollen wir lediglich differenzieren – nur überfordern wir dabei oft die Sprache; überstopfen die Wortwurst. Dabei ist es wissenschaftlich erwiesen: Kurze Wörter sind verständlicher als lange. Selbst einigen ECM-Experten wird das zu viel, weshalb sie sich in Abkürzungen flüchten. Doch Abkürzungen sind nur bedingt eine Alternative. Wann ist PM Produktmanagement, wann Projektmanagement und wann Prozessmanagement? Besteht ein Text nur noch aus Abkürzungen, wird er unruhig und unlesbar: Abkürzungskönige sind die Speicherhersteller: So lassen sich Daten auf CD/DVD, MO/UDO, PDD, BD und Magnetbänder wie AIT, LTO oder DLT speichern.  
Fehler fünf: Sexy Anglizismen
Damit keiner entdeckt, dass alle das Gleiche schreiben, peppen wird das Ganze mit Anglizismen auf: Doch was ist so schlimm, wenn der kosmopolitisch herausgeputzte Hersteller seine Präsentationen und Pressemitteilungen mit Anglizismen »updatet« oder »upgradet«? Wenn sich das Unternehmen einen internationalen »Touch« gibt; zeigt, dass er sich auf internationalem Parkett bewegen kann. »Smart Invoice Management Solutions«, »Enterprise Content Management on Demand«, »Corporate Compliance Policy«, »Stakeholder«, »Benchmarking«, »Collaborative Business«, »Best Practices«: Wer begegnet diesen Begriffen entschlossen? Die Übersetzung ins Deutsche hat oft etwas Entlarvendes: Sie führt uns schnurstracks zurück auf den Boden der Tatsachen – darum wird sie im Marketing gemieden. Ist nicht ein Meeting lebendiger als eine Sitzung? Verspricht eine Hotline nicht mehr als eine Telefonberatung? Kein Wunder, wenn Pressemitteilungen klingen, als seien sie nur teilweise aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.
Manchmal hat man keine Wahl. Bestimmte Begriffe lassen sich nicht übersetzen. Software, Hardware, Computer sind fest eingeführt. Doch für viele Anglizismen gibt es deutsche Wörter. Für »tool« haben wir »Werkzeug«, für »application« »Anwendung«, für »backup« »Sicherung«. Insbesondere mehrsilbige Verben aus dem Englischen haben es in sich, hebeln sie doch unsere Grammatik aus. Heißt es »backupt«, »upgebackt« oder »geupbackt«? Hier helfen nur deutsche Verben weiter.
Fazit
Warum werben wir so? Die Erklärungen der Psychologen lassen tief blicken. Entweder schwelgen wir in blinder Selbstbeweihräucherung oder wir plappern einfach alles nach. Sprachplasma als Statussymbol, um sich den Odeur des Erfolgs zu erschleichen. Wer so schreibt, muss es doch wissen, muss doch wer sein.
Die Realität: Wer so wirbt, schreibt für den Papierkorb. Das Vertrauen ist dahin. Dabei wollten wir uns doch nur souverän und kosmopolitisch geben. Natürlich schreibt niemand eine Pressemitteilung im Stile: Unserem Unternehmen geht es dreckig – wir haben uns zu einem richtigen Saftladen entwickelt. Doch langfristig kommen wir nur mit einer authentischen und differenzierten Kommunikation weiter. Und das bedeutet: Bleiben Sie möglichst nah an der Realität, die Mitarbeiter und Kunden erleben. Orientieren Sie sich am Inhalt, an der Substanz, und nicht an der semantischen Verpackung.
 
Weitere Kapitel
© PROJECT CONSULT Unternehmensberatung GmbH 1999 - 2016 persistente URL: http://newsletter.pc.qumram-demo.ch/Content.aspx?DOC_UNID=afcf26f18fe2484c002575a300635aa1